EU-Wahl

Warum der Wahl-O-Mat nicht perfekt ist

Der Wahl-O-Mat zur Europawahl 2024 von der Bundeszentrale für politische Bildung ist auf dem Display eines SmartPhones zu sehen.
Hilfe bei der Entscheidung: Die Inhalte des Wahl-O-Mats haben Jungwähler, Wissenschaftlerinnen und andere Experten sowie die Bundeszentrale für politische Bildung entwickelt. © picture alliance / dpa / Silas Stein
05.06.2024
Mehrere Millionen Menschen nutzen den Wahl-O-Mat. In kurzer Zeit bietet er Orientierung in der Landschaft der politischen Parteien. Doch durch die Verkürzung punkten rechtspopulistische Positionen.
Der Wahl-O-Mat soll helfen, sich vor der Wahl durch die Parteiprogramme zu navigieren. Doch die Ergebnisse sorgen für Diskussionen. Ist der Wahl-O-Mat eine sinnvolle Unterstützung oder trägt er eher zur Verwirrung bei?

Was ist der Wahl-O-Mat?

Der Wahl-O-Mat erklärt auf spielerische Weise die Unterschiede zwischen den Parteien. Das Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung soll als Entscheidungshilfe dienen, spricht aber keine konkrete Empfehlung aus.
Vor der Bundestagswahl 2002 hatte der Wahl-O-Mat seinen ersten Einsatz. Seitdem wurde er bei allen Bundestags- und Europawahlen sowie fast allen Landtagswahlen gestartet.
Vor der EU-Wahl 2024 hat er schon vier Tage vor der Abstimmung mit mehr als zehn Millionen Zugriffen den bisherigen Nutzungsrekord gebrochen. Das Angebot wird seit Beginn wissenschaftlich begleitet.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

Ist es richtig, Politik so zu verkürzen?

Der Wahl-O-Mat stellt 38 Thesen aus verschiedenen Themenfeldern vor. Dazu kann man sich positionieren: "stimme zu", "neutral" und "stimme nicht zu". Inhalte können je nach Präferenz auch doppelt gewichtet werden. Durch die Vereinfachung und Verkürzung der Themen lassen sich die Fragen schnell beantworten.
Politikwissenschaftler Christian Stecker hält den Wahl-O-Mat für eine „sinnvolle Unterstützung“: „Weil er uns ganz simpel und spielerisch in die Themen wirft, die bei Wahlen eine Rolle spielen.“ Das Tool senke Hürden und begünstige, sich detaillierter mit Politik zu beschäftigen.
Stefan Marschall, Politikprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, erkennt in seiner Forschung, dass der Wahl-O-Mat beim Wissenserwerb hilft. Die Nutzer verstünden besser, welche Themen bei der Wahl verhandelt werden und welche Positionen die Parteien dazu haben.

Begünstigt der Wahl-O-Mat populistische Parteien?

Zuletzt gab es Verwirrung um den Wahl-O-Mat. Menschen, die sich politisch im bürgerlich-konservativen Spektrum einordnen, bekamen die meisten Übereinstimmungen mit der AfD angezeigt. Das sei kein Fehler im System, sondern könne dabei herauskommen, wenn Inhalte zu einfachen Thesen verkürzt werden, die nicht das extremistische Spektrum ausleuchten, sagt Politologe Christian Stecker. 
Der Wahl-O-Mat sei nicht darauf ausgelegt, Rechtsextremismus zu entdecken. Die Fragen bewegen sich laut Strecker im Rahmen der demokratischen Grundordnung. Der Wahl-O-Mat fragt nicht ab, wie die Nutzerin oder der Nutzer selbst zur Demokratie steht. 

"Eine doppelgesichtige Partei"

Ein anderer Punkt ist, dass sich der Wahl-O-Mat immer an den offiziellen Aussagen einer Partei orientiert. Problematisch wird das, wenn eine Partei oder ihre Mitglieder anders denken, als sie offiziell auftreten.
Das Wahlprogramm der AfD klinge längst nicht so populistisch, rechtsextremistisch oder rechtsradikal wie Aussagen in Chatgruppen der AfD, so Stecker. "Wir wissen, dass die AfD eine doppelgesichtige Partei ist und in den offiziellen Verlautbarungen vielleicht nicht die Dinge verkündet, an die manche in dieser Partei glauben", erklärt der Politikwissenschaftler.

Ist das Konzept des Wahl-O-Mat überholt?

Politik ist immer "ja, aber", gibt Politikwissenschaftler Christian Stecker zu bedenken. Wende man das aber bei allen 38 Thesen an, "dann haben wir eben kein Tool mehr, was man ganz nett nebenbei im Zug oder in der S-Bahn durchspielt". Stattdessen bräuchte es einen ganzen Tag, sich damit auseinanderzusetzen. Das Prinzip Wahl-O-Mat wäre dahin.
Doch hat der Wahl-O-Mat Schwachstellen. So könne man überlegen, die Gewichtung anzupassen, schlägt Stecker vor. Im Moment lassen sich Themen nur doppelt gewichten. Aber manche Themen sind den Nutzerinnen und Nutzern vielleicht viermal so wichtig.
Auch die Skala der Antworten ließe sich anpassen. Mit „ja“, „nein“ und „neutral“ sei sie etwas kurz, meint der Politologe. Hier könne man mit einer Fünferskala deutlich besser differenzieren. 

Durch den Wahl-O-Mat nicht rumgedreht

Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Wahl-O-Mat ändert nicht grundlegend Einstellungen zu bestimmten Parteien. Das zeigen laut Stecker Untersuchungen, die auf die anschließende Wahlentscheidung geschaut haben.
Viele, die den Wahl-O-Mat nutzen, hätten bereits eine feste parteipolitische Präferenz, sagt auch Stefan Marschall, Politikprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. „Ich werde nicht umgedreht durch den Wahl-O-Mat“, resümiert Christian Stecker.

mfied
Mehr zur EU-Wahl