Wandernde Künstler
Die Peredwischniki, zu deutsch: Wanderer, zählen zu den bedeutendsten russischen Sezessionsbewegungen des 19. Jahrhunderts. Mit Porträts, Landschafts- und Genredarstellungen wandte sich diese Künstlergruppe ähnlich wie die französischen Realisten gegen die in Form und Inhalt erstarrte traditionelle Akademiemalerei.
Man muss kein ausgemachter Liebhaber von realistischer Kunst des 19. Jahrhunderts sein, um von dieser Malerei fasziniert zu werden. Nolens volens ertappt man sich dabei, dass die Maltechnik, die virtuose Komposition, die Farben und die bestechend herausgearbeitete Psychologie der Figuren und die Stimmung der Landschaften in ihren Bann schlagen, obwohl man die Zeiten dieser künstlerischen Haltung längst vergangen weiß. Die Peredwischniki unterscheiden sich auf den ersten Blick auch nicht wesentlich von den anderen Sezessionsbewegungen in Europa, der Schule von Barbizon vor allem, aber auch ihren Pendants zwischen Skandinavien und Italien. Auch die russischen Realisten opponierten gegen ein erstarrtes, lediglich an antiken Studien interessiertes Akademiesystem, wie es unter Aufsicht der Zarenfamilie in Sankt Petersburg installiert war.
"Um 1860 gab es in Russland neben den an vielen Orten ( ... ) beheimateten Schulen für Ikonenmaler nur zwei Möglichkeiten, sich als Künstler auszubilden. In diesem Riesenreich war es nur an der kaiserlichen Kunstakademie in St. Petersburg möglich, eine künstlerische akademische Ausbildung zu absolvieren. Dieses Studium dauerte bis zu 15 Jahre. Die Kunstakademie stand natürlich unter dem Einfluss der Zarenfamilie, und während des Unterrichts war zum Beispiel immer ein Polizist anwesend,"
erläutert Beate Ritter, die Kuratorin der Chemnitzer Ausstellung, die zum ersten Mal in Deutschland das Phänomen des russischen Realismus in der Malerei in dieser Breite beleuchtet. In der russischen Musik und Literatur gibt es zu dieser Zeit einen Tolstoi, Dostojewski, Tschechow oder einen Rimski-Korsakow. Unter den Bildenden Künstlern finden sich - scheinbar - keine vergleichbar klingenden Namen, völlig zu Unrecht. Ilja Repins monumentales Gemälde "Die Wolgatreidler" von 1870 bi 73 hat vermutlich jeder schon einmal in irgendeiner Reproduktion gesehen, es ist sozusagen eine nationale Ikone Russlands geworden. Aber sein Name ist bei weitem nicht so geläufig. Völlig zu Unrecht. Repin ist ein Maler, der einem Edouard Manet in Genialität in nichts nachsteht, und entsprechend bilden seine wichtigsten Arbeiten auch einen Schwerpunkt dieser Ausstellung. Repin hatte die Künstler-Genossenschaft der Peredwischniki zwar nicht mitbegründet, war aber bald ihr bekanntester und herausragender Vertreter aller zentralen Themen dieser Gruppe.
"Es ist einmal die Schönheit und Großartigkeit der heimatlichen Landschaft - dieser Begriff Heimat, der in Russland eine sehr große Rolle spielt. Es sind Bilder von Armut und Gefangenschaft. Es sind Porträts kultureller Größen und anonymer Massen, es sind auch Motive der russischen Geschichte und Mythologie und Folklore."
Das Phänomen der Peredwischniki liegt nicht nur in der hohen Qualität der Ausbildung, die sie an der Petersburger Akademie oder der etwas freieren Moskauer Hochschule für Malerei, Bildhauerei und Architektur genossen hatten. Es liegt auch darin begründet, dass bei aller Skepsis um die neue Richtung die Akademien ihre einstigen Schüler doch nie ganz aus den Augen verlieren wollte und sich schließlich auch darum bemühte, sich zu erneuern und einige der "Wander-Künstler", wie sich die Peredwischniki übersetzt nannten, als Lehrer und Mitglieder an sich zu binden. Sie förderten durch Stipendien teilweise sogar die Kontakte mit den französischen Einflüssen, und die Zarenfamilie wie auch reiche Sammler wie Pawel Tretjakow kauften vorbehaltlos ihre Werke.
"Und sie waren auch, heute würde man sagen, sehr Marketing begabt, denn 1871 bereits gaben sie ihrem Katalog einen Pressespiegel des Vorjahres bei. Also sie waren ganz auf der Höhe der Zeit und natürlich kommerziell erfolgreich. Die Mitglieder der Peredwischniki verkauften ihre Gemälde an die zaristische Familie genau so wie an Großfürsten, an das Bürgertum oder an Museen, und die andere Sammlung, die parallel in Moskau entstand ( ... ) war die Unternehmer Pawel Tretjakow, der sehr früh schon ( ... ) aus den Ausstellungen heraus meist sofort in Konkurrenz mit dem Zaren ( ... ) Bilder kaufte."
Ein zweites Phänomen der Peredwischniki, das sie von ihren westeuropäischen Kollegen unterscheidet, ist die Koppelung von nationalen und religiösen Themen. Schon bei Dostojewski war es immer wieder um die religiöse Erneuerung der russischen Nation gegangen, die er als "auserwähltes Volk" bezeichnete. Ilja Repins "Wolgatreidler" beschwören das Erbarmen mit dem Leiden der verarmten Landbevölkerung; Isaak Lewitan, der herausragende Meister der zweiten Generation, hat mit seiner Landschaftsmalerei wie dem "Stillen Kloster" von 1890 moderne Andachtsbilder der Verschmelzung von Heimat und Geistlichkeit geschaffen.
Hinzu kommen Porträts von Bauern, Ikonenmalern, gottesfürchtigen Landmenschen etwas von Iwan Kramskoj oder Wladimir Makowski, die von einer spiritueller Inbrunst durchdrungen zu sein scheinen, die man aus der Vormoderne des Westens nicht kennt. Freilich wandten sich manche einstigen Realisten dann in der späteren Sowjetunion dem ganz und gar unreligiösen Sozialistischen Realismus zu.
Für Ingrid Mössinger, die politisch gut vernetzte Direktorin der Kunstsammlungen Chemnitz, haben, dürfte diese Ausstellung wohl ihr größter Coup sein, freilich ein Kraftakt, der ihr Haus inhaltlich und logistisch teilweise überfordert haben dürfte. Die riesigen vergoldeten Bilderrahmen aus den russischen Museen mussten für Chemnitz teilweise demontiert werden, weil die Eingänge zu den Ausstellungssälen zu klein waren; zum Katalog hat kein deutscher Wissenschaftler etwas beigetragen, obwohl es durchaus wichtige Verbindungen zwischen russischen und deutschen Realisten gab, ein sicheres Indiz dafür, dass Chemnitz in der Konzeption der Ausstellung neben der Moskauer Tretjakow-Galerie, dem Staatlichen Russischen Museum in St. Petersburg und dem Nationalmuseum Stockholm keine Rolle spielte, sondern sie als untergeordnetes Museum nur beherbergen darf. Doch die Bilder rechtfertigen dies allemal.
Kunstsammlungen Chemnitz
"Um 1860 gab es in Russland neben den an vielen Orten ( ... ) beheimateten Schulen für Ikonenmaler nur zwei Möglichkeiten, sich als Künstler auszubilden. In diesem Riesenreich war es nur an der kaiserlichen Kunstakademie in St. Petersburg möglich, eine künstlerische akademische Ausbildung zu absolvieren. Dieses Studium dauerte bis zu 15 Jahre. Die Kunstakademie stand natürlich unter dem Einfluss der Zarenfamilie, und während des Unterrichts war zum Beispiel immer ein Polizist anwesend,"
erläutert Beate Ritter, die Kuratorin der Chemnitzer Ausstellung, die zum ersten Mal in Deutschland das Phänomen des russischen Realismus in der Malerei in dieser Breite beleuchtet. In der russischen Musik und Literatur gibt es zu dieser Zeit einen Tolstoi, Dostojewski, Tschechow oder einen Rimski-Korsakow. Unter den Bildenden Künstlern finden sich - scheinbar - keine vergleichbar klingenden Namen, völlig zu Unrecht. Ilja Repins monumentales Gemälde "Die Wolgatreidler" von 1870 bi 73 hat vermutlich jeder schon einmal in irgendeiner Reproduktion gesehen, es ist sozusagen eine nationale Ikone Russlands geworden. Aber sein Name ist bei weitem nicht so geläufig. Völlig zu Unrecht. Repin ist ein Maler, der einem Edouard Manet in Genialität in nichts nachsteht, und entsprechend bilden seine wichtigsten Arbeiten auch einen Schwerpunkt dieser Ausstellung. Repin hatte die Künstler-Genossenschaft der Peredwischniki zwar nicht mitbegründet, war aber bald ihr bekanntester und herausragender Vertreter aller zentralen Themen dieser Gruppe.
"Es ist einmal die Schönheit und Großartigkeit der heimatlichen Landschaft - dieser Begriff Heimat, der in Russland eine sehr große Rolle spielt. Es sind Bilder von Armut und Gefangenschaft. Es sind Porträts kultureller Größen und anonymer Massen, es sind auch Motive der russischen Geschichte und Mythologie und Folklore."
Das Phänomen der Peredwischniki liegt nicht nur in der hohen Qualität der Ausbildung, die sie an der Petersburger Akademie oder der etwas freieren Moskauer Hochschule für Malerei, Bildhauerei und Architektur genossen hatten. Es liegt auch darin begründet, dass bei aller Skepsis um die neue Richtung die Akademien ihre einstigen Schüler doch nie ganz aus den Augen verlieren wollte und sich schließlich auch darum bemühte, sich zu erneuern und einige der "Wander-Künstler", wie sich die Peredwischniki übersetzt nannten, als Lehrer und Mitglieder an sich zu binden. Sie förderten durch Stipendien teilweise sogar die Kontakte mit den französischen Einflüssen, und die Zarenfamilie wie auch reiche Sammler wie Pawel Tretjakow kauften vorbehaltlos ihre Werke.
"Und sie waren auch, heute würde man sagen, sehr Marketing begabt, denn 1871 bereits gaben sie ihrem Katalog einen Pressespiegel des Vorjahres bei. Also sie waren ganz auf der Höhe der Zeit und natürlich kommerziell erfolgreich. Die Mitglieder der Peredwischniki verkauften ihre Gemälde an die zaristische Familie genau so wie an Großfürsten, an das Bürgertum oder an Museen, und die andere Sammlung, die parallel in Moskau entstand ( ... ) war die Unternehmer Pawel Tretjakow, der sehr früh schon ( ... ) aus den Ausstellungen heraus meist sofort in Konkurrenz mit dem Zaren ( ... ) Bilder kaufte."
Ein zweites Phänomen der Peredwischniki, das sie von ihren westeuropäischen Kollegen unterscheidet, ist die Koppelung von nationalen und religiösen Themen. Schon bei Dostojewski war es immer wieder um die religiöse Erneuerung der russischen Nation gegangen, die er als "auserwähltes Volk" bezeichnete. Ilja Repins "Wolgatreidler" beschwören das Erbarmen mit dem Leiden der verarmten Landbevölkerung; Isaak Lewitan, der herausragende Meister der zweiten Generation, hat mit seiner Landschaftsmalerei wie dem "Stillen Kloster" von 1890 moderne Andachtsbilder der Verschmelzung von Heimat und Geistlichkeit geschaffen.
Hinzu kommen Porträts von Bauern, Ikonenmalern, gottesfürchtigen Landmenschen etwas von Iwan Kramskoj oder Wladimir Makowski, die von einer spiritueller Inbrunst durchdrungen zu sein scheinen, die man aus der Vormoderne des Westens nicht kennt. Freilich wandten sich manche einstigen Realisten dann in der späteren Sowjetunion dem ganz und gar unreligiösen Sozialistischen Realismus zu.
Für Ingrid Mössinger, die politisch gut vernetzte Direktorin der Kunstsammlungen Chemnitz, haben, dürfte diese Ausstellung wohl ihr größter Coup sein, freilich ein Kraftakt, der ihr Haus inhaltlich und logistisch teilweise überfordert haben dürfte. Die riesigen vergoldeten Bilderrahmen aus den russischen Museen mussten für Chemnitz teilweise demontiert werden, weil die Eingänge zu den Ausstellungssälen zu klein waren; zum Katalog hat kein deutscher Wissenschaftler etwas beigetragen, obwohl es durchaus wichtige Verbindungen zwischen russischen und deutschen Realisten gab, ein sicheres Indiz dafür, dass Chemnitz in der Konzeption der Ausstellung neben der Moskauer Tretjakow-Galerie, dem Staatlichen Russischen Museum in St. Petersburg und dem Nationalmuseum Stockholm keine Rolle spielte, sondern sie als untergeordnetes Museum nur beherbergen darf. Doch die Bilder rechtfertigen dies allemal.
Kunstsammlungen Chemnitz