Eine Kleinstadt entkommt dem Bevölkerungsschwund
Romantisch ist es hier – auch wenn das 4000-Seelen-Städtchen Wanfried im ehemaligen Zonenrandgebiet heute mit genau den Problemen zu kämpfen hat, die viele Orte abseits der Metropolen plagen: Sie schrumpfen und vergreisen. Denn die Jungen ziehen weg, und nur die Alten bleiben.
Der Name klingt vielversprechend: Wa(h)nfried.
Bei Wagner-Fans dürfte es jetzt "Klick" machen: "Wahnfried" heißt die Villa des weltberühmten deutschen Künstlers in Bayreuth. Benannt hat Wagner sie nach der nordhessischen Stadt Wanfried – für den Klang-Virtuosen der Inbegriff einer romantischen Fachwerkstadt.
Wanfried liegt im Nordost-Zipfel Hessens, direkt an der Werra, im ehemaligen "Zonenrandgebiet". Der Ort ist geprägt von dem Niedergang der Industrie seit dem Fall der Mauer. Das Schmirgelwerk, die Großdruckerei, die zwei Möbelproduzenten: Haben alle dicht gemacht. Genau wie der Bahnhof. Da ist jetzt ein Altersheim drin.
Bürgergruppe wurde anfangs belächelt
5000 Einwohner hatte Wanfried Ende der 80er-Jahre. In den vergangenen 20 Jahren hat der Ort 700 Einwohner verloren. Doch inzwischen kämpft die "Bürgergruppe für den Erhalt Wanfrieds" mit Erfolg gegen den Bevölkerungsschwund in dem Fachwerk-Städtchen. Die Zimmermanns-Tochter Diana Wetzestein, deren Familie seit hunderten von Jahren im Ort lebt, engagiert sich dort.
"Die Bürgergruppe selber is natürlich auch belächelt worden. Weil: Wir sind keine Handwerker. Sind zwar vier Architekten in der Gruppe. Und Leute, die Fachwerkhäuser besitzen und auch viel umgebaut haben. Aber die Handwerker haben uns sehr belächelt und gesagt: Was wollen die? Die können das gar nich. Und hier kommt eh keiner her."
Mehr als 50 Fachwerkhäuser hat die Bürgergruppe in den letzten zehn Jahren vermittelt. Mit Unterstützung durch den Bürgermeister Wilhelm Gebhard. Nun halten sich Zu- und Weg-Züge in Wanfried wieder die Waage. Gebhard freut sich über positive Nachrichten: wieder 700 versicherungspflichtige Arbeitsplätze, der boomende Tourismus, das BAP-Konzert unten an der Werra diesen Sommer. Der CDU-Mann rattert die Eckdaten von Wanfrieds Wiedergeburt förmlich runter.
Andere mögen nur reagieren, Wilhelm Gebhard aber will agieren.
"Die ganze Region Mitteldeutschland, die vom Fachwerk geprägt ist. Süd-Niedersachsen, das östliche Nordrhein-Westfalen, das nördliche Hessen, das westliche Thüringen – die haben ja alle das gleiche Problem: Demografischer Wandel. Auch Leerstände zu beklagen bei Fachwerk-Immobilien. Und wir haben uns dort in den letzten Jahren auch ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet – durch unsere Initiative der aktiven Vermarktung dieser Objekte."
Staunen über die niedrigen Preise
Über pfiffige Werbekampagnen im Internet haben die Wanfrieder auf sich aufmerksam gemacht und Menschen aus dem Großraum Frankfurt, aus dem Ruhrgebiet sowie aus den Niederlanden angelockt. So wie Ellen Holland. Seit vier Jahren lebt die Frau mit der Kurzhaar-Frisur nun schon in Wanfried. Außerplanmäßig. Eigentlich wollten sie und John, ihr Partner, nur ein Ferienhaus kaufen. Haben sie auch getan, 2011 – bis sie feststellten, dass es ihnen in Wanfried besser gefiel als in den Niederlanden.
"Die Preise, wo man hier nen Haus mit nem Grundstück kauft: Dafür kriegt man in Holland noch nich mal ne Garagen-Box. Ich hatte zum Beispiel in Holland ein Einfamilienhaus. Nix Besonderes. Kein großer Garten, nur ne kleine Terrasse. Und tja: Platz für ein Auto. Das war ja fast 280.000 Euro. Und wenn man das Haus hier zum Beispiel in ner Zwangsversteigerung für 10.000 Euro kauft – dann denkt man: Äh?! Da kommt man aus dem Staunen nidd mehr raus."
So erwacht Wanfried zu neuem Leben.
Online-Text: cwu
Hier finden Sie das vollständige Manuskript als pdf-Version und im barrierearmen txt-Format.
(Wiederholung vom 6.9.2016)