Zuerst der saure Regen, jetzt der Klimawandel
Der etwa durch schwefelhaltige Braunkohle-Abgase verursachte saure Regen ist in Thüringen seit der Wende zurückgegangen. Vor 15 Jahren dann hatte sich der Wald stark erholt. Doch inzwischen sind wieder mehr Bäume geschädigt. Extremwetterereignisse wie etwa der Sturm Kirill setzen dem Wald zu.
Die letzten 300 Meter geht es zu Fuß durch den Steigerwald am Stadtrand von Erfurt. Ines Chmara ist mit dabei, Waldüberwachungsspezialistin von ThüringenForst. Wir halten an einem umzäunten Stück Wald mit Tür. Wir gehen hinein und sind umgeben von Meßgeräten, Auffangbecken, Kabeln und Pumpen.
Ines Chmara: "Das ist eine von 14 Messstationen, die wir thüringenweit haben. Wir haben versucht, in größeren Waldgebieten diese Messstationen zu installieren, als eine Art der Umweltüberwachung, also einfach, um zu sagen: Welche Art von Umweltbelastungen wirken auf den Wald ein? Schadstoffeinträge, klimatische Veränderungen, Extremwitterungsereignisse, aber auch forstliche Schadinsekten. Oder auch: Wir wirkt sich forstliche Bewirtschaftung aus? All das wird an diesen Messstationen dokumentiert und erforscht. Und es werden Schlüsse gezogen für die forstliche Praxis, aber auch für Datenzulieferung für internationale Programme, wo Deutschland sich verpflichtet hat, hier Daten zur Verfügung zu stellen. Wir gehen einfach mal hin."
Ines Chmara überwacht seit 1986 die Thüringer Wälder. Damals wurde erstmals eine ökologische Waldzustandskontrolle eingeführt – zwei Jahre zuvor hatte man im Westen damit begonnen. Denn der saure Regen war ein grenzübergreifendes Phänomen.
"Ich würde das nicht auf die DDR projizieren, sondern diesen Schadstoffausstoß, den gab es in allen Ländern Europas! Und das war ja kein Problem der DDR – dann wäre ja an der Mauer Schluß gewesen, sage ich mal, sondern es war ja wirklich länderübergreifend. Auch die Reaktion darauf war aus fachlicher Sicht nicht grundsätzlich verschieden. Das dokumentiert schon, dass dieses Problem wohl bekannt war."
Veraltete Technik und der stark schwefelhaltige Braunkohle in der DDR
Ende der 80er-Jahre war die Hälfte aller Bäume in Thüringen deutlich geschädigt. Vor allen in den Mittelgebirgen, wo der häufige Regen den Schwefel aus den stinkenden Schornsteinen band und in Schweflige Säure verwandelte, starben die Bäume und hinterließen stellenweise eine Mondlandschaft.
"Und äußern tut sich das in einer massiven Gelbfärbung der Fichten; das haben wir damals 1989 alle sehen können, auch jeder Spaziergänger hat das sehen können, diesen starken Magnesiummangel vor allem Dingen. Und es kam zu Absterbe- und richtigen Auflösungserscheinungen. Also im Erzgebirge war es deutlich schlimmer noch als im Thüringer Wald. Aber auch im Thüringer Wald gab es damals Gebiete, die wirklich in Auflösung begriffen waren, wo die Fichtenbestände sehr lückig geworden sind und viele tote Bäume drin standen."
Ein Phänomen, das in ganz Europa auftauchte. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Forstwissenschaftler den Zusammenhang von Schwefel in der Luft und saurem Niederschlag erkannt und Symptome an Bäumen diagnostiziert. Die spätere Industrialisierung vervielfachte den Effekt. In der DDR trugen veraltete Technik und der stark schwefelhaltige Braunkohle dazu bei, dass der saure Regen überall niederging. Vor allem in den niederschlagsreichen Mittelgebirgen, im Thüringer Wald und im Erzgebirge, wo die Baumschäden massiv waren.
"Als diese ganzen Neubaugebiete zu DDR-Zeiten gebaut worden sind, gehörte meist ein Heizkraftwerk dazu. In diesen Heizkraftwerken wurde Braunkohle verbrannt. Durch diese Braunkohle – die war stark schwefelhaltig – kam es zur Freisetzung von Schwefeldioxid, was als Gas in die Luft ging und dann zu diesen Umwandlungsprozessen … Und das wurde auch über weite Strecken transportiert, weil auch die Schornsteine immer höher geworden sind, und hat sich dann irgendwo abgeregnet und hat zu den bekannten Schäden geführt."
Angeregt durch den Westen, wo das Waldsterben in den 80ern Thema von Titelseiten und Politischen Fernsehmagazinen war, gingen auch im Osten kirchliche und unabhängige Umweltgruppen durch die Wälder und kartierten die Zerstörungen – unter den wachsamen Augen von Partei und Staatssicherheit. Der Öffentlichkeit sollte allerdings suggeriert werden, dass man alles im Griff habe. Im September 1989 schrieb der Stellvertretende Forstminister der DDR, Rudolf Rüthnick, im SED-Blatt Neues Deutschland:
Archivaufnahme: "Bestimmte Kräfte in der BRD, denen das Wachsen und Gedeihen der DDR stets ein Dorn im Auge war, malen immer wieder schwarze Bilder über unsere Wälder. Die Wahrheit indessen, und davon kann man sich allerorts überzeugen, ist: Unser Wald liegt in guten Händen!"
Zahl der geschädigten Bäume wieder gestiegen
Im Westen in den späten 80ern und später im wiedervereinigten Deutschland wurde massiv in Rauchgasentschwefelung investiert, der Braunkohleverbrauch reduziert. Ob die DDR in der Lage gewesen wäre, solch massive Investitionen zu stemmen, kann man stark bezweifeln.
"Da habe ich auch so meine Zweifel; das weiß ich nicht. Das Gros an Maßnahmen, was zu einer Verbesserung des Waldzustandes auch geführt hat, kam eigentlich nach der Wende. Diese Entschwefelungsanlagen, also diese Technik ist sehr, sehr teuer. Und das hat alles erst seit 1990 gegriffen. Und das sehen wir auch am Waldzustand. Diese gravierende Verbesserung des Waldzustandes, die kam eigentlich erst mit dem Rückgang dieser Schwefel-Einträge."
Ab Mitte der 90er-Jahre begann der Wald darauf zu reagieren: Die Zahl der stark geschädigten Bäume sank deutlich - bis Anfang der 2000er-Jahre auf die Hälfte des Wertes von 1991. Vor allem die stark geschädigten Fichtenbestände haben sich gut erholt. Fast jeder dritte Baum galt vor 15 Jahren als ganz gesund. Diese Zahlen haben sich inzwischen wieder verschlechtert. Heute sind 30 Prozent der Bäume deutlich geschädigt, nur noch jeder fünfte gilt als ganz gesund. Allerdings ist der Grund nicht mehr der Schwefel, sondern die Klimaerwärmung.
"Ich erinnere nur an Kirill, an den Sturm Kirill, das war ja natürlich ein Massivereignis, dass wir an den Messstationen, die von Kirill betroffen waren, einen massiven Anstieg des Nitrataustrages in die Flüsse nachweisen konnten. In dem Augenblick, wo es sich stark auflichtet und die Bäume keinen Stickstoff mehr verbrauchen, setzt sich dieser Stickstoff ganz schnell um und wird in tiefere Bodenschichten verlagert und dann in Waldbäche ausgetragen. Wenn diese Extremereignisse zunehmen, wie Kirill, kann es uns passieren, dass der Wald seine Wasserschutzfunktion nicht mehr in vollem Umfang erfüllen kann. Das ist eine große Gefahr."
Und gerade hier, im Erfurter Steiger, ist zudem seit dem trockenen Sommer 2003 die Bodenfeuchtigkeit erheblich niedriger als zuvor. Das Waldsterben durch sauren Regen der 80er-Jahre ist vorbei, aber wirklich gut geht es dem Walds auch heute nicht.