Walburga Hülk: "Der Rausch der Jahre"

Ein Leben zwischen Exzentrik und Diplomatie

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Das Bild zeigt das Buchcover von "Der Rausch der Jahre" der Romanistin Walburga Hülk.
Walburga Hülk hat ein mitreißendes Buch über Paris geschrieben, wo ihr zufolge die Moderne erfunden wurde. © Cover: Hoffmann und Campe, Illustration: Deutschlandradio
Von Katharina Teutsch |
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Die Romanistin Walburga Hülk nimmt ihre Leser mit nach Paris, in die Zeit zwischen 1850 und 1870. Mit "Der Rausch der Jahre" gelingt ihr ein großes Epochenporträt, in der Schriftsteller vielbeachtet waren und der Fortschritt viel soziales Elend produzierte.
1885 steht Paris Spalier, als der Leichenwagen Victor Hugos über Champs-Élysées, Place de la Concorde, Boulevard Saint Michel und die Rue Soufflot hoch ins Pantheon gezogen wird. Er war der Methusalem einer Schriftstellergeneration, die gegen das Second Empire polemisierte, unter Zensurprozessen litt, gleichzeitig aber auch durch sie unsterblich wurde.
Fünf Jahre zuvor war Gustave Flaubert gestorben. Er war unter Napoleon III. zu einem Literaturstar geworden, der sich so manches herausnehmen durfte. Der Kaiser selbst war schon 1873 verstorben.

Der erste "Stadtneurotiker" der Literaturgeschichte

Jules Goncourt war tot und sein allein zurückgebliebener Bruder Edmond setzte lustlos seine Arbeit als Chronist des Pariser Literaturbetriebs fort. Baudelaire, der erste "Stadtneurotiker" der Literaturgeschichte, war an der Syphilis verstorben. George Sand, die Grande Dame der Epistel, an Altersschwäche.
Mit dem Dahinscheiden dieser public intellectuals endet eine kulturelle Ära, die die Romanistin Walburga Hülk jetzt in einem umwerfend temperamentvollen Epochenportrait aufleben lässt.
Behände nimmt sie ihre Leser mit in die mondäne Welt zwischen 1850 und 1870, aber auch ins Umfeld der Grubenarbeiter, des poetischen Prekariats und der Pariser Kommunarden nach dem Sturz des Kaisers im deutsch-französischen Krieg.

Per Staatsstreich auf den Thron

Louis Napoleon Bonaparte erobert den Thron 1851 durch einen Staatsstreich. Cäsar war sein historisches Vorbild, der durch symbolische Wahlen legitimierte "Cäsarismus" die ihm vorschwebende Regierungsform.
Damit konnte der glühende Republikaner Hugo schwerlich leben. Nachdem er seine Polemik "Napoléon le Petit" veröffentlicht hatte, musste er ins Exil auf die Insel Jersey gehen. Andere Schriftsteller und Intellektuelle blieben und führten ein Leben zwischen Exzentrik und Diplomatie.
Frankreich hatte den imperialen Machtanspruch des ersten Kaiserreichs unter Napoleon III. wieder aufleben lassen. Politischer Einfluss von Afrika über den Nahen Osten, von China bis Mexiko sollte in seiner achtzehn Jahre währenden Regierungszeit ausgeübt werden.

Eine Ära großer Erneuerungen

Es war die Ära großer Erneuerungen – und des Retrochic. Im Auftrag des Kaisers ließ Präfekt Haussmann das alte Paris zugunsten einer modernen Stadtplanung abreißen und bescherte der Hauptstadt damit ihr ewiglich erscheinendes Antlitz.
Paris wurde aber, bevor dies geschehen konnte, zur menschenfeindlichen Großbaustelle. Rasanter Fortschritt, Eisenbahnmobilität und Warenfetischismus existierten übergangslos neben sozialem Elend und Arbeitsmigration.
Hülk lässt in ihrem Stadtporträt souverän Fakten auf Anekdoten treffen und ordnet den Klatsch des Kaiserreichs einer gesamtgesellschaftlichen Gemengelage zu, bei der man erstaunt feststellt: Viele Themen, die im Zweiten Kaiserreich aufkamen, beschäftigen uns noch heute.
Oder wieder. Nach dem großen Umbau der Stadt waren die Mietpreise in Paris um 300 Prozent gestiegen, im Gegensatz zu den Löhnen der arbeitenden Bevölkerung. Walburga Hülk nennt sie "Fortschrittsverlierer".

Walburga Hülk: "Der Rausch der Jahre. Als Paris die Moderne erfand"
Hoffmann und Campe, Hamburg 2019
415 Seiten, 26 Euro

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