Wandel des Hörfunks

Von Jürgen König |
Noch immer hören 80 Prozent der Menschen in Deutschland täglich rund drei Stunden Radio. Doch die Art, in der es genutzt wird, ändert sich. Hat das Radio eine Zukunft? Darum und um andere Fragen geht es bei dem Festival "Radio Zukunft" in der Berliner Akademie der Künste.
Grundlegendes wurde referiert und debattiert an diesem ersten der vier Festivaltage. Hat das Radio eine Zukunft? Noch immer hören rund 80 Prozent der Menschen in Deutschland täglich etwa drei Stunden Radio. Aber: Die Art, in der es genutzt wird, ändert sich.

Vor allem die 10- bis 40-Jährigen hören zunehmend "cross-medial"; sind über Facebook mit ihren Lieblingssendern vernetzt, kommentieren und bewerten Moderatoren und Musikauswahl, wünschen sich "ihre" Musik; viele Sender haben darauf mit interaktiven Programmen reagiert. Hat Radio eine Zukunft? "Aber ja!" - sagen die Radiomacher: Wenn es sich den neuen Bedingungen stellt. Die Umbrüche sind enorm.

Der Medienwissenschaftler Wolfgang Hagen rechnet vor, dass die Menschen in den Industriegesellschaften sich während der letzten 20 Jahre an sechs neue Bildschirmoberflächen hätten gewöhnen müssen, seien inzwischen mit diesen medialen Angeboten und Gerätschaften und den daraus resultierenden technischen und sozialen Praktiken "völlig überfordert", könnten ihnen aber im Privaten wie im Berufsleben nicht mehr ausweichen.

"PC am Arbeitsplatz, der Laptop zu Hause, das iPad für die Tochter, der große neue digitale Fernseher im Wohnzimmer mit Internetanschluss und keiner weiß, wie es geht. Fünftens dann das iPhone für alle Telefonnummern und Kontakte und sechstens im Auto das Navigationsgerät.

Sechs Interfaces mit sechs Oberflächen, kreuz und quer vernetzt mit Inclouds und drop boxes und jeder einzelne für sich so kompliziert, dass er kaum selbst verstanden werden kann. Wir leben in einem konsumeristisch extrem dynamisch getriebenen Medienumbruch."

Während das werbefinanzierte Privatradio sich vor allem geschäftlich umorientieren muss, steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch inhaltlich vor enormen Herausforderungen. Überwiegend, so Wolfgang Hagen, seien noch die rundfunkästhetischen Vorstellungen der Sechzigerjahre allgegenwärtig: wonach die große Mehrheit der Hörer die Welt in einer "kognitiven Dissonanz" als unübersichtlich und unwirtlich empfindet und das Radio: als Gegenpol wahrnimmt, als Medium des Wohlfühlens, der Harmonie.

"Dissonanzen müssen ausgehalten und ausgetragen werden"
Ein "Klang gewordenes Mood-, also Stimmungs-Management" seien die privaten wie auch die öffentlich-rechtlichen Programme heute geworden; von Programmdirektoren ausgerichtet nach den Umfrageergebnissen der Trendforschung, die vermeintlich genau zeigen, "was die Leute hören wollen". Ein Modell für das Radio der Zukunft sei das nicht.

"Die Arche, auf die wir das Radio also in den nächsten Jahrzehnten mitzunehmen haben, muss indessen eine Arche sein der Souveränität und der furchtlosen Dissonanz. Denn eines weiß die Forschung über kognitive Dissonanzen schon lange: Durch Berieselung mit Konsonanz und Affirmation des Immergleichen wird keine Dissonanz gelöst. Dissonanzen müssen ausgehalten und ausgetragen werden. Die Audiokunst ist da kein schlechter Lehrmeister."

Wobei Audiokunst - Hörspiele, Live-Performance, Klangkunst - nur Beispiele wären für ein "souveränes", eben eigenständiges Auftreten der öffentlich-rechtlichen Programme im allgemeinen, der Kulturprogramme im besonderen. Mit Verve erinnert der Rechtswissenschaftler Dieter Dörr an die entsprechenden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

"Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist elementar damit beauftragt, neben der Information, also Demokratieauftrag, auch seinen kulturellen Auftrag zu erfüllen. Den sieht es darin, dass der Rundfunk seine Programme an den überkommenen kulturellen Werten auszurichten hat und die gesamte Bandbreite der Kultur widerzuspiegeln hat."

Die Öffentlich-Rechtlichen sollten auf Werbung verzichten, sagt Dieter Dörr und bekommt Applaus dafür. Im Saal sind sich alle einig: Der medialen Berieselung das sogenannte "Anspruchsvolle", "Gehobene", auch "Schräge" entgegensetzen, ohne auf die
Quoten zu schielen.

Das Kulturradio nicht dem "Mood-Management" unterwerfen, sondern das Kulturelle daran ernst nehmen, seine Stärken herausstellen, Neues ausprobieren. Wie oft ist das schon oft gefordert worden.


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