Walter Isaacson: "Leonardo da Vinci"

Perfektionist mit zu wenig Disziplin

Im Vordergrund das Buchcover von Walter Isaacsons "Leonardo da Vinci", im Hintergrund unscharf eine Landschaft in der Toskana.
Walter Isaacsons neue Biografie zeigt detailliert, was Leornardo da Vinci und seine Arbeit auszeichnet. © Ullstein Verlag/ Imago/ Tom McShane
Von Gerrit Stratmann |
Leonardo da Vinci gilt als das kreativste Genie an der Wende zum 16. Jahrhundert. Walter Isaacsons Biografie zeigt ihn als geselligen Künstler, als Fantast und Visionär. Für unseren Kritiker eine eindeutige Leseempfehlung.
Nicht ausgeführte Pläne, unvollendete Werke und gescheiterte Projekte säumen seinen Weg, kaum ein Bild hat er zu Ende gemalt. Trotzdem gilt Leonardo da Vinci als das kreativste Genie an der Wende zum 16. Jahrhundert. Was ihn und seine Arbeit auszeichnet, das hat der amerikanische Schriftsteller und Historiker Walter Isaacson in seiner neuen umfassenden Biografie detailliert herausgearbeitet.
Leonardo, 1452 unehelich geboren in dem Dorf Vinci bei Florenz, war homosexuell, Vegetarier, Linkshänder und ein Mann mit großer Fantasie. Er verband Kunst, Wissenschaft und Technik, begeisterte sich für Vögel, Wasser, Militärtechnik, Geologie, Anatomie, Astronomie, Optik, Stadtplanung, Pferde, Mathematik, Theater und dutzende weiterer Themen. Die 7200 erhaltenen Seiten seiner Notizbücher sind ein beispielloses Zeugnis seiner überbordenden Interessen - und seiner Sprunghaftigkeit.
Als Ingenieur und Architekt pries er sich Machthabern und Mäzenen an, als Maler und Veranstalter von Theaterabenden und Festumzügen wurde er bekannt und geschätzt.

Isaacson hält sich mit Spekulationen angenehm zurück

Isaacson erliegt nicht der Versuchung, Leonardo lebendiger und eindeutiger darzustellen, als die spärlich überlieferten persönlichen Fakten über ihn es hergeben. Er schmückt nicht aus und hält sich mit Vermutungen und Spekulationen über sein Verhalten und seine Beweggründe angenehm zurück. Sein Leonardo mag dadurch trotz des großen Buchumfangs weniger plastisch erscheinen als noch ein Steve Jobs, mit dem Walter Isaacson bis zu seinem Tod an die 20 Interviews führte.
Trotzdem stellt er Leonardo als einen geselligen Künstler vor, der sich in rosa Tuniken kleidete und Schüler um sich scharte. Ein Perfektionist mit zu wenig Disziplin für Dinge, die ihn langweilten. Seine unstillbare Neugier führte ihn zu bahnbrechenden Beobachtungen und Entdeckungen, wie die Erklärung der Funktionsweise der Aortenklappen, die zum Teil erst Jahrhunderte später von anderen erneut gemacht wurden. Aber sie zu veröffentlichen, dafür fehlten ihm Muße und Ehrgeiz. Schnell war er von anderen Dingen begeistert. Ein Prokrastinierer und Fantast. Ein aufmerksamer Querdenker und Visionär, der mit nur wenigen Bildern die Malerei revolutionierte.

Umfangreich und voller Informationen

Isaacsons Buch ist auf dem neusten Stand der Forschung. Er stellt Bilder vor, die 2009 und 2011 auftauchten, und deren Handschrift für Leonardos Urheberschaft sprechen könnte, und präsentiert jüngste Hinweise von 2017 auf die genauere Identität seiner Mutter.
Schwerpunkt der überwiegend chronologisch geordneten Biografie bilden Leonardos hinterlassene Werke. Dutzende in den Text eingestreute, farbige Bilder kommen auf dem glatten, nicht reflektierenden, reinweißen Papier der Buchausgabe gut zur Geltung. Größere Ansichten, um die Details der Abbildungen besser erfassen zu können, wären hier und da wünschenswert gewesen, aber Isaacson gelingt es durch kurze Analysen den Blick auf Besonderheiten einzelner Werke zu lenken, die Leonardos Art zu malen treffend charakterisieren. Insgesamt gelingt Walter Isaacson damit ein Überblick über Leonardos Leben, der an Umfang und Informationsdichte seinesgleichen sucht.

Walter Isaacson: Leonardo da Vinci
Aus dem Amerikanischen von Karin Schuler und Andreas Thomsen
Propyläen/Ullstein Verlag, Berlin 2018
752 Seiten, 39 Euro

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