Warten auf EU-Beitritt war für Kroaten "ermüdend und enttäuschend"
Viele Kroaten seien durch die Krise der Europäischen Union verunsichert, sagt die deutsch-kroatische Literaturwissenschaftlerin Alida Bremer. Bei dem Referendum zu einem Beitritt des Landes zur EU rechnet sie mit nur 60 Prozent Ja-Stimmen.
Marcus Pindur: Es wäre das 28. Land der Europäischen Union: Kroatien stimmt morgen über den Beitritt zur EU ab. Interessant wird es deshalb werden, weil dieses Referendum auch als ein Gradmesser gesehen werden wird: Wie attraktiv ist die Europäische Union in Zeiten der Krise? Der Beitrittsvertrag ist von der Regierung bereits unterschrieben worden, aber jetzt hat das Volk das letzte Wort, und da gab es in letzter Zeit auch viel Gegenwind. Wir sprechen jetzt mit der gebürtigen Kroatin Alida Bremer. Sie ist Literaturwissenschaftlerin und Autorin und lehrt in Münster. Guten Morgen, Frau Bremer!
Alida Bremer: Guten Morgen!
Pindur: Zunächst mal, wie tippen Sie denn, werden sich die Kroaten auch in Zeiten der Krise für die Europäische Union entscheiden?
Bremer: Ich hoffe, ich hoffe, aber Sie haben es schon angesprochen, es läuft eine ziemlich hitzige Debatte in Kroatien zurzeit darüber, und Sie sagten es auch in Ihrer Einführung, warum: Weil sich Europa insgesamt in einer Krise befindet oder wenigstens sich selbst ständig in der Krise inszeniert – und das hat auch viele Kroaten verunsichert.
Pindur: Diese Zustimmung zur Union, sagen Sie, die ist also jetzt im Moment eher verhalten?
Bremer: Die Umfragen sind sehr widersprüchlich. Es gibt sehr laute Gegner und ich glaube ziemlich viele stille Befürworter, die einfach dabei bleiben, Befürworter zu sein. Man muss aber dazu sagen, dass Kroatien seit zehn Jahren darauf wartet und die Leute ziemlich dieses Warten als ermüdend und enttäuschend empfunden haben, sodass die Befürworter – ich würde sagen, vor zehn Jahren gab es hundertprozentige Befürwortung – mittlerweile etwas müder geworden sind. Und dazu kam dann noch die Krise, sodass jetzt das Verhältnis wahrscheinlich 60 Prozent zu 40 Prozent für die Befürworter sein wird. Das ist so meine Prognose.
Pindur: Man ist also nicht mehr so euphorisch wie noch in der Anfangsphase der Erweiterung der EU.
Bremer: Genau.
Pindur: Und Sie sagen, diese Staatsschuldenkrise hat das Bild der EU auch verändert in Kroatien. Sind da Hoffnungen und Erwartungen geschrumpft, weil man zum Beispiel auch befürchtet, dass in Zukunft nicht mehr so viel über die EU umverteilt werden kann?
Bremer: Ja, das einerseits, andererseits gibt es auch Ängste, dass man sehr viel abgeben werden muss. Es gibt Ängste, dass man von der Souveränität etwas mehr abgeben wird, als einem lieb wäre, das ist eher die nationalistische Seite, die davor Angst hat. Dann gibt es Ängste, dass unsere schöne Küste – Kroatien hat eine wunderschöne Küste – plötzlich ausverkauft wird. Das sind eher diffuse Ängste, die dann auf einmal laut geworden sind – wie gesagt, vor zehn Jahren gab es das überhaupt nicht. Aber vor allem gibt es auch eine Enttäuschung, dass dieser Prozess der Annäherung so lange gedauert hat, und diese Tatsache wird der Bürokratie in Brüssel zugeschrieben. Es wird gesagt, mein Gott, sie brauchen zehn Jahre, sie haben uns tausend verschiedene Dinge aufgelegt, die für die selber nicht gelten. Da wird dann oft gesagt, was für ein Regierungschef war Berlusconi, und man hat von uns aber verlangt, dass wir die Besten überhaupt sind, keine Korruption – wir haben leider Korruption und hatten –, aber dann sagten die, ja, aber was ist mit Griechenland und Italien, hatten die nicht Korruption und die sind Mitglieder, das heißt, es gibt verschiedene Maßstäbe, nicht für alle Länder gleich, und so weiter und so fort. Das heißt, diese zehn Jahre des Wartens haben sehr viel Frustration in das Land gebracht.
PIndur: Man ist also durch die Mühen der Ebene sozusagen gegangen.
Bremer: Richtig, genau.
Pindur: Glauben Sie auch, dass man das einfach auch unterschätzt hat in Kroatien, dass Europa eben doch schon viel, viel mehr Lebensbereiche umfasst und in viel mehr Lebensbereiche Einwirkung hat, als man das vorher eingeschätzt hat?
Bremer: Genau, also sicher ist man auch darüber enttäuscht – oder nicht enttäuscht, aber etwas überrascht oder verunsichert. Dann gab es so einen Traum. Man muss bedenken, Kroatien ist ein exsozialistisches, aber zugleich ein Ex-K.-und-K.-Land, und es gab einen Traum von Europa. Also Europa – man meint immer Westen natürlich, Westeuropa – war immer ein Riesentraum für die Kroaten. Und dann hat man in diesen zehn Jahren immer mehr gesehen, wie dieser Traum zerstört wird. Das haben allerdings auch alle Europäer zusehen müssen, also wie viel …
Pindur: Auch die anderen, ja.
Bremer: Genau, und das hat zu einer gewissen Ernüchterung geführt, wobei man sagen muss, dass Kroatien – neulich, vor einem Monat – eine neue Regierung gewählt hat und gezeigt hat, dass gerade dieses Land für Überraschungen immer gut ist. Die haben eine sehr, wie soll ich sagen, intellektuelle, liberale und soziale Regierung gewählt – und man sagt immer, im Osten rückt alles nach rechts und wird immer konservativer und so weiter, für Kroatien gilt das überhaupt nicht –, sodass diese Euroskepsis sich paart mit dieser überraschenden Wahl.
Pindur: Ist man denn in Kroatien Ihrer Ansicht nach auch bereit für Europa? Das kann ja unter Umständen auch für das Land heißen, dass man erst einen Solidarbeitrag zahlen muss, noch bevor man überhaupt von der europäischen Regional- oder Agrarförderung profitiert?
Bremer: Nein, also ich glaube, dass das alle schocken würde, wenn sie jetzt noch etwas zahlen müssten, weil das Land nicht unbedingt reich ist. Das hat sich selbst in den letzten 20 Jahren auch ziemlich schlecht heruntergewirtschaftet. Es ist eigentlich kein armes Land, denn das Land ist nicht bevölkerungsreich, es sind kaum viereinhalb Millionen Einwohner auf einer ziemlich teilweise leeren Fläche, die wunderschön ist, es ist ein Naturparadies, das Land, sodass an sich kein Grund da ist, dass das Land arm ist. Es ist auch nicht arm, aber es könnte eher eine sehr florierende Landschaft sein, und ich befürchte, da sehr viel heruntergewirtschaftet wurde, dass niemand gerade bereit wäre, sofort etwas abzugeben.
Pindur: In der Slowakei hat das ja auch für viel politische Unruhe gesorgt, dass man gesagt hat, okay, wir haben hier auch nicht besonders gut dotierte bezahlte Rentner, aber in Griechenland bekommen die Rentner mehr und wir müssen das mitfinanzieren. Ist die Europäische Union in Kroatien auch so, wie das in Deutschland lange Zeit war auch, mehr so ein Elitenprojekt?
Bremer: Ja, ich glaube auch. Ich glaube, dass das mehr Elitenprojekt einerseits ist und dann aber auch Hoffnung vieler junger Leute, dass sie dadurch viel mehr Chancen bekommen, was ihre Sprachkenntnis, Ausbildung, Mobilität und so betrifft. Das heißt nicht nur alte etablierte Eliten, sondern auch junge, die sich Erasmusprogramme und solche Dinge, Stipendien und so erhoffen, was auch richtig ist, glaube ich, also es ist nicht schlecht, wenn diese Mobilität da ist. Und in der Tat würden die Kroaten, glaube ich, ziemlich überrascht schauen, wenn sie plötzlich für die Renten der, sag ich jetzt mal, Griechen – obwohl ich nicht sicher bin, dass die Gelder da hingehen würden, aber wenn sie für sie aufkommen müssten, denn es gibt wirklich unglaublich viele arme Rentner in Kroatien.
Pindur: Die jungen Leute betrachten den Beitritt Kroatiens eher als Chance. Das war Alida Bremer, Literaturwissenschaftlerin und Autorin, zur morgigen Abstimmung der Kroaten über den EU-Beitritt. Vielen Dank für das Gespräch!
Bremer: Ja, danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Alida Bremer: Guten Morgen!
Pindur: Zunächst mal, wie tippen Sie denn, werden sich die Kroaten auch in Zeiten der Krise für die Europäische Union entscheiden?
Bremer: Ich hoffe, ich hoffe, aber Sie haben es schon angesprochen, es läuft eine ziemlich hitzige Debatte in Kroatien zurzeit darüber, und Sie sagten es auch in Ihrer Einführung, warum: Weil sich Europa insgesamt in einer Krise befindet oder wenigstens sich selbst ständig in der Krise inszeniert – und das hat auch viele Kroaten verunsichert.
Pindur: Diese Zustimmung zur Union, sagen Sie, die ist also jetzt im Moment eher verhalten?
Bremer: Die Umfragen sind sehr widersprüchlich. Es gibt sehr laute Gegner und ich glaube ziemlich viele stille Befürworter, die einfach dabei bleiben, Befürworter zu sein. Man muss aber dazu sagen, dass Kroatien seit zehn Jahren darauf wartet und die Leute ziemlich dieses Warten als ermüdend und enttäuschend empfunden haben, sodass die Befürworter – ich würde sagen, vor zehn Jahren gab es hundertprozentige Befürwortung – mittlerweile etwas müder geworden sind. Und dazu kam dann noch die Krise, sodass jetzt das Verhältnis wahrscheinlich 60 Prozent zu 40 Prozent für die Befürworter sein wird. Das ist so meine Prognose.
Pindur: Man ist also nicht mehr so euphorisch wie noch in der Anfangsphase der Erweiterung der EU.
Bremer: Genau.
Pindur: Und Sie sagen, diese Staatsschuldenkrise hat das Bild der EU auch verändert in Kroatien. Sind da Hoffnungen und Erwartungen geschrumpft, weil man zum Beispiel auch befürchtet, dass in Zukunft nicht mehr so viel über die EU umverteilt werden kann?
Bremer: Ja, das einerseits, andererseits gibt es auch Ängste, dass man sehr viel abgeben werden muss. Es gibt Ängste, dass man von der Souveränität etwas mehr abgeben wird, als einem lieb wäre, das ist eher die nationalistische Seite, die davor Angst hat. Dann gibt es Ängste, dass unsere schöne Küste – Kroatien hat eine wunderschöne Küste – plötzlich ausverkauft wird. Das sind eher diffuse Ängste, die dann auf einmal laut geworden sind – wie gesagt, vor zehn Jahren gab es das überhaupt nicht. Aber vor allem gibt es auch eine Enttäuschung, dass dieser Prozess der Annäherung so lange gedauert hat, und diese Tatsache wird der Bürokratie in Brüssel zugeschrieben. Es wird gesagt, mein Gott, sie brauchen zehn Jahre, sie haben uns tausend verschiedene Dinge aufgelegt, die für die selber nicht gelten. Da wird dann oft gesagt, was für ein Regierungschef war Berlusconi, und man hat von uns aber verlangt, dass wir die Besten überhaupt sind, keine Korruption – wir haben leider Korruption und hatten –, aber dann sagten die, ja, aber was ist mit Griechenland und Italien, hatten die nicht Korruption und die sind Mitglieder, das heißt, es gibt verschiedene Maßstäbe, nicht für alle Länder gleich, und so weiter und so fort. Das heißt, diese zehn Jahre des Wartens haben sehr viel Frustration in das Land gebracht.
PIndur: Man ist also durch die Mühen der Ebene sozusagen gegangen.
Bremer: Richtig, genau.
Pindur: Glauben Sie auch, dass man das einfach auch unterschätzt hat in Kroatien, dass Europa eben doch schon viel, viel mehr Lebensbereiche umfasst und in viel mehr Lebensbereiche Einwirkung hat, als man das vorher eingeschätzt hat?
Bremer: Genau, also sicher ist man auch darüber enttäuscht – oder nicht enttäuscht, aber etwas überrascht oder verunsichert. Dann gab es so einen Traum. Man muss bedenken, Kroatien ist ein exsozialistisches, aber zugleich ein Ex-K.-und-K.-Land, und es gab einen Traum von Europa. Also Europa – man meint immer Westen natürlich, Westeuropa – war immer ein Riesentraum für die Kroaten. Und dann hat man in diesen zehn Jahren immer mehr gesehen, wie dieser Traum zerstört wird. Das haben allerdings auch alle Europäer zusehen müssen, also wie viel …
Pindur: Auch die anderen, ja.
Bremer: Genau, und das hat zu einer gewissen Ernüchterung geführt, wobei man sagen muss, dass Kroatien – neulich, vor einem Monat – eine neue Regierung gewählt hat und gezeigt hat, dass gerade dieses Land für Überraschungen immer gut ist. Die haben eine sehr, wie soll ich sagen, intellektuelle, liberale und soziale Regierung gewählt – und man sagt immer, im Osten rückt alles nach rechts und wird immer konservativer und so weiter, für Kroatien gilt das überhaupt nicht –, sodass diese Euroskepsis sich paart mit dieser überraschenden Wahl.
Pindur: Ist man denn in Kroatien Ihrer Ansicht nach auch bereit für Europa? Das kann ja unter Umständen auch für das Land heißen, dass man erst einen Solidarbeitrag zahlen muss, noch bevor man überhaupt von der europäischen Regional- oder Agrarförderung profitiert?
Bremer: Nein, also ich glaube, dass das alle schocken würde, wenn sie jetzt noch etwas zahlen müssten, weil das Land nicht unbedingt reich ist. Das hat sich selbst in den letzten 20 Jahren auch ziemlich schlecht heruntergewirtschaftet. Es ist eigentlich kein armes Land, denn das Land ist nicht bevölkerungsreich, es sind kaum viereinhalb Millionen Einwohner auf einer ziemlich teilweise leeren Fläche, die wunderschön ist, es ist ein Naturparadies, das Land, sodass an sich kein Grund da ist, dass das Land arm ist. Es ist auch nicht arm, aber es könnte eher eine sehr florierende Landschaft sein, und ich befürchte, da sehr viel heruntergewirtschaftet wurde, dass niemand gerade bereit wäre, sofort etwas abzugeben.
Pindur: In der Slowakei hat das ja auch für viel politische Unruhe gesorgt, dass man gesagt hat, okay, wir haben hier auch nicht besonders gut dotierte bezahlte Rentner, aber in Griechenland bekommen die Rentner mehr und wir müssen das mitfinanzieren. Ist die Europäische Union in Kroatien auch so, wie das in Deutschland lange Zeit war auch, mehr so ein Elitenprojekt?
Bremer: Ja, ich glaube auch. Ich glaube, dass das mehr Elitenprojekt einerseits ist und dann aber auch Hoffnung vieler junger Leute, dass sie dadurch viel mehr Chancen bekommen, was ihre Sprachkenntnis, Ausbildung, Mobilität und so betrifft. Das heißt nicht nur alte etablierte Eliten, sondern auch junge, die sich Erasmusprogramme und solche Dinge, Stipendien und so erhoffen, was auch richtig ist, glaube ich, also es ist nicht schlecht, wenn diese Mobilität da ist. Und in der Tat würden die Kroaten, glaube ich, ziemlich überrascht schauen, wenn sie plötzlich für die Renten der, sag ich jetzt mal, Griechen – obwohl ich nicht sicher bin, dass die Gelder da hingehen würden, aber wenn sie für sie aufkommen müssten, denn es gibt wirklich unglaublich viele arme Rentner in Kroatien.
Pindur: Die jungen Leute betrachten den Beitritt Kroatiens eher als Chance. Das war Alida Bremer, Literaturwissenschaftlerin und Autorin, zur morgigen Abstimmung der Kroaten über den EU-Beitritt. Vielen Dank für das Gespräch!
Bremer: Ja, danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.