Die bayerische Wirtschaft wird nervös
07:00 Minuten
Mancher mag aufgeatmet haben, als der Brexit erneut verschoben wurde. Doch die Unsicherheit bleibt. Wirtschaftsvertreter reagieren zunehmend ungehalten. Ein Besuch in Deutschlands Export-Bundesland Nr. 1: Bayern.
Jürgen Götz, der Bürgermeister von Veitshöchheim, muss möglicherweise bald eine schwierige Entscheidung treffen:
"Bei mir im Rathaus liegt ein Antrag vor, Theresa May dann nach dem Brexit zur Ehrenbürgerin der Gemeinde Veitshöchheim zu ernennen."
Ist natürlich nicht ganz ernst gemeint. Schließlich ist Veitshöchheim Bayerns Faschings-Hochburg. Aber wenn Großbritannien tatsächlich aus der Europäischen Union ausscheidet, dann liegt der neue geografische Mittelpunkt der EU auf einem Acker bei Veitshöchheim in Unterfranken.
"Nämlich genau dort, wo dieser Stein liegt. Ja, das wird natürlich zur Folge haben, dass viele Menschen herkommen. Also, es könnte was werden mit dem Brexit. Von uns aus ... "
Die Kleinstadt im Norden Bayerns könnte wirtschaftlich vom Brexit profitieren. Der Rest des Freistaates hofft eher darauf, dass die Briten in der EU bleiben. Oder wenigstens ohne Chaos "Cheerio" sagen. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger warnt:
"Wir nehmen die Entwicklung sehr ernst, wir sehen hier Milliardenschäden auf die bayerische Wirtschaft zukommen, wenn hier keine Ordnung reinkommt."
Im schlimmsten Fall Milliardenschäden für Bayern
Das Münchner Wirtschaftsinstitut ifo hat berechnet, wie teuer ein harter Brexit für die bayerische Wirtschaft werden könnte. Ergebnis: rund 1,4 Milliarden Euro weniger Wirtschaftsleistung pro Jahr. Der Ökonom Gabriel Felbermayr vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (ifw) sieht vor allem die Gefahr, dass internationale Wertschöpfungsketten bayerischer Unternehmen reißen.
"Und in einem solchen Worst-case-Szenario, dann käme es zu den 1,4, vielleicht 1,8 Milliarden Euro Schaden für die bayerische Wirtschaft. Das heißt, der Brexit trägt bei zu einem hohen Brutto."
Denn Bayern ist das exportstärkste deutsche Bundesland — und Großbritannien ist Bayerns viertgrößter Ausfuhr-Markt. Vor allem Autos und Flugzeuge — oder Teile davon — exportiert der Freistaat auf die Insel. Oder auch Dienstleistungen — wie der Münchner Familienunternehmer Eberhard Sasse. Er will auf keinen Fall einen harten Brexit:
"Das kostet einen Haufen Geld, das kostet Personalkapazität, da müssen Millionen von Zollanmeldungen gemacht werden, Millionen von Ursprungszeugnissen ausgestellt werden. Wir haben das mal für einen Betrieb hochgerecht, der allein 100 mal 100 Sendungen nach Großbritannien zu verkaufen hat. Da muss verzollt werden, Zoll gezahlt werden, Ursprungszeugnisse. Allein für Formalitäten, auch wenn die voll digital erledigt werden, muss eine 40-Stunden-Kraft eingestellt werden."
Das gilt für kleine Unternehmen. Für die großen sind die Kosten noch weit höher. Der Autobauer BMW beispielsweise betreibt in Großbritannien mehrere Produktionswerke. In Oxford etwa fertigen die Münchner den Kleinwagen Mini, eine britische Ikone und erfolgreiches Beispiel für deutsch-englische Industrie-Partnerschaft. Eigentlich. Aber das shakespearehafte Drama um "to brexit or not to brexit" verunsichert BMW. Der DAX-Konzern hat milliardenschwere Investitionen zurückgestellt, solange nicht klar ist, wie der Handel mit den Briten in Zukunft ablaufen soll. BMW spricht ungern über das Thema - eine Interviewanfrage dazu lehnt der Autobauer ab. Dabei ist das Unternehmen längst nicht das einzige in Bayern, das von einem harten Brexit hart getroffen würde. Tausende Firmen leiden unter der Unsicherheit, sagt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der bayerischen Wirtschaft (vbw).
"Es muss jedem große Sorgen machen. Einmal weil die direkte Wirkung und gerade auf Bayern betrachtet größer sind als in anderen Teilen der Bundesrepublik. Wir sind auf Wertschöpfungsketten heut angewiesen. Wenn es einen ungeregelten Brexit gibt, dann lebt man eine Weile von relativ unsicheren, vielleicht auch chaotischen Zeiten."
Britische und deutsche Unternehmer sind nervös
Die Unsicherheit ist überall zu spüren. Auch auf der BAUMA, der weltgrößten Baumaschinen-Messe in München. Am zentralen Stand der britischen Unternehmer in Halle C5 strahlt ein großer Union Jack, die britische Nationalflagge. Aber wer um ein Interview bittet, bekommt eine Abfuhr — und einen Eindruck von der Nervosität der britischen und deutschen Unternehmer.
Reporter: Is there anyone who can give any press information?"
"Go away! No no no. I don't know."
"You don't wanna say anything?"
"Machen Sie das Ding mal aus, und dann verabschieden wir uns."
"Sie haben bestimmt noch was anderes zu tun. Wir wollen Ihre Zeit nicht stehlen."
"Okay. Ich danke Ihnen."
"Go away! No no no. I don't know."
"You don't wanna say anything?"
"Machen Sie das Ding mal aus, und dann verabschieden wir uns."
"Sie haben bestimmt noch was anderes zu tun. Wir wollen Ihre Zeit nicht stehlen."
"Okay. Ich danke Ihnen."
Der Ton ist ganz und gar nicht höflich-britisch. Vielleicht ist es nur Zufall, aber der Geduldsfaden scheint auf beiden Seiten des Kanals angespannt zu sein. Auch in der Politik. Der bayerische Europapolitiker Manfred Weber, Spitzenkandidat der CSU bei der kommenden Europawahl, bewahrt nur mit Mühe seine Contenance:
"Die Briten verhandeln jetzt seit über drei Jahren mit der Europäischen Union. Wir erleben im britischen Parlament nur Neinsagerei, wir erleben im Parlament eine Regierung, die nicht handlungsfähig ist. Und deswegen ist es ja auch von uns Europäern eine ganz faire und normale Frage, bitte erklärt es uns endlich mal, sagt uns endlich mal, was ihr wollt."
"Die bayerische Wirtschaft wird es überleben"
Stand heute scheint ein harter Brexit abgewendet zu sein. Aber noch immer ist unklar, wie es weitergeht mit den Briten und Europa. Das Brexit-Match ist in der Verlängerung und steuert aufs Elfmeterschießen zu — was die Briten zusätzlich verunsichern dürfte. Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern sagt, die Staatsregierung in München sei auf alles vorbereitet: "Wir haben natürlich Notfallpläne, wo wir sagen: Was wäre wenn?"
Wie diese Notfallpläne genau aussehen, verrät er nicht. Nur so viel:
"Die bayerische Wirtschaft wird es überleben, aber sie wird Schrammen davontragen, aber gottseidank sind wir sehr mittelstandstark, da wird's vielleicht nicht ganz so hart kommen am Ende."
Mit anderen Worten - auf bayrisch: Nix is g'wiss! Sicher ist beim Brexit nur die Unsicherheit, sagt Bertram Brossardt von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft: "Alles andere aber heute vorauszusagen wäre das Orakel von Delphi, und das bin ich nicht."
Bleibt als einziger bayerischer Gewinner eines Brexit das Städtchen Veitshöchheim bei Würzburg - als neuer geografischer Mittelpunkt der EU. Aber selbst dort sagt Bürgermeister Götz:
"Schade, dass eine Institution wie die Europäische Union durch den Austritt Großbritanniens natürlich massiv geschwächt wird. Eine Institution, die uns über 70 Jahre Frieden, Freiheit und Wohlstand in Europa beschert hat, wobei wir natürlich schon immer wissen, dass wir im Herzen leben."
Und das mit oder ohne Briten.