Wartezimmer-Endlosschleife
Karin Neuhäuser hat ein paar Texte von Tschechow kompiliert, mit eigenen Texten vermischt und dies Konglomerat in Frankfurt auf die Bühne gebracht. Doch ihre Inszenierung wirkt wie eine bloße Aneinanderreihung plakativer Themen, getragen von Typen, nicht Charakteren. Es fehlt eine Dramaturgie und Tschechows heitere Helligkeit.
Zu Beginn läuft ein Kinderchor um einen kreisförmig angeordneten Geäst-Wald und singt "Stumpfsinn Stumpfsinn, du mein Vergnügen", darauf erklärt uns ein Diener oder Leibeigener (ist es der Firs aus dem "Kirschgarten"?) die winzige Dimension der Welt im System der Galaxien. Dann wird der Wald aus Reisigbündeln nach oben gezogen und gibt den Blick frei auf eine Gesellschaft aus lauter Rollstuhlfahrern, die zu den besseren Kreisen gehören und über das verfehlte Leben räsonnieren.
Der Witz ist, dass diese angeblich Behinderten alle laufen können und den Rollstuhl offenbar nur aus Bequemlichkeit benutzen. Alles zunächst sehr dunkel, sehr russisch, alle tragen Pelzmäntel und Pelzmützen und darunter bisweilen gestärkte Hemden und das kleine Schwarze - eine Wartesaal-Situation wie in "Drei Schwestern".
Die Regisseurin Karin Neuhäuser hat versucht, aus vielen unterschiedlichen Tschechow-Texten, aus Briefen, den Erzählungen und eben auch den Stücken, einen Abend zu kompilieren, der eine Art Konzentrat dieser komisch-traurigen Welt liefern sollte; ein paar Fremd- und Eigentexte hat sie hinzugefügt. Ein gefährliches Unterfangen: Wer glaubt, durch bloßes Addieren von Themen schon einen Sog zu erzeugen, der unterschätzt die tragende Funktion einer Stück-Dramaturgie, die eben Personen und nicht Typen, Dialoge und nicht zusammengeleimte Monologe braucht.
Neuhäuser zitiert weitläufig aus dem Gesamtwerk: anfangs nimmt Friederike Kammer als "Dame mit dem Hündchen", der hier ein Spielzeughund ist, verzweifelte Liebeserklärungen entgegen, später mutiert sie zur Actrice Arkádina aus der "Möwe", deren Tochter Nina (die wunderbare Anne Müller!) zunächst als großäugige Sehnsüchtige Rosen zermatscht und sich dann von dem Schriftsteller Trigórin (Rainer Frank) zur Strecke bringen lässt.
All das wird aber nun nicht zu einer Erzählung vom misslingenden Leben verdichtet, sondern lediglich zu einer Wartezimmer-Endlosschleife zusammenmontiert. Tschechows dekadenter Zauber fehlt. Kapitelweise handelt man Themen wie Krankheit, Trunksucht, Gaumenfreuden, Tanzfeste ab, mit skurrilen Einschüben, aber die Personen bleiben nur plakative Typen: die Liebende, die Alkoholikerin, der Verehrer, der Schriftsteller.
Wenn die Figuren sich so gedankenschwere Sätze an den Kopf werfen wie bei Tschechow, bräuchte man einen utopischen Ort, um eine Zielrichtung in die Gespräche zu bringen. Es muss nicht Moskau sein - aber dass Neuhäuser nur den eisernen Vorhang hochfahren lässt, um uns einen Blick nach draußen, nämlich in den Zuschauerraum zu gönnen (dort spielt dann ein biederes Blockflöten-Trio), ist doch etwas wenig.
Das Publikum sitzt an den Brandmauern der großen Schauspielbühne: und auf der ständig rotierenden Drehbühne rollen die Rollstuhlfahrer gegen die Bewegung des Bühnenbodens an. Daraus entsteht der Eindruck eines rasenden Stillstands, eines sehr heutigen Karussells der Traurigkeit, der Sehnsucht nach Arbeit und Sinn, der entgleisenden Gefühle.
Einem der Liebenden fällt ständig ein Handy aus der Tasche - das war wohl Neuhäusers ursprünglicher Gedanke: dieses russische Pflegeheim, diese dekadente Clique zum Teil noch junger Rollstuhlfahrer als Spiegelbild unserer überalterten, im Luxus vermodernden Stillstandsgesellschaft zu zeigen. Das gelingt leider nur sehr vermittelt; auch wenn man in einer luftigen Szene mit der Weltkugel Fußball spielt (wie Charlie Chaplin im "Großen Diktator"), schleppt sich die Inszenierung mit einer gewissen murmelnden Müdigkeit auf die Zielgerade. Tschechows heitere Helligkeit ist da schon gründlich vergessen.
"Genau das richtige Wetter um sich zu verlieben! Genau das richtige Wetter um sich umzubringen!" Diese Ambivalenzen muss jede Tschechow-Inszenierung aushalten, will sie ein Geheimnis bewahren. In Frankfurt kleben am Ende nur viele Textblätter in den kahlen Ästen der kopfunter gehängten Bäume. Und in der Mitte steht eine Maschine, die man zunächst für einen wärmenden Bullerofen hält, die sich dann aber als Schredder, als Häckselmaschine erweist. Dort werden nicht nur Bäume zu Kleinholz gemacht, dort wird auch Tschechow zerfleddert. Oder zumindest eingekürzt.
"Retten Sie mich! Reden Sie! Irgendwas!"
Ein Tschechow-Abend am Schauspiel Frankfurt
Regie: Karin Neuhäuser
Ausstattung: Franz Lehr
Musik: Paul Lemp
Dramaturgie: Lena Thomsen, Marion Tiedtke
Der Witz ist, dass diese angeblich Behinderten alle laufen können und den Rollstuhl offenbar nur aus Bequemlichkeit benutzen. Alles zunächst sehr dunkel, sehr russisch, alle tragen Pelzmäntel und Pelzmützen und darunter bisweilen gestärkte Hemden und das kleine Schwarze - eine Wartesaal-Situation wie in "Drei Schwestern".
Die Regisseurin Karin Neuhäuser hat versucht, aus vielen unterschiedlichen Tschechow-Texten, aus Briefen, den Erzählungen und eben auch den Stücken, einen Abend zu kompilieren, der eine Art Konzentrat dieser komisch-traurigen Welt liefern sollte; ein paar Fremd- und Eigentexte hat sie hinzugefügt. Ein gefährliches Unterfangen: Wer glaubt, durch bloßes Addieren von Themen schon einen Sog zu erzeugen, der unterschätzt die tragende Funktion einer Stück-Dramaturgie, die eben Personen und nicht Typen, Dialoge und nicht zusammengeleimte Monologe braucht.
Neuhäuser zitiert weitläufig aus dem Gesamtwerk: anfangs nimmt Friederike Kammer als "Dame mit dem Hündchen", der hier ein Spielzeughund ist, verzweifelte Liebeserklärungen entgegen, später mutiert sie zur Actrice Arkádina aus der "Möwe", deren Tochter Nina (die wunderbare Anne Müller!) zunächst als großäugige Sehnsüchtige Rosen zermatscht und sich dann von dem Schriftsteller Trigórin (Rainer Frank) zur Strecke bringen lässt.
All das wird aber nun nicht zu einer Erzählung vom misslingenden Leben verdichtet, sondern lediglich zu einer Wartezimmer-Endlosschleife zusammenmontiert. Tschechows dekadenter Zauber fehlt. Kapitelweise handelt man Themen wie Krankheit, Trunksucht, Gaumenfreuden, Tanzfeste ab, mit skurrilen Einschüben, aber die Personen bleiben nur plakative Typen: die Liebende, die Alkoholikerin, der Verehrer, der Schriftsteller.
Wenn die Figuren sich so gedankenschwere Sätze an den Kopf werfen wie bei Tschechow, bräuchte man einen utopischen Ort, um eine Zielrichtung in die Gespräche zu bringen. Es muss nicht Moskau sein - aber dass Neuhäuser nur den eisernen Vorhang hochfahren lässt, um uns einen Blick nach draußen, nämlich in den Zuschauerraum zu gönnen (dort spielt dann ein biederes Blockflöten-Trio), ist doch etwas wenig.
Das Publikum sitzt an den Brandmauern der großen Schauspielbühne: und auf der ständig rotierenden Drehbühne rollen die Rollstuhlfahrer gegen die Bewegung des Bühnenbodens an. Daraus entsteht der Eindruck eines rasenden Stillstands, eines sehr heutigen Karussells der Traurigkeit, der Sehnsucht nach Arbeit und Sinn, der entgleisenden Gefühle.
Einem der Liebenden fällt ständig ein Handy aus der Tasche - das war wohl Neuhäusers ursprünglicher Gedanke: dieses russische Pflegeheim, diese dekadente Clique zum Teil noch junger Rollstuhlfahrer als Spiegelbild unserer überalterten, im Luxus vermodernden Stillstandsgesellschaft zu zeigen. Das gelingt leider nur sehr vermittelt; auch wenn man in einer luftigen Szene mit der Weltkugel Fußball spielt (wie Charlie Chaplin im "Großen Diktator"), schleppt sich die Inszenierung mit einer gewissen murmelnden Müdigkeit auf die Zielgerade. Tschechows heitere Helligkeit ist da schon gründlich vergessen.
"Genau das richtige Wetter um sich zu verlieben! Genau das richtige Wetter um sich umzubringen!" Diese Ambivalenzen muss jede Tschechow-Inszenierung aushalten, will sie ein Geheimnis bewahren. In Frankfurt kleben am Ende nur viele Textblätter in den kahlen Ästen der kopfunter gehängten Bäume. Und in der Mitte steht eine Maschine, die man zunächst für einen wärmenden Bullerofen hält, die sich dann aber als Schredder, als Häckselmaschine erweist. Dort werden nicht nur Bäume zu Kleinholz gemacht, dort wird auch Tschechow zerfleddert. Oder zumindest eingekürzt.
"Retten Sie mich! Reden Sie! Irgendwas!"
Ein Tschechow-Abend am Schauspiel Frankfurt
Regie: Karin Neuhäuser
Ausstattung: Franz Lehr
Musik: Paul Lemp
Dramaturgie: Lena Thomsen, Marion Tiedtke