Wählen mit 16

Schluss mit dem Flickenteppich beim Wahlalter

Hand im Pop Art Stil, die einen Wahlzettel in den Fingern hält.
16-Jährige dürfen nicht überall in Deutschland wählen. Wäre es nicht wünschenswert, bald nur eine einzige Wahlaltersgrenze in Deutschland zu haben? © Getty Images / Smartboy
Ein Kommentar von Thorsten Faas · 10.11.2022
Künftig sollen in Deutschland bei Europawahlen auch 16-Jährige wählen dürfen. Damit wird die Regelung zum Wahlalter noch unübersichtlicher, beklagt der Politikwissenschaftler Thorsten Faas. Er fordert: gleiches Wahlalter für alle in Deutschland.
Deutschland ist ein Flickenteppich. Nein, nein – ich spreche nicht von Corona. Auch nicht von den unterschiedlichen Bildungssystemen der 16 Bundesländer. Ich spreche vom Wahlalter.
In Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein dürfen junge Menschen schon ab 16 Jahren an Kommunal- und Landtagswahlen teilnehmen. Und seit dieser Woche gehört auch Mecklenburg-Vorpommern zum Kreis dieser Länder.
Anders ist es in Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Dort dürfen 16- und 17-Jährige nur an den Kommunalwahlen teilnehmen. Wieder anders ist es in Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und in Sachsen. Dort dürfen 16- und 17-Jährige gar nicht wählen.

Wahlalter für Bundestag steht im Grundgesetz

Wobei: Auch das stimmt nicht mehr. Denn SPD, Grüne und FDP sind auch auf nationaler Ebene beim Wahlalter aktiv geworden. Für Europawahlen haben sie eine Änderung des Wahlgesetzes auf den Weg gebracht. Mit einfacher und eigener Mehrheit beschlossen, heißt es ab den Europawahlen 2024: Wählen ab 16.
Auch für die kommende Bundestagswahl würde die Ampel die Wahlaltersgrenze gerne absenken. Aber: Das Wahlalter für Bundestagswahlen steht im Grundgesetz und das kann man nicht mit einfacher Mehrheit ändern. Die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Reform ist aber nicht in Sicht.
Dieser Flickenteppich beim Wahlalter produziert seltsame Stilblüten. In Schleswig-Holstein etwa durften 16- und 17-Jährige bei der Landtagswahl im Mai 2017 wählen, wenige Monate später bei der Bundestagswahl 2017 aber nicht. Nur um es dann im Mai 2018 bei der Kommunalwahl doch wieder zu dürfen.

Ein paar Kilometer weiter gilt anderes Wahlrecht

Oder nehmen wir den 1. September 2019. Zeitgleiche Landtagswahlen in Brandenburg und in Sachsen. Auf der einen Seite der Grenze – nämlich in Brandenburg – dürfen 16- und 17-Jährige wählen. Auf der sächsischen Seite nicht.
Oder nehmen wir den 26. September 2021, Wahlen in Berlin. Die Eltern gehen mit den Kindern, 16 und 18 Jahre alt, ins Wahllokal. Sie warten kurz, dann bekommen sie fünf Wahlzettel in die Hand gedrückt: einen für die Bundestagswahl, zwei für die Wahl zum Abgeordnetenhaus, einen für einen Volksentscheid und einen für die Kommunalwahl. Nur der Jüngste, der 16-Jährige kriegt nur einen einzigen Stimmzettel, nämlich für die Kommunalwahl. Nur dort gilt Wählen ab 16. Ist das fair?

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Es gibt sicher gute Gründe dafür, beim Wählen mit 18 zu bleiben. Vielleicht sogar noch bessere Gründe gibt es dafür, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken. Aber mir scheint es wenig Gründe dafür zu geben, bei einem in der Demokratie so fundamentalen Recht wie dem Wahlrecht einen Flickenteppich zu haben, der solch seltsame Muster produziert.
Und wenn bei der Europawahl 2024 wirklich „Wählen ab 16“ gilt, bei der Bundestagswahl 2025 aber nicht, dann verschärft sich die Situation noch weiter. Dann werden nämlich bundesweit viele, viele 16-Jährige an den Europawahlen 24 teilnehmen dürfen und ein Jahr danach von der Bundestagswahl wieder ausgeschlossen sein.

16-Jährige sind politisch genauso interessiert

Wie man solche Muster jungen Menschen erklären und vermitteln soll, vermag ich nicht zu sehen. Die Ergebnisse unserer Forschungen zeigen jedenfalls nichts, was diese Vielfalt stützen würde. 16- und 17-Jährige sind genauso politisch interessiert wie 18- oder 19-Jährige, sie wissen auch ähnlich viel über Politik.
Konstellationen aber, in denen sie mal wählen dürfen, mal aber auch nicht, frustrieren sie. Und dass Menschen rund um ihre ersten Wahlerfahrungen herum Frust, Ärger, Unfairness empfinden, kann niemand wirklich wollen.
Altersgrenzen tragen immer etwas Willkürliches in sich. 15, 16, 17, 18 – es gibt kein Naturgesetz, was das eine, richtige Wahlalter ist. Aber es wäre doch wünschenswert, wenn wir möglichst bald wieder nur eine einzige Wahlaltersgrenze in Deutschland hätten.

Thorsten Faas, geboren 1975 in Idar-Oberstein, ist Professor für Politische Soziologie an der Freien Universität Berlin. Er sitzt im Vorstand der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft und ist Präsidiumsmitglied der Gesellschaft für Wahlforschung.

Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der FU Berlin.
© picture alliance / dpa / privat / Thorsten Faas
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