"Das könnte für die CDU eher kontraproduktiv sein"
Der Meinungsforscher und Politikberater Richard Hilmer bezweifelt, dass der Leitkultur-Vorstoß von Innenminister de Maizière der CDU bei den anstehenden Wahlen hilft. Denn er lenke den Blick auf Merkels "Achillesferse": die Migrationspolitik.
Im Vorstoß von Innenminister Thomas de Maizière zur deutschen Leitkultur sieht der Meinungsforscher und Politikberater Richard Hilmer vor allem ein Wahlkampfmanöver. Allerdings ein riskantes: Denn dadurch werde das Themenfeld Migrationspolitik berührt, das nicht nur die CDU spalte, sondern auch deren Wähler.
Das Thema Migrationspolitik habe der CDU bereits bei den Landtagswahlen im letzten Jahr große Probleme bereitet, sagte Hilmer im Deutschlandfunk Kultur. "Wir hatten ja zuletzt, gerade in der Bundespolitik, eine Beruhigung. Merkel gewann wieder an Ansehen." Doch die Kanzlerin habe eine Achillesferse - "und das ist die Migrationspolitik", warnte der Meinungsforscher. "Da stehen die Bürger nicht mehrheitlich hinter ihr. Und deswegen ist es sicherlich unglücklich, wenn die Diskussion jetzt unmittelbar vor der Wahl in Schleswig-Holstein, wo sie sowieso eine eher untergeordnete Rolle spielt, wieder aufflammt."
Verkürzter Leitkultur-Begriff
In der Sache äußerte Hilmer Verständnis für de Maizière: "Es ist sicherlich verständlich, dass de Maizière als Innenminister dieses Thema an sich anschneidet, denn Migration, Integration insbesondere, das ist sein Thema. Ob er allerdings den richtigen Ton getroffen hat, das wage ich zu bezweifeln." So sei zum Beispiel bereits die erste von de Maizières Thesen fragwürdig, in der es um das Begrüßungsritual des "Die-Hand-Gebens" geht.
"Was heißt das? Etliche Leute begrüßen sich heute Französisch, das ist in manchen Kreisen viel verbreiteter. Dem Küsschen links und rechts. Und in den deutschen Schulen, da klatscht man sich ab, da gibt man sich nicht mehr die Hand."
Hilmer bedauerte, dass der Leitkultur-Begriff inzwischen so verkürzt gebraucht werde. Früher habe "Leitkultur" eine aufklärerische Intention gehabt und sei von ihrem Erfinder, dem Politikwissenschaftler Bassam Tibi, mit den Werten Menschenrechte, Freiheit, Demokratie gefülllt worden, betonte er. (uko)
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Wir müssen über die deutsche Leitkultur reden. Ja, wir müssen, denn der Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat sie wieder in die Diskussion gebracht. Wir sagen unseren Namen, wir geben uns bei der Begrüßung die Hand, wir sind nicht Burka. Man fragt sich, ob nicht auch das Grundgesetz genügt hätte. Warum er aber jetzt nicht das Grundgesetz, sondern die Leitkultur ins Gespräch bringt, das wollen wir jetzt wissen im Gespräch mit einem Mann, der sich lange mit der Wahlforschung und der Wählererforschung befasst hat und jetzt als Politikberater arbeitet - Richard Hilmer. Sie kennen ihn von Infratest dimap. Schönen guten Morgen!
Richard Hilmer: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Ich habe es ja schon gesagt, man fragt sich, ob das Grundgesetz nicht genügt hätte, ob man jetzt wieder die deutsche Leitkultur benötigt. Und man fragt sich das natürlich vor allem, weil am kommenden Sonntag in Schleswig-Holstein ein neuer Landtag gewählt wird, und danach auch in Nordrhein-Westfalen. Ist das also ganz platt Wahlkampf?
Hilmer: Da steckt sicherlich ein Gutteil Wahlkampf dahinter. Es ist ja ein bisschen schade, dass dieser Begriff, der ja früher durchaus mal eine aufklärerische Intention hatte, von Bassam Tibi, einem Politologen, der das seinerzeit durchaus füllte eben mit den Werten, die Herr Özdemir gerade in dem Interview von sich gab, eben Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, die Werte, die eben die westlichen Staaten insbesondere auszeichnet.
"Das Thema ist natürlich nach wie vor virulent"
Es wurde dann etwas verkürzt von Friedrich Merz. Die zehn Gebote von de Maizière sind etwas ausführlicher, etwas differenzierter, aber leider beginnt er auch schon mit diesem ersten Gebot, das äußerst fragwürdig ist, denn Die-Hand-Geben, was heißt das? Etliche Leute begrüßen sich heute Französisch, das ist in manchen Kreisen viel verbreiteter.
von Billerbeck: Also mit Küsschen links und rechts.
Hilmer: Dem Küsschen links und rechts. Und in den deutschen Schulen, da klatscht man sich ab, da gibt man sich nicht mehr die Hand. Also insofern beginnt er schon so ein bisschen fragwürdig. Es könnte eine interessante Diskussion werden, denn das Thema ist natürlich nach wie vor virulent. Ob es allerdings der CDU hilft, das ist eher fraglich.
von Billerbeck: Die Frage ist ja auch, ob man so ein Thema dann genau mitten im Wahlkampf diskutieren muss. Das hört doch der Wähler und ist verstimmt?
Hilmer: Es gab ja durchaus Ansätze, das schon relativ frühzeitig 2015 zu führen. Die Diskussion ging aber über Bayern nicht hinaus seinerzeit, auch mit deutlich schrilleren Tönen seinerzeit versehen. Aber jetzt ist es natürlich ein bisschen problematisch, denn die Diskussion wird mit Sicherheit an Schärfe gewinnen. Da wird weniger das Verständnis dahinter eine Rolle spielen, sondern eben die Abgrenzung. Das merkt man ja jetzt schon an der Diskussion selbst.
Es ist sicherlich verständlich, dass de Maizière als Innenminister dieses Thema an sich anschneidet, denn Migration, Integration insbesondere, das ist sein Thema. Ob er allerdings den richtigen Ton getroffen hat, das wage ich zu bezweifeln.
CDU-Spaltpilz Migrationspolitik
von Billerbeck: Nun bleiben wir mal kurz bei der Wahl am Sonntag in Schleswig-Holstein. Da waren ja die Umfragen so, dass die Union vor der SPD liegt. Aber offenbar ist man sich doch nicht ganz so sicher. Meinen Sie nicht auch, dass dieser – und das ist jetzt eine ganz deutliche Suggestivfrage, Herr Hilmer –, meinen Sie nicht auch, dass diese Debatte um die deutsche Leitkultur auch der Versuch des Bundesinnenministers ist, da die AfD-Wähler abzugreifen?
Hilmer: Das könnte fürchterlich schief laufen. Erstens, die Umfragen zeigen ja auch, die AfD tut sich gerade im hohen Norden sehr schwer. Da gibt es durchaus auch die Möglichkeit, dass sie zum ersten Mal seit Langem wieder mal scheitern an der Fünfprozenthürde. Das kann nicht der Movens sein. Es ist auch gefährlich, weil eben dieses Thema eines ist, das nicht nur die CDU/CSU ziemlich spaltet, Migrationspolitik, sondern auch die CDU selbst. Und vor allen Dingen, was einen ziemlichen Dissens immer wieder offenbart zwischen der Kanzlerin und ihrer Partei.
Die Wähler selbst der CDU sind ja auch gespalten. Es gibt natürlich immer noch einen gehörigen Anteil, die eben die Willkommenskultur und die Politik Merkels 2015 gutheißen, aber es gibt eben auch sehr viel Skepsis, und die versucht zwar de Maizière ein Stück weit anzusprechen. Das Problem ist nur, er macht natürlich dann auch die Spaltung und die Kluft innerhalb der Partei deutlich. Und ob das so glücklich ist, auch aus Sicht der CDU, das wage ich zu bezweifeln.
Worum geht es de Maizière?
von Billerbeck: Das heißt, es ist nicht mal eine innerparteiliche Beruhigungstablette?
Hilmer: Nein, weil dieses Thema, das hat sich immer wieder gezeigt, auch bei den Landtagswahlen im letzten Jahr, der CDU große Probleme bereitet. Wir hatten ja zuletzt, gerade in der Bundespolitik, eine Beruhigung. Merkel gewann wieder an Ansehen. Sie hat eine Achillesferse, und das ist die Migrationspolitik. Da stehen die Bürger nicht mehrheitlich hinter ihr.
Und deswegen ist es sicherlich unglücklich, wenn die Diskussion jetzt unmittelbar vor der Wahl in Schleswig-Holstein, wo sie sowieso eine eher untergeordnete Rolle spielt, wieder aufflammt. Das könnte mit Blick auf die kommenden Wahlen – in zwei Wochen haben wir dann Nordrhein-Westfalen, und dann im September die Bundestagswahl –, das könnte eher kontraproduktiv sein.
von Billerbeck: Dann fragt man sich aber nur, weshalb macht er das, der Bundesinnenminister, diese Debatte zu diesem Zeitpunkt?
Hilmer: Er hatte ja schon immer so ein Problem mit der Politik Merkels, das wurde sehr schnell deutlich. Er hat sich dann deutlich zurückgenommen und anscheinend jetzt den Zeitpunkt für gekommen gesehen, sich wieder deutlicher zu positionieren.
Er ist der Zuständige, was eben die ganze Aufnahmepraxis, die großen Teile der Integration anbetrifft, und insofern kann er das sozusagen schon als sein Revier dann auch betrachten. Ob es in der Form sinnvoll ist, das ist eher zweifelhaft, denn vielleicht – es wird ja schon ein bisschen gemutmaßt, er kämpft um seinen Job als Innenminister, denn es gibt ja in Bayern jemanden, der da so ein bisschen mit den Füßen scharrt, nämlich Innenminister Herrmann.
Keine auf den Kandidaten zugeschnittene Debatte
von Billerbeck: Dann die letzte Frage an Sie, Herr Hilmer, als langjährig erfahrener Wahl- und Wählererforscher: Wie können die Wähler am besten angesprochen beziehungsweise umgestimmt werden, auch bei diesem Thema?
Hilmer: Durch eine gelungene Integration. Das ist mit Abstand das Wichtigste. Das hat sich auch bei den Landtagswahlen im letzten Jahr gezeigt. Man muss eine sehr glaubwürdige, sehr konsequente Haltung haben. Das kann immer eine unterschiedliche Mischung sein. In Rheinland-Pfalz war die Politik sicherlich eine ganz andere als in Berlin oder eben auch in Mecklenburg-Vorpommern. Aber jeweils, insbesondere in Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern haben die Regierenden die richtige Mischung gefunden.
Es kommt da schon sehr stark auf Personen an. Und insofern lenkt jetzt diese Debatte vielleicht allzu sehr den Blick dann weg auch von den handelnden Personen, gerade in Schleswig-Holstein ist ja der CDU-Kandidat noch nicht so bekannt. Insofern auch da eher ein bisschen unglücklich. Da wäre sicherlich eine auf den Kandidaten zugeschnittene Debatte deutlich sinnvoller gewesen.
von Billerbeck: Empfehlungen waren das von Richard Hilmer, lange Jahre Wahlforscher, jetzt Politikberater, nach den Deutsche-Leitkultur-Sätzen des Bundesinnenministers. Ich danke Ihnen!
Hilmer: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.