Drei Stunden Anstehen in Wimbledon
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Wer sich Spiele beim ehrwürdigen Tennisturniers in Wimbledon ansehen will, braucht vor allem eins: Geduld. Doch wer das Warten auf sich nimmt, kann einiges erleben - und viel über die britische Kultur lernen.
"Hier stehen mindestens 1000 Zelte und mindestens 50.000 Menschen sitzen auf Decken auf dem Boden, weil sie hier übernachtet haben", bescheibt Luzie die Situation.
Mein Kind übertreibt. Etwas. Dieser Rasen vor dem Tennisstadion ist tatsächlich sehr, sehr voll. 39.000 Zuschauer fasst die Tennisarena mit 18 Rasenplätzen. Die meisten Zuschauer haben ihre Karten vor Turnierbeginn gekauft. Die Camper, die schon seit gestern Abend hier sind, dürfen sich Hoffnung auf Centre-Court-Tickets machen.
Eine Anleitung mit 30 Seiten
Wir stehen für die billigen Plätze, für sogenannte "Ground Tickets" an, mit denen wir nicht auf den Centre Court sowie Court 1 und 2, aber auf alle anderen Plätze dürften. Aber wie läuft das jetzt überhaupt?
Auf der Wimbledon-Website gibt es eine 30-seitige Anleitung fürs Schlangestehen. Ich hatte mir das nicht alles durchgelesen. Mitten auf der Wiese steht eine Frau und hält eine Fahne mit einem großen Q. Das steht für "queue", zu deutsch: Schlange.
"Wir haben jetzt eine Karte in die Hand bekommen und da steht auf Englisch was drauf und auf jedem Zettel eine andere Nummer. Wir sind die 9133. in der Schlange, das kann ewig dauern."
Die Schlangenorganisationsfrau erklärt uns, dass 9132 Menschen vor uns dran sind. 9132! Sie versichert uns aber, dass wir auf jeden Fall heute noch auf die Tennisanlage kommen. Wir dürfen unseren Platz in der Schlange nicht verlassen, höchstens eine von uns darf zu den Essensständen oder zur Toilette gehen. Das kann jetzt dauern. Immerhin haben wir kein englisches Regenwetter, sondern strahlenden Sonnenschein.
"Meine Mama holt jetzt was zu essen und ich soll mich eincremen. Nicht gerade so toll, ehrlich gesagt."
Erst sitzen, dann stehen
Dann sitzen wir auf der Wiese. Wir sitzen und sitzen. Es geht keinen Millimeter voran. Luzie liest. Viele picknicken, einige Leute trinken Sekt und essen Erdbeeren. Zwei Frauen tragen lustige Hüte mit Tennisbällen drauf. Ein paar Kinder hüpfen auf der Wiese herum und spielen Ball. Keiner drängelt vor, alle warten ganz brav, typisch britisch. Hinter uns reihen sich noch mehr Menschen ein. Plötzlich tut sich etwas.
"Gerade durften wir uns hinstellen in die Schlange. Vor uns steht gerade ein Mädchen, das ist echt ein Turnfloh, weil, das macht Flicflac mit einer Hand und Handstandspagat. Da gucke ich jetzt einmal zu, dann ist es nicht so langweilig."
Wir bewegen uns langsam, langsam voran, zwei Mal rechts rum auf dem Rasen. Irgendwann stoppt die Schlange wieder, alle Leute setzen sich hin. Um uns herum werden weitere Parallelschlangen gebildet, streng nach Anweisung des Personals. Luzie fragt nach, wie lang wir noch warten müssen.
Ein Ticket für das Ticket
Um 10.30 Uhr soll es richtig losgehen. Luzie und ich knoten einen Ball aus unseren Socken und werfen uns das Knäuel zu. Wir kaufen uns Donuts. Und noch mehr Wasser. Dann kommt wieder Bewegung in unsere Schlange.
"Meine Mama und ich sind jetzt drei Stunden hier. Jetzt geht es langsam los."
Bis es so richtig losgeht, vergeht immer noch eine gefühlte Ewigkeit. Aber die Vorfreude steigt, und es macht Spaß, die Leute um uns herum zu beobachten. Alle haben die Ruhe weg.
Schließlich setzen wir uns wieder in Bewegung und erreichen endlich ein Tor, an dem wir unsere Queue-Cards vorzeigen müssen. Die Tickets für die Tickets also.
Dann geht alles ganz schnell. Wir gehen noch einen abgesperrten und kurvigen Weg an einem Parkplatz entlang und kommen an die Kassen. Ohne Anstehen! Zwei Tickets für je 25 Pounds – und wir sind tatsächlich drin. Game, Set and Watch!