Warschauer Aufstand

Späte Genugtuung für eine Partisanin

Wanda Traczyk-Stawska, Soldatin der polnischen Heimatarmee während des Warschauer Aufstands.
Wanda Traczyk-Stawska, Soldatin der polnischen Heimatarmee während des Warschauer Aufstands. © Deutschlandradio / Sabine Adler
Von Sabine Adler · 31.07.2015
Bereits mit 14 Jahren kämpfte die Polin Wanda Traczyk-Stawska gegen die deutschen Besatzer. Später verschaffte sie den gefallenen Kameraden ein Grab. Am 71. Jahrestag des Warschauer Aufstands wird sie die Toten zusammen mit dem polnischen Präsidenten ehren.
Punkt 17 Uhr wird es morgen in Warschau mucksmäuschenstill, danach ertönen Sirenen. Ein Ritual zu Ehren der Gefallenen des Warschauer Aufstands, der am 1. August begann und 63 Tage dauerte.
Die Deutschen waren nicht nur brutale Besatzer, sie rächten sich auch bitter für den offenen polnischen Widerstand, töteten über 100.000 Menschen. Viele Warschauer haben ihre letzte Ruhestätte in Massengräbern gefunden. In einer Sisyphusarbeit werden die Namen der Toten ausfindig gemacht und auf den Grabsteinen vermerkt.
Sabine Adler hat eine Kämpferin des Aufstandes getroffen, die seit Jahrzenten versucht, den vielen namenlosen Toten wieder ein Gesicht zu geben.
Wanda Traczyk-Stawska mit Zettel des Gelübde-Textes.
Wanda Traczyk-Stawska mit Zettel des Gelübde-Textes.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Der Beitrag im Wortlaut:
"Ich habe den ehrlichen Willen, Gott und Polen zu dienen, meinen Mitmenschen zu helfen und nach unserem Gesetz zu leben."
Dieses Gelübde hat Wanda Traczyk-Stawska vor 74 Jahren abgelegt. Damals war ihre Heimatstadt Warschau bereits das dritte Jahr in Folge von den Nazis besetzt, die ein brutales Regime führten. Wanda wollte die Deutschen bekämpfen, ihre Willkür, Gewalt, das Morden. Doch sie war zu jung. Mit 12 bat sie das erste Mal um die Aufnahme bei den Grauen Reihen, der Jugendorganisation der konspirativen Heimatarmee. Man wies sie ab, sie sollte lernen, in die Schule, nicht kämpfen im Untergrund. Doch mit 14 durfte sie den Eid sprechen. Damals hielt sie denselben Zettel mit den Geboten in der Hand wie heute, sie hat ihn gehütet wie einen Schatz, denn das Ehrenwort, das sie schwor, gilt für sie bis zum heutigen Tag, der Auftrag ihres letzten Kommandeurs war heilig:
"Ich habe seinen Befehl erst vor einem Jahr erfüllen können. Bekommen habe ich ihn 1947, als ich endlich meine Kameraden in Warschau wiedersah. Er erteilte mir und einem Kameraden den Auftrag, die Gräber unserer Kampfgefährten zu finden. Während des Aufstands haben wir sie nur notdürftig in Decken wickeln und begraben können, meist dort, wo wir gerade gekämpft haben, es musste schnell gehen. Doch als wir wiederkamen, gab es die Gräber nicht mehr. Sie waren umgebettet worden in Massengräber ohne Namen. Das war die Politik der sozialistischen Volksrepublik Polen gegenüber der von ihnen ungeliebten Heimatarmee. Aber wir machten mit Hilfe des Roten Kreuzes ausfindig, welche Gefallenen wo gefunden und neu begraben wurden."
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Lange Reihen frischer Grabsteine
Mehrere Jahrzehnte hat Wanda Traczyk-Stawska gebraucht, um all ihren Kameraden wie versprochen ein Grab mit Namen zu verschaffen. Im vergangenen Jahr, pünktlich zum 70. Jahrestag, meldete sie Vollzug. Kein geringerer als Polens Präsident Komorowski dankte ihr.
"Viele Menschen und Organisationen haben sich um den Erhalt des Friedhofes verdient gemacht, aber ich möchte Wanda Traczyk-Stawska besonders hervorheben. Sie, liebe Wanda, waren eine der jüngsten Soldatinnen im Warschauer Aufstand. Als Oberbefehlshaber der polnischen Armee stelle ich fest, liebe Wanda, dass Sie ihren Befehl mehr als nur erfüllt haben."
Für die ehemalige Lehrerin war das ein großer Moment. In weißer Bluse mit der rot-weißen Armbinde der Kämpfer der Heimatarmee stand sie auf dem Friedhof des Warschauer Aufstandes und betrachtete ihr Lebenswerk: vielen lange Reihen frischer Grabsteine alle mit Dutzenden von Namen versehen.
"Erst letztes Jahr bekamen meine Freunde ihre Identität zurück. 14 von ihnen liegen jetzt zusammen als Trupp am Friedhof der Aufständischen von Warschau, alle Gräber sind mit ihren vollen Namen und jeweiligen Dienstgraden versehen."
Als Mädchen schwierige Botschaften überbracht
Schon als Kinder waren sie für den Untergrund tätig. Wenn sie scheinbar harmlos auf der Straße spielten, scannten sie in Wirklichkeit die deutschen Passanten, deren Uniformen, Rangabzeichen, machten Meldung.
"Als ich älter war, wurde der Dienst schwieriger. Ich musste Briefe überbringen an Deutsche, die besonders grausame Besatzer waren, aber auch an Polen oder Volksdeutsche, die Juden verraten oder erpresst haben. Falls sie nicht aufhörten, so grausam zu sein, würden sie hingerichtet werden. Ich stellte also Todesurteile des polnischen Untergrundgerichtes zu, die vollstreckt wurden, wenn sich ihr Verhalten nicht änderte."
Keiner der Empfänger erwartete von dem kleinen Mädchen, das mit den blonden Zöpfen aussah wie ein Unschuldslämmchen, derart ernstzunehmende Botschaften, gerade deshalb bekam sie diese Aufträge.
"Das waren die schwierigsten Befehle, die ich je ausführen musste. Im Vergleich dazu war der Aufstand ein Zuckerschlecken. Bei den Kämpfen hatte ich ja immer meine Waffe."
Morgen wird Wanda Traczyk-Stawska wieder auf dem Friedhof stehen, wenn Bronislaw Komorowski als eine der letzten Amtshandlungen als Präsident die Gefallenen des Warschauer Aufstands vor 71 Jahren würdigt.
"Was mich sehr glücklich macht ist, dass dieses Jahr die Namen meiner Kameraden einzeln verlesen werden. Sie werden zum Appell aufgerufen und die Antwort wird lauten: Sie fielen auf dem Feld der Ehre."
Offiziell hat der Präsident Wanda Traczyk-Stawska entpflichtet, den Auftrag hat sie erfüllt. Doch an Ruhestand denkt sie noch immer nicht.
"Jetzt geht es um die Gräber der Zivilbevölkerung. Von den 104.000 Menschen waren über 80. 000 Zivilisten. 104.000 Ziegel sollen eine Wand von anderthalb Kilometern bilden.”
Wanda Traczyk-Stawska, die im Warschauer Auftstand gegen die deutschen Besatzer kämpfte, mit unserer Osteuropa-Korrespondentin Sabine Adler. 
Wanda Traczyk-Stawska mit unserer Osteuropa-Korrespondentin Sabine Adler. © Deutschlandradio / Sabine Adler
Der Sohn lebt heute in Deutschland
Als junges Mädchen hat sie die Vernichtung Warschaus, erst der Menschen, dann der Häuser durch die Nazis erlebt. Seitdem ihr Sohn nach Mannheim zog, besucht sie regelmäßig Deutschland, was ihr bis heute nicht leicht fällt.
"Wenn dort junge Leute Deutsch sprechen, das ist in Ordnung. Aber ältere Menschen, vor allem Männerstimmen, wecken schlimme Erinnerungen und dann frage ich mich: Und was hast du während des Krieges gemacht?"
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