Ausbruch aus der Großstadt-Blase
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Durch Ostdeutschland tingeln, sieben Wochen und einen Tag: Vor den Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen will der Journalist Paul Hildebrandt den Menschen nah kommen – und seine Identität als Wessi reflektieren.
Journalismus ist ein Handwerk. Das findet zumindest Paul Hildebrandt, der gerade seinen Abschluss an der Evangelischen Journalistenschule gemacht hat. Wie andere Gesellen will auch Hildebrandt auf die Walz – ein Brauch, bei dem Handwerker nach Abschluss ihrer Lehrzeit für drei Jahre und einen Tag auf Wanderschaft gehen. Zu Fuß und oft mit dem Zelt im Gepäck soll ein Geselle so das Land kennen lernen und seine Fähigkeiten verfeinern.
Paul Hildebrandt ist überzeugt, dass dieser Brauch auch Journalisten nur gut tun kann: "Bevor wir Journalisten weiter ins Berufsleben einsteigen, sollten wir Land und Leute kennen lernen, damit wir unser Handwerk auch anwenden können."
Hildebrandt will deshalb sieben Wochen und einen Tag lang umherziehen und Lokalredaktionen seine Dienste anbieten. Damit folgt er der Journalistin Jessica Schober, die sich bereits 2014 auf eine "Wortwalz" begeben hatte. Hildebrandt wird von seinen Erfahrungen außerdem auf seinem Blog "Ostwalz" berichten.
Als Region für seine Walz hat sich Hildebrandt den Osten Deutschlands ausgesucht. Er selbst stammt aus der Lüneburger Heide in Niedersachsen. Kurz vor dem Mauerfall geboren, habe er seine Identität als "Wessi" nie wirklich reflektiert, so Hildebrandt. Der Kontakt mit Ostdeutschland beschränkte sich bisher auf Klischees.
Mit seinem Projekt "Ostwalz" soll sich das ändern: "Ein großer Teil der Arbeit wird sein, auf Leute zuzugehen und ihnen zuzuhören", sagt Hildebrandt. In Sachsen, Brandenburg und Thüringen wird dieses Jahr gewählt. Das sei eine besonders spannende Zeit, um vor Ort und nah an den Menschen zu sein. Bis jetzt würden Journalisten ihre Großstadt-Blase leider zu selten verlassen, so Hildebrandt.
Ein Haufen Fragen im Gepäck
Seine Themen will sich Hildebrandt von den Menschen vor Ort holen. Die Reiseplanung hat er deshalb bewusst vage gehalten. "Ich werde mich treiben lassen, wandern und auch trampen. Wenn jemand dann sagt 'Komm mal mit in mein Dorf', dann muss ich mit."
Im Gepäck habe er aber auch natürlich einen "Riesenhaufen an Fragen: Was passierte nach der Wende? Wo haben die Leute das Gefühl, nicht gesehen zu werden? Wie ist es wirklich mit der Fremdenfeindlichkeit?"
Hildebrandt weiß, dass sein Projekt nicht nur positiv aufgenommen werden wird. "Westdeutsche, die mal erzählen, wie es 'dem Osten' so geht. Davon hat es in den letzten 30 Jahren wahrlich genug gegeben", schreibt er auf seinem Blog. Auf Twitter kritisierte ein Journalist aus Dresden seine Reise als "Safari durch Ostdeutschland".
Hildebrandt schreibt, er sei sich seiner Privilegien als weißer, in westdeutschland sozialisierter Mann durchaus bewusst. Auf seiner Walz werde er versuchen, das zu reflektieren. "Ich suche keine Klischees, sondern Begegnungen", so Hildebrandt.
Der "Safari"-Kritiker von Twitter hat Hildebrandt übrigens inzwischen auf ein Bier in Dresden eingeladen. Da werde er sicher mal vorbeischauen.
(rod)