Es war ein aussichtsloser Kampf, eine Tragödie. Es ging nicht um einen Sieg. Es ging um die Art des Sterbens. Aufrecht, mit der Waffe in der Hand, nicht wehrlos in den Gaskammern von Treblinka.
Und doch – oder gerade deswegen - ist der Aufstand im Warschauer Ghetto, der am 19. April 1943 begann, ein Ereignis von enormer Strahlkraft. Der größte bewaffnete jüdische Widerstandsakt während der Nazi-Besatzung Europas. Und ein Symbol, war doch das Kräfteverhältnis der Gegner radikal ungleich. Hier schlecht bewaffnete, hungrige, ausgemergelte jüdische Kämpfer – dort Deutsche in voller Kriegsausrüstung und weit in der Überzahl.
Die deutsche Besatzungsmacht hatte 1940 einen sogenannten jüdischen Wohnbezirk nordwestlich des Warschauer Stadtzentrums errichten lassen, in den alle außerhalb davon lebenden Juden umziehen mussten. Von einer hohen Mauer umgeben, wurde das Ghetto im November 1940 abgeriegelt.
Über 380.000 Menschen lebten dort eingeschlossen auf engstem Raum, laut dem Historiker Markus Roth zeitweise rund 150.000 Menschen auf einem Quadratkilometer, manchmal teilten sich 13 Personen ein Zimmer. Viele starben an Hunger, Entkräftung, Typhus. Mehr als 300.000 Männer, Frauen und Kinder wurden 1942 und 1943 deportiert und in den Gaskammern von Treblinka ermordet, Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns. Im April 1943 befanden sich dann noch etwa 56.000 Menschen im Ghetto, das auf Befehl des SS-Chefs Heinrich Himmlers endgültig liquidiert werden sollte.
Der Tod kommt ohnehin
Doch im Ghetto hatte sich Widerstand um die "Jüdische Kampforganisation" und den "Jüdischen Militärverband" formiert, zumeist waren es junge Leute, die ihre Familien schon verloren hatten. Nach der Massen-Deportation in den Sommermonaten 1942 hatte sich bei den jungen Menschen die Überzeugung durchgesetzt, dem Tod ohnehin nicht entrinnen zu können.
Im eigentlichen Sinne kämpfen können jedoch nur ein Bruchteil der verbliebenen Ghettobewohner. Historikern zufolge waren tausend, vielleicht auch 1.500 von ihnen bewaffnet und aktiv beteiligt.
Es gab viele Gründe, an den Deutschen Rache nehmen zu wollen: Entwürdigung, Raub, Verelendung, Folter, Mord. Manches spielte sich im Ghetto täglich und vor aller Augen ab: Der Hunger etwa, der so massiv war, dass jüdische Ärztinnen und Ärzte im Ghetto eine medizinische Studie über den qualvollen Tod anlegten.
Hass auf die Deutschen
"Ich glaube, der Hass auf die Deutschen war einfach so groß, dass die Menschen kämpfen wollten. Der Wunsch, endlich einen toten Deutschen zu sehen, sich zu widersetzen – der war außergewöhnlich stark", sagt die Holocaustforscherin Barbara Engelking.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum 80. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto um Vergebung gebeten für die Verbrechen der deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg. "Ich stehe heute vor Ihnen und bitte um Vergebung für die Verbrechen, die Deutsche hier begangen haben", sagte Steinmeier in der polnischen Hauptstadt. "Die entsetzlichen Verbrechen, die Deutsche hier verübt haben, erfüllen mich mit tiefer Scham." Steinmeier sprach als erster deutscher Repräsentant bei der offiziellen Gedenkfeier zur Erinnerung an den Aufstand im Warschauer Ghetto am historischen Ort. Am Denkmal für die Helden des Ghettos in Warschau, das in Deutschland vor allem durch den Kniefall des früheren Kanzlers Willy Brandt (SPD) bekannt wurde, gedachte er gemeinsam mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda und dem israelischen Präsidenten Isaac Herzog der Opfer der Nationalsozialisten.
Die Widerständler stellten Kontakt zur polnischen Untergrundbewegung her, versuchten Geld aufzutreiben, um Waffen kaufen zu können. Im Januar 1943 kommt es dann zur Probe aufs Exempel. Die deutschen Besatzer wollen rund 8.000 Menschen aus dem Ghetto deportieren und so SS-Chef Heinrich Himmler besänftigen, der sich über den "illegalen" Aufenthalt von Juden im Ghetto empört hat. Doch die Aktion misslingt. Die Ghetto-Bewohner halten sich versteckt, die Soldaten werden angegriffen. Nach wenigen Tagen ziehen sie sich zurück.
"Daraus hat sich eine neue Dynamik im Ghetto entwickelt, weil die Menschen gesehen haben: Wir können etwas erreichen, wir können die Deutschen treffen", sagt Roth, der ein Buch über das Ghetto geschrieben hat. Barbara Engelking beurteilt das ähnlich: „Das hat sich enorm positiv ausgewirkt auf Ausmaß und Akzeptanz des Widerstands im Ghetto. Und für den polnischen Untergrund war das ein Signal, dass die Juden wirklich kämpfen wollen."
Im Ghetto herrscht indes Gewissheit, dass es sich nur um eine Atempause handelt, die Deportation auch der letzten Bewohner unmittelbar bevorsteht. So setzt eine immense Bautätigkeit ein, Bunker und Verstecke werden angelegt, die Wände in Kellern und Dachböden eingerissen.
Tunnel zur sogenannten "arischen Seite"
Die "Jüdische Kampforganisation" bereitet sich nun intensiv auf den bewaffneten Widerstand vor. Kampfeinheiten werden gebildet, Tunnel zur sogenannten "arischen Seite" gegraben. Spreng- und Brandsätze mit einfachsten Mitteln gebastelt: mit Flaschen, Glühbirnen, Rohren. Mithilfe der polnischen Heimat-Armee werden Waffenschulungen organisiert, wobei vieles nur theoretisch geübt werden kann.
Die Deutschen lassen sich nach den Ereignissen vom Januar zunächst nicht mehr im Ghetto blicken. Am 19. April jedoch, kurz vor Beginn des jüdischen Pessachfests, wird das Gelände umstellt, und Polizei-, SS- und Wehrmachtseinheiten dringen gegen vier Uhr früh in das Ghetto ein: ausgestattet mit Panzerwagen, Panzern, Maschinenpistolen, Flammenwerfern.
Brandsätze gegen Maschinenpistolen
Sofort treffen sie auf Widerstand: Sie werden beschossen, mit Brandsätzen und Granaten bekämpft und ziehen sich zurück. Ein immenser Erfolg für die Ghettokämpfer. Noch am Nachmittag des 19. April übernimmt der SS- und Polizeiführer Jürgen Stroop das Kommando. Doch auch unter seiner Führung sind die Einheiten zunächst zum Rückzug gezwungen.
"Es war eine Überraschung für die Deutschen", berichtete Marek Edelman später, einer der wenigen überlebenden Anführer des Ghettoaufstands. "Die Soldaten hatten Angst, dass sie von uns getroffen, erschossen werden. Also flüchteten sie. Die Straße gehörte uns. Und das war eine große Genugtuung. Keiner hatte geglaubt, dass man mit ein paar selbstgebastelten Handgranaten und einigen Pistolen eine so große Zahl von gut bewaffneten Soldaten in die Flucht schlagen konnte."
Doch in den Folgetagen werden die Besatzer immer unerbittlicher. 27 Tage lang stellen sich die Aufständischen der deutschen Übermacht. Auf Dauer haben sie aber keine Chance.
Deutsche Übermacht: Die Besatzer suchten im Ghetto nach den Verstecken der Jüdinnen und Juden, um sie dann zu deportieren und zu ermorden.© imago / ITAR-TASS
Bald beginnen SS und Waffen-SS mit Flammenwerfern ganze Häuserzeilen in Brand zu stecken, die Menschen herauszutreiben und zu erschießen. In einem Bericht des SS-Führers Stroop heißt es: "Es war nicht selten, daß die Juden in den brennenden Häusern sich so lange aufhielten, bis sie es wegen der Hitze und aus Angst vor dem Verbrennungstod vorzogen, aus den Stockwerken herauszuspringen (…). Mit gebrochenen Knochen versuchten sie dann noch über die Straße in Häuserblocks zu kriechen, die noch nicht oder nur teilweise in flammen (sic!) standen. Zahlreiche Juden (…) wurden in Kanälen und Bunkern durch Sprengungen erledigt."
Selbstmord im Bunker
Fast 7000 Ghetto-Bewohner starben während des Aufstands. Die letzten verbliebenen 50.000 wurden in Vernichtungslager deportiert und ermordet. Am 16. Mai 1943 meldete Jürgen Stroop die erfolgreiche Liquidierung des Ghettos. Als Schlussakt ließ er die Große Synagoge von Warschau sprengen. Das Ghetto-Viertel wurde dem Erdboden gleichgemacht.
Marek Edelman, damals 23 Jahre alt, konnte mit einigen wenigen Kämpfern durch die Kanalisation aus dem Ghetto entkommen und schloss sich dem polnischen Widerstand an. Der 24-jährige Mordechaj Anielewicz, auch er ein Kommandeur des Aufstandes, beging mit seinen Leuten Selbstmord, als ihr Bunker in der Miłastraße 18 entdeckt wurde. In einem seiner letzten Briefe heißt es:
Der Traum meines Lebens ist endlich wahr geworden. Die Selbstverteidigung im Ghetto wurde Realität. Ich war Zeuge dieses großartigen, heroischen Kampfes.
Quellen: Johanna Herzing, Doris Liebermann, ahe, epd