Wallenstein - wirklich wieder politisches Theater?

Von Lorenz Jäger |
Der dreißigjährige Krieg war eine der großen Katastrophen der deutschen Geschichte, vor dem 20. Jahrhundert die tiefste Krise, was Zerstörungen und Entvölkerung angeht. Es war ein europäischer Krieg, der da in Deutschland ausgetragen wurde, mit spanischen, französischen und schwedischen Interessen, mit Soldaten aus England, Irland, Schottland und Kroatien.
Die Gestalt Wallensteins, des Mannes, durch den der Riss mitten hindurchging, hat die Phantasie der Deutschen für lange Zeit nicht losgelassen. War er ein Hochverräter an der kaiserlichen Sache, oder eher ein weitsichtiger, vernünftiger Friedenspolitiker, dem es nur darauf ankam, den Einfluss der fremden Mächte in Deutschland zu begrenzen? Hielt er, der protestantisch Erzogene und erst als junger Mann zum katholischen Glauben Übergetretene, am Ende wieder zur Partei seiner Anfänge? Es bleibt ein Rätsel um den Generalissimus.

Wir haben historische Darstellungen seines Lebens aus der Feder von Ranke, von Hellmut Diwald und natürlich von Golo Mann. Und, allen voran, Schillers "Wallenstein". Aber merkwürdig: Es ist ein wenig gespieltes Stück, den "Faust" von Goethe sieht man viel häufiger auf den Bühnen. Sucht man bei Google mit den Stichworten "Faust" und "Inszenierung", dann findet man mehr als zehnmal soviel Einträge wie bei der entsprechenden Suche nach Wallenstein.

An der Qualität kann es nicht liegen, "Wallenstein" ist ein Werk der obersten Kategorie, dessen Kunstcharakter im deutschen Sprachraum eben nur den Vergleich mit dem "Faust" verträgt. Ein Grund für die Ungleichgewichtigkeit mag sein, dass man beim "Faust" den ersten Teil jederzeit ohne den zweiten auf die Bühne bringen kann. Der "Wallenstein" aber lässt sich nicht zerlegen, man muss die drei Teile - das "Lager", "Die Piccolomini" und "Wallensteins Tod" - unmittelbar nacheinander zeigen. Aber das gilt auch für Wagners "Ring des Nibelungen", von dem wir eben dennoch häufiger Neueinspielungen sehen. Ob nicht, so frage ich mich, ein Grund für die seltenen Inszenierungen auch darin liegt, dass Wallenstein ein Soldat ist – nein mehr: ein General, geradezu der Schöpfer einer Armee?

Für Schiller ist der Fall am Ende klar. Wallenstein rutscht in den Verrat hinein, der zunächst ein bloßes Gedankenspiel war. Vor allem aber: Für ihn, der nur das Mächtespiel und das Fatum sieht, ob er es nun am Himmel in den Konstellationen der Planeten betrachtet, mit seinem Astrologen Seni, oder in der politisch-militärischen Konstellation der irdischen Gewalten – für ihn tritt das sittlich Gebotene in den Hintergrund. Alles Menschliche wird – scheinbar – zur Sache einer Kalkulation. So ist er der Mann des allerstärksten Willens, aber die Instrumente, mit denen er seine Ziele erreichen will, verachtet er in Wahrheit. So bereitet er seinen eigenen Untergang vor.

Nun aber soll das Stück wieder auf die Bühnen kommen, nachdem man das Schillerjahr als vertane Chance betrachten musste. Gibt es also endlich wieder ein wirklich politisches statt eines willkürlich politisierten Theaters in Deutschland?

Von Peter Stein wird eine Inszenierung am Berliner Ensemble angekündigt, die Premiere soll im Mai des kommenden Jahres stattfinden. Von Stein weiß man, dass er seine Vorhaben mit der intensivsten geistigen Vorbereitung beginnt. Stein versenkt sich in die Texte wie kein anderer. Aber ganz sicher scheint es in Berlin noch nicht zu sein, vor allem steht der Hauptdarsteller noch nicht fest.

Es wäre jammerschade, wenn aus den zu erwartenden intellektuell anspruchsvollen Theaterereignissen, dem Wiener und dem Berliner, am Ende nichts würde. Denn in dieser Hinsicht wird die gottlob sichere Leipziger Aufführung im März unter der Regie von Wolfgang Engel wohl zurückstehen. "Wallensteins Lager" gibt man im Freien, am Völkerschlachtdenkmal. An sich eine schöne Idee, ist es doch in diesem Teil, wo das Volk spricht und wo sich aus dem Mosaik der Reden von Soldaten, Bauern und der Marketenderin ein erstes Bild vom Charakter des Generalissimus ergibt.

Wären da nicht solche offenbar unvermeidlichen Kinkerlitzchen wie die Teilnahme von einhundert Jugendlichen aus ganz Europa, die am "Lager" mitwirken und, wie es in der Ankündigung heißt, "mit ihrer Herkunft ein Zeichen setzen gegen Nationalismus und rechte Gewalt". Vielleicht auch noch gegen den Militarismus? Aber das scheint die Bedingung zu sein, wenn man heute das Trauerspiel vom hochverräterischen Feldherrn zeigen will.

Lorenz Jäger, Journalist und Autor, geboren 1951, ist Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Zuletzt erschien von ihm das Buch "Adorno. Eine politische Biographie" bei der Deutschen Verlagsanstalt.