Walid Raad-Ausstellung in Mainz

Blüten mit Kanzlerköpfen

05:53 Minuten
Auf einer Fototapete sind Blumen zu sehen, deren Blüten die Köpfe deutscher Kanzler sind.
Walid Raads "Better be watching some clouds" von 2022, bedruckte PVC-Folie © Walid Raad/Kunsthalle Mainz/Norbert Riguletz
Von Rudolf Schmitz |
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Die Kunst von Walid Raad erzählt oft Geschichten aus dem libanesischen Bürgerkrieg. Das ist meistens brutal, manchmal aber auch hintergründig skurril. Wie bei den Blumen, aus denen die Köpfe von Merkel, Schröder und Co. wachsen.
Als 1975 der libanesische Bürgerkrieg begann, wurden öffentliche Denkmäler und Skulpturen auseinandergenommen, in Kisten verpackt und überall im Land versteckt. Als man sie später wieder zusammensetzen wollte, gelang das nicht: Es gab keine Konstruktionspläne mehr. So entstanden hybride Monster, wie sie Walid Raad auf zwei großen Fotocollagen präsentiert.
Zwei solcher Monster hat der libanesische Künstler aus verschieden geformten Transportkisten gebaut, als übergroße Skulpturen, die gespenstische Schatten in den Raum werfen. Geht es bei der Erzählung von den misslungenen Rekonstruktionen um den historischen Fakt oder um die poetische Ausschmückung?

Fasziniert von Gewalt

Bei Walid Raad weiß man nie. Im Künstlergespräch im Frankfurter Mousonturm, am Abend vorher, erwies er sich jedenfalls als brillanter Rhetoriker, verblüffender Kunstphilosoph und freudianischer Psychologe:
"Ich bin fasziniert von Situationen extremer Gewalt. Wenn man etwas erlebt, das nicht wirklich zur Erfahrung wird. In dieser Lücke entsteht etwas anderes. Das hysterische Symptom. Es sieht nicht aus wie die wirkliche Ursache, aber es ist da, man wird davon verfolgt und kann es nicht loswerden", sagt Raad.

Insekten fressen osmanische Ornamente

Während des libanesischen Bürgerkriegs explodierte an jedem Tag eine Autobombe. Unzählige Menschen wurden getötet, Tausende traumatisiert. Das Einzige, was vom Auto übrigblieb, war oft der durch die Luft geschleuderte Motorblock.
In einem Schacht der Mainzer Kunsthalle hängt an einer Kette ein solcher Motorblock, im Hintergrund ist eine Bildtapete: Regierungsverantwortliche, die sich vor einem solchen Motorblock haben fotografieren lassen, um zu suggerieren, sie würden sich um die Sache schon kümmern und die Schuldigen ermitteln.
Eine Kunstinstallation. Durch die Fototapete einer großen Halle lassen sich Wasserfälle, unter denen Menschen stehen, erahnen.
Wem gebührt die Ehre? Wasserfall-Installation von Walid Raad in der Mainzer Ausstellung© Walid Raad/Sfeir-Semler Gallery/Norbert Miguletz
Im nächsten Raum sind Projektionen von tobenden Wasserfällen, an deren Grund kleine Pappfiguren von ausgeschnittenen Politikerfotos. Was es mit dieser verblüffenden Installation auf sich hat? Es gehe um eine merkwürdige Gewohnheit der Milizen, so Walid Raad, die im libanesischen Bürgerkrieg aus dem Boden schossen und von unterschiedlichen Parteien finanziert wurden:

"Um ihre Geldgeber zu ehren, entschlossen sich die Milizen, einige besonders schöne Wasserfälle nach ihnen zu benennen. Dieser Wasserfall zum Beispiel war bekannt als der König-Fahd-Wasserfall, dann wurde er zum Menachem-Begin-Wasserfall, dann der Hafiz-Assad-Wasserfall, der Saddam-Hussein-Wasserfall, der Francois-Mitterand-Wasserfall, schließlich der Margaret-Thatcher-Wasserfall. Die Einheimischen waren davon so verwirrt, dass sie nur noch von den 'wankelmütigen Wasserfällen' sprachen."

Walid Raad

Immer wieder geht es in dieser großartigen, präzise inszenierten Ausstellung um Schatten, Abwesenheit, Trauma, anonyme Mitwirkung an der Kunst. Es kann sich dabei etwa um Insekten handeln, die eine botanische Sammlung des sudanesischen Nationalmuseums befallen haben und deren Bissspuren an osmanische Ornamente erinnern.
Es kann aber auch um Transportkisten mit ornamentalen Öffnungen gehen, als seien die osmanischen Fliesen und Töpferwaren daraus entflohen. Die Dinge machen sich selbstständig, führen ein Eigenleben jenseits von Raum, Zeit und Menschenwelt.

Lachen über den Irrwitz der Zeitgeschichte

Schließlich landet man in einem von Kopf bis Fuß tapezierten Raum, einem ornamentalen Blütenmeer. In diesem wuchern die Köpfe deutscher Kanzler von Helmut Schmidt bis Angela Merkel als Blüten von Taubenkraut oder violettem Hornmohn.
Hintergrund dieser zwiespältigen Hommage: Der libanesische Geheimdienst pflegte Codenamen für Politiker zu vergeben. Die damit beauftragte Offizierin war zufällig ausgebildete Botanikerin.

Walid Raad "We Lived So Well Together"
Die Ausstellung ist noch bis 15. Mai 2022 in der Kunsthalle Mainz zu sehen.

Oft reizen Walid Raads Kunstwerke zum Lachen, es ist ein befreiendes Lachen über den Irrwitz der Zeitgeschichte, die hier ausgebreitet wird. Kunst als Spiegel und Therapie hysterischer Symptome?
Walid Raad jedenfalls ist ein genialer Erzähler. Da sieht er sich in der Tradition der Kunst:
"Ich denke, viele Kunstwerke kommen ohne Erläuterung oder Erzählung nicht aus. Das gilt auch für die moderne, experimentelle oder abstrakte Kunst. Wenn man nichts weiß über Form, Linie, Farbe, Umriss oder die historischen Bedingungen des Kubismus, ist es sehr schwer zu verstehen, was diese Künstler eigentlich getan haben", sagt Raad.
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