Die indigene Daseinsform ist in Gefahr
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Die Brände in Brasiliens Amazonasgebiet bedrohen auch die Existenz der indigenen Völker. Laut Verfassung sollen sie ihre Lebensweise aufrechterhalten können. Doch in der Praxis wird ihre Assimilation betrieben, berichtet Wolfgang Kapfhammer.
Seit Wochen stehen die Wälder im Amazonasgebiet in Flammen. Das hat Brasiliens Präsident Bolsonaro zunächst kaum gekümmert. Lapidar verbat er sich jegliche Einmischung aus dem Ausland. Doch der Druck wurde nicht zuletzt durch den G7-Gipfel in Biarritz immer größer, so dass die brasilianische Regierung nun das Militär und Löschmannschaften entsendet.
Neben dem Weltklima geht es bei diesen Bränden auch um die Existenz der indigenen Völker im Amazonasgebiet. Der Münchner Ethnologe Wolfgang Kapfhammer kennt die Region.
"Viel Land für wenige Indigene"
Im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur erklärt Kapfhammer, die indigene Bevölkerung stelle weit unter ein Prozent der Bevölkerung Brasiliens, habe aber Anspruch auf 13 Prozent des Territoriums. "Das ist der große Streitpunkt, der immer wieder hochkommt zwischen konservativen Kräften und den Indigenen." Dafür gebe es in Brasilien das geflügelte Wort "Muita terra pra pouco indio", was soviel bedeute wie "Viel Land für wenige Indigene", erklärt Kapfhammer.
"Seit der Verfassungsreform 1988 genießen die Indigenen das uneingeschränkte Recht auf ihre Ländereien und Territorien sowie auf kulturelle Diversität und eine indigene Lebensweise. Nach Artikel 231 der Verfassung ist es zudem illegal, jegliche Privatisierung oder Veräußerung dieser Territorien in die Wege zu leiten, außer es liegt im Interesse der Indigenen, was nicht hundertprozentig auszuschließen ist."
Rückgriff auf altes Assimilationskonzept
Im Grunde genommen verfolgt Bolsonaro nach Kapfhammers Ansicht ein in der brasilianischen Indigenenpolitik altbekanntes Konzept, das der Assimilation: "Die indigene Daseinsform soll überwunden werden, indigene Lebensweisen will man langsam aber sicher ausschleichen."
Assimilationsvorgänge fänden schon länger und in vielfacher Weise statt, berichtet der Ethnologe. Immer mehr Indigene zögen in die Stadt, um dem chronischen Nahrungsmangel in ihren Territorien zu entfliehen.
Es komme aber auch zu einer Entfremdung von der Natur, erklärt Kapfhammer. "Das sehr komplexe Wissen um den Umgang mit der Waldumwelt geht verloren. Ein amerikanischer Ethnologe hat es mal das Wissen, wie man mit den lebendigen Logiken der Waldumwelt Amazoniens umgeht, genannt."
(ckr)