Walter Scheidel: "Nach dem Krieg sind alle gleich. Eine Geschichte der Ungleichheit"
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer-Lippert
Theiss-Verlag, Stuttgart 2018
688 Seiten, 38 Euro
Die vier apokalyptischen Reiter der Gleichheit
Revolutionen, Krieg, Epidemien und totales Staatsversagen - das sind dem Historiker Walter Scheidel zufolge die einzigen Faktoren, die zu einem nennenswerten Rückgang sozialer Ungleichheit führen. Eine starke These, die Scheidel eindrucksvoll belegt.
Die spitzfindige Anspielung an den deutschen Grundsatz "Vor dem Gesetz sind alle gleich" steckt im englischen Originaltitel von Walter Scheidels "The Great Leveler" nicht. Und doch ist die Pointe durch die Intention der fast 700 Seiten schweren Studie des Princeton-Historikers voll gedeckt. Genau so meint er es: Nur nach Kriegen, und zwar nach Massenmobilisierungskriegen, wahlweise nach gewalttätigen Revolutionen, totalem Staatsversagen oder verheerenden Pandemien hat es in der Menschheitsgeschichte eine signifikante Abnahme der sozialen Ungleichheit gegeben. Sonst nicht. Scheidel spricht von den "vier apokalyptischen Reitern" der Nivellierung.
Eine große, folgenreiche These
Der angemessene Untertitel für seine Untersuchung hätte, so der Autor selbst, gelautet: Gewaltsame Erschütterungen und die Weltgeschichte der Einkommens- und Vermögensungleichheit von der Steinzeit bis zur Gegenwart und darüber hinaus. Doch ist ihm und seinen Verlegern daran gelegen, dass das Buch wahrgenommen und gelesen wird. Es ist klar gegliedert, verständlich, ja pointiert geschrieben. Materiallage, Methodik und Thesen werden vorbildlich dargelegt und durchgeführt. Leserin und Leser sind trotz des gewaltigen Quellen- und Datenmaterials stets orientiert, wo sie sich im Rahmen der Argumentation befinden.
Das liegt auch daran, dass die These groß und folgenreich ist, in jeder Hinsicht gewaltig. Dabei aber eindeutig und klar, ja nachgerade schlicht. Scheidel will sie materialreich, aber schnörkellos durch die Jahrtausende belegen. Das gelingt ihm auf beeindruckende Weise.
Scheidels Einsichten sind so einleuchtend wie deprimierend, ihre Konsequenzen erscheinen grausam. Umso begieriger wartet man auf den Teil, der "darüber hinaus" geht, also auf Tendenzen, Ideen, Möglichkeiten, die der Autor für die Gegenwart und, wichtiger noch, für die Zukunft erkennt. Das aber ist nicht mehr das Terrain des Historikers. Darauf legt Scheidel Wert. Und damit hat er natürlich auch Recht.
Für mehr Gleichheit auf der Welt sieht es nicht gut aus
Er beschließt sein Buch dennoch mit einigen "kontrafaktischen" Überlegungen, was folgen könnte, nachdem er festgestellt hat, dass seine vier "apokalyptischen Reiter" in Zukunft wohl kaum mehr eine Rolle auf der Welt spielen werden – dass es also, so die logische Konsequenz aus seiner Sicht, nicht besonders gut aussieht für mehr Gleichheit in der Welt.
Und er schließt nach 650 Seiten Gewalt und Elend mit einer Bemerkung, die sich wie eine Drohung liest: "Wir sollten uns gut überlegen, was wir uns wünschen." Etwas hoffnungsvoller notiert er freilich auch: "Die Geschichte entscheidet nicht über die Zukunft."
In einer Zeit, in der die reichsten 62 Personen auf der Welt so viel besitzen wie die ärmere Hälfte der Menschheit, sind das Bemerkungen mit Sprengkraft. Sie stehen am Ende einer stark durchdeklinierten starken These. Sie sollte zum Ausgangspunkt ebenso stark vorgetragener kritischer Fortsetzungen werden, in denen die radikalen Veränderungen der Gesellschaften der letzten 50, 20, zehn Jahre in den Mittelpunkt rücken. Vielleicht können wir dann klarer entscheiden, was wir uns wirklich wünschen. Und danach handeln.