"Walt Whitman: Grasblätter – Eine Inszenierung" wird am Mittwoch, 19. Juni, um 19:30 Uhr beim Poesiefestival Berlin aufgeführt. Vor der Aufführung wird ein Poesiegespräch mit Kyle Dacuyan, Leopold von Verschuer und Ulla Haselstein angebot.
Lyrik mit verblüffender Aktualität
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Beim Poesiefestival Berlin bringt der Regisseur Leopold von Verschuer das Werk "Grasblätter" des US-Dichters Walt Whitman auf die Bühne. Vor der Kulisse eines Trailerparks wird die revolutionäre Lyrik zu einem Dialog-, Musik- und Tanzerlebnis.
Leopold von Verschuer, Schauspieler und Regisseur, liest aus den "Grasblättern" von Walt Whitman, dem Hauptwerk des amerikanischen Dichters:
"Der Körper des Mannes ist heilig. Und der Körper der Frau ist heilig. Ganz gleich, wer er ist, er ist heilig. Ist er der Niedrigste in der Arbeiterschar, ist es einer der Einwanderer, mit stumpfem Gesicht, die gerade am Kai gelandet sind. Jeder gehört hier her."
Lyrik für eine Einwanderernation
Bis zu seinem Tod hat Walt Whitman immer wieder an der Gedichtsammlung geschrieben. Neben dem Aufbruch nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg besingt er darin die Gleichheit der Geschlechter, das Recht auf Einwanderung und die Demokratie einer Nation, die Spaltung überwindet.
"Wenn ich das heute höre und lese, denke ich: Wir können uns Europa angucken, wir können uns die USA angucken, wo der Präsident eine Mauer bauen möchte, um keinen reinzulassen. Dann muss ich sagen: Das ist von verblüffender Aktualität."
Ebenso Whitmans Sprache. Erstaunlich lebendig schrieb er Mitte des 19. Jahrhunderts nicht in Versen, sondern im freien Wortfluss, ähnlich wie Spoken-Word-Perfomances heute.
Mit diesem neuen Ton habe er, so von Verschuer, die Dichtung revolutioniert. Whitmans Worte lassen sich einander wie Bälle zuwerfen.
Konkrete und dialogische Lyrik
Von Verschuer probt zusammen mit dem Schauspieler Matthias Rheinheimer. Dem war Whitman zuvor nur aus der Serie Breaking Bad bekannt, wo er als eine Art Figur auftaucht. Mittlerweile hat er sich näher mit dessen Leben auseinandergesetzt:
"Und jetzt beim Lernen ist es ganz merkwürdig, weil man doch am Anfang in so eine Art Lyrik verfällt. Und desto mehr man probt, desto mehr wird klar: Desto konkreter und dialogischer man die kriegt, desto besser werden die."
Auch in der Musik wirkt Whitmans Lyrik noch nach. Deswegen stehen neben den Schauspielern auch eine Pianistin und eine Sänger mit auf der Bühne. Von Verschuer nutzt die verschiedenen Vertonungen, beispielsweise die des Zyklus "Als der Flieder blühte" von George Crumb.
Menschen kommen miteinander ins Gespräch
Von Verschuer inszeniert die "Grasblätter" vor der Kulisse eines Trailerparks. Dort treffen ganz unterschiedliche Menschen aufeinander, die miteinander ins Gespräch kommen – und das 200 Jahre nachdem der große amerikanische Dichter geboren wurde. Whitmans Sprache ist poetisch. Und auch heute noch frisch, direkt und verständlich.
"Ach, ich würde Whitman wünschen, dass er gelesen wird. Und da er wirklich für alle geschrieben hat, also nicht für die Spezialisten, Professoren und fürs Haus für Poesie, dass er zum Beispiel an Schulen gelesen wird."