Warum Burnout keine Krankheit ist
Laut Weltgesundheitsorganisation ist das Burnout-Syndrom keine Krankheit. Der Psychotherapeut Mathias Berger spricht von einer ernst zu nehmenden "Befindlichkeitsstörung" durch hohe Arbeitsbelastung - und appelliert an die Verantwortung der Arbeitgeber.
Marietta Schwarz: Miriam Meckel hatte es, Ralf Rangnick oder "Rosenstolz"-Sänger Peter Plate: Burnout, ein ausgebrannt sein, ein Erschöpfungszustand, von dem man sich eben nicht nach zwei Tagen erholt. Mit der Akzeptanz eines solchen Zustands tun sich nicht nur die Betroffenen schwer, denn wer ausgebrannt ist, ist ja quasi gescheitert, und das gilt in unserer Gesellschaft doch eher noch als uncool. Hilft uns möglicherweise die genaue Definition der Krankheit beim Umgang weiter?
Fragen dazu an Professor Dr. Mathias Berger, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg. Herr Berger, guten Morgen!
Mathias Berger: Guten Morgen!
Schwarz: Eine Modekrankheit oder einfach nur ein neues Wort für einen Nervenzusammenbruch – wie würden Sie Burnout definieren?
Berger: Sie haben ja gerade gesagt, dass es etwas uncool wäre, ausgebrannt zu sein, einen Burnout zu haben. Aber es ist nun unendlich viel uncooler offensichtlich, in unserer Gesellschaft depressiv zu sein. Und dieses Wort Burnout ist ein phänomenaler Türöffner, dass plötzlich viele Menschen, die sich extrem geschämt haben, psychisch in eine Krise geraten zu sein, es leichter haben, über ein Burnout zu sprechen, als zu sagen, ich bin in eine Depression gerutscht. Insofern ist es erst mal irgendwie ein phänomenal tolles Ereignis, dass plötzlich diese Scham- und Stigmawand, die sich um die psychischen Erkrankungen herumgebaut hat, auflockert.
Schwarz: Das heißt, Sie würden sagen, Burnout ist eine Form von Depression?
Berger: Das ist das Problem eben, dass im Moment Burnout gleichgesetzt wird mit Depression. In Wirklichkeit ist es aber so, dass es eine internationale Klassifikation von Krankheiten gibt, von der Weltgesundheitsorganisation, an die sich die ganze Welt hält, und da ist das Wort Burnout eben nicht als Krankheit definiert, sondern nur als eine Befindlichkeitsstörung, die oft zu ärztlichen Besuchen führt, aber die Kriterien einer Krankheit nicht erfüllt, während es für die Krankheit Depression ganz klare Definitionen gibt, die in Tokio genauso gelten wie in New York oder in Berlin.
Schwarz: Aber ein Phänomen scheint ja auf jeden Fall zu sein, dass diese Form der Depression durch zu viel Arbeit ausgelöst wird. Gab es das früher auch schon, oder hat man es da einfach anders genannt, oder ist das ein neues gesellschaftliches Phänomen?
Berger: Wir würden das, so wie die WHO es auch meint, als einen Risikozustand definieren, dass wenn man zu viel Arbeitsbelastung oder Aufgabenbelastung hat – das kann auch im Privaten sein, wenn man eben einen kranken Angehörigen pflegt -, dass man dann in einen Zustand geraten kann, dass man nicht mehr richtig schläft, dass man mit seiner Arbeit nicht mehr fertig wird, dass man eine Distanz dazu gewinnt, erschöpft ist, aber noch nicht krank, und dann muss man aufpassen und muss vorsichtig sein und muss versuchen, Entlastung zu finden, damit man nicht krank wird.
Und wenn man zu Depressionen neigt, dann kann man depressiv werden, man kann aber auch körperlich krank werden, Tinnitus bekommen, Hypertonis bekommen, oder, weil man nicht richtig schlafen kann, eben einen Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch betreiben.
Das ist eben das wichtige, dass man das ernst nimmt, Burnout ist etwas offensichtlich, was zunimmt, weil die Arbeitswelt eben durch Verdichtung und Multitasking und Globalisierung offensichtlich immer mehr Belastung für den Einzelnen darstellt. Aber man sollte trotzdem ganz klar trennen, was ein Risikozustand ist, krank zu werden, und was eine manifeste Krankheit ist. Besonders schlimm finden wir Psychiater es, wenn in den Zeitungen steht, "Burnout – die Krankheit der Starken" und "Depression – die Krankheit der Schwachen". Das wäre ja nun das Allerfurchtbarste, was passieren könnte.
Schwarz: Die Rückkehr ins Arbeitsleben ist für Burnout-Patienten ja auch nicht leicht, manchen gelingt sie nie. Deutet das vielleicht auch darauf hin, dass Arbeitswelt und Patient da einfach nicht mehr zusammen passen? Anders gefragt: Muss sich auch an unserem Arbeitsumfeld möglicherweise mal grundsätzlich etwas ändern?
Berger: Zum ersten: Wenn jemand "nur" eine Burnout-Symptomatik hat und noch nicht die Kriterien einer Depression erfüllt, dann kehrt er auf jeden Fall ins Arbeitsleben wieder zurück. Die Patienten, von denen Sie sprechen, die haben dann schwere Depressionen entwickelt, und dann kann es eben sehr schwer sein.
Worum es uns geht ist, dass das ganze Phänomen Burnout und die zunehmende Überlastung an der Arbeit, die mit einer dramatischen Veränderung der Arbeitswelt zusammenhängt, nicht ins Medizinsystem abgeschoben wird und gesagt wird, so, jetzt kümmert ihr euch mal darum, die Arbeit wird immer härter, die Konkurrenz wird immer härter, die Rationalisierung wird immer größer und da gibt es eben Opfer, und ihr lieben Ärzte und Psychologen kümmert euch darum. Das wäre, wie wenn man, als man herausbekommen hat, dass Asbest Lungenkrankheiten erzeugt, tausend Lungenkliniken gebaut hätte und das Asbest in den Gebäuden gelassen hätte.
Die Arbeitswelt muss sich darum kümmern, dass viele Menschen sich überlastet fühlen und dass man eben auch nicht nur über zu laute Geräusche oder schlechte Büromöbel, sondern auch über eine psychische Überlastung klagen kann und dass vom Arbeitgeber ernst genommen wird und entsprechende Konsequenzen gezogen werden müssen.
Schwarz: Der Freiburger Psychiater Mathias Berger über Burnout und die Schwierigkeit, diese Krankheit zu definieren. Danke, Herr Berger, für das Gespräch.
Berger: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Fragen dazu an Professor Dr. Mathias Berger, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg. Herr Berger, guten Morgen!
Mathias Berger: Guten Morgen!
Schwarz: Eine Modekrankheit oder einfach nur ein neues Wort für einen Nervenzusammenbruch – wie würden Sie Burnout definieren?
Berger: Sie haben ja gerade gesagt, dass es etwas uncool wäre, ausgebrannt zu sein, einen Burnout zu haben. Aber es ist nun unendlich viel uncooler offensichtlich, in unserer Gesellschaft depressiv zu sein. Und dieses Wort Burnout ist ein phänomenaler Türöffner, dass plötzlich viele Menschen, die sich extrem geschämt haben, psychisch in eine Krise geraten zu sein, es leichter haben, über ein Burnout zu sprechen, als zu sagen, ich bin in eine Depression gerutscht. Insofern ist es erst mal irgendwie ein phänomenal tolles Ereignis, dass plötzlich diese Scham- und Stigmawand, die sich um die psychischen Erkrankungen herumgebaut hat, auflockert.
Schwarz: Das heißt, Sie würden sagen, Burnout ist eine Form von Depression?
Berger: Das ist das Problem eben, dass im Moment Burnout gleichgesetzt wird mit Depression. In Wirklichkeit ist es aber so, dass es eine internationale Klassifikation von Krankheiten gibt, von der Weltgesundheitsorganisation, an die sich die ganze Welt hält, und da ist das Wort Burnout eben nicht als Krankheit definiert, sondern nur als eine Befindlichkeitsstörung, die oft zu ärztlichen Besuchen führt, aber die Kriterien einer Krankheit nicht erfüllt, während es für die Krankheit Depression ganz klare Definitionen gibt, die in Tokio genauso gelten wie in New York oder in Berlin.
Schwarz: Aber ein Phänomen scheint ja auf jeden Fall zu sein, dass diese Form der Depression durch zu viel Arbeit ausgelöst wird. Gab es das früher auch schon, oder hat man es da einfach anders genannt, oder ist das ein neues gesellschaftliches Phänomen?
Berger: Wir würden das, so wie die WHO es auch meint, als einen Risikozustand definieren, dass wenn man zu viel Arbeitsbelastung oder Aufgabenbelastung hat – das kann auch im Privaten sein, wenn man eben einen kranken Angehörigen pflegt -, dass man dann in einen Zustand geraten kann, dass man nicht mehr richtig schläft, dass man mit seiner Arbeit nicht mehr fertig wird, dass man eine Distanz dazu gewinnt, erschöpft ist, aber noch nicht krank, und dann muss man aufpassen und muss vorsichtig sein und muss versuchen, Entlastung zu finden, damit man nicht krank wird.
Und wenn man zu Depressionen neigt, dann kann man depressiv werden, man kann aber auch körperlich krank werden, Tinnitus bekommen, Hypertonis bekommen, oder, weil man nicht richtig schlafen kann, eben einen Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch betreiben.
Das ist eben das wichtige, dass man das ernst nimmt, Burnout ist etwas offensichtlich, was zunimmt, weil die Arbeitswelt eben durch Verdichtung und Multitasking und Globalisierung offensichtlich immer mehr Belastung für den Einzelnen darstellt. Aber man sollte trotzdem ganz klar trennen, was ein Risikozustand ist, krank zu werden, und was eine manifeste Krankheit ist. Besonders schlimm finden wir Psychiater es, wenn in den Zeitungen steht, "Burnout – die Krankheit der Starken" und "Depression – die Krankheit der Schwachen". Das wäre ja nun das Allerfurchtbarste, was passieren könnte.
Schwarz: Die Rückkehr ins Arbeitsleben ist für Burnout-Patienten ja auch nicht leicht, manchen gelingt sie nie. Deutet das vielleicht auch darauf hin, dass Arbeitswelt und Patient da einfach nicht mehr zusammen passen? Anders gefragt: Muss sich auch an unserem Arbeitsumfeld möglicherweise mal grundsätzlich etwas ändern?
Berger: Zum ersten: Wenn jemand "nur" eine Burnout-Symptomatik hat und noch nicht die Kriterien einer Depression erfüllt, dann kehrt er auf jeden Fall ins Arbeitsleben wieder zurück. Die Patienten, von denen Sie sprechen, die haben dann schwere Depressionen entwickelt, und dann kann es eben sehr schwer sein.
Worum es uns geht ist, dass das ganze Phänomen Burnout und die zunehmende Überlastung an der Arbeit, die mit einer dramatischen Veränderung der Arbeitswelt zusammenhängt, nicht ins Medizinsystem abgeschoben wird und gesagt wird, so, jetzt kümmert ihr euch mal darum, die Arbeit wird immer härter, die Konkurrenz wird immer härter, die Rationalisierung wird immer größer und da gibt es eben Opfer, und ihr lieben Ärzte und Psychologen kümmert euch darum. Das wäre, wie wenn man, als man herausbekommen hat, dass Asbest Lungenkrankheiten erzeugt, tausend Lungenkliniken gebaut hätte und das Asbest in den Gebäuden gelassen hätte.
Die Arbeitswelt muss sich darum kümmern, dass viele Menschen sich überlastet fühlen und dass man eben auch nicht nur über zu laute Geräusche oder schlechte Büromöbel, sondern auch über eine psychische Überlastung klagen kann und dass vom Arbeitgeber ernst genommen wird und entsprechende Konsequenzen gezogen werden müssen.
Schwarz: Der Freiburger Psychiater Mathias Berger über Burnout und die Schwierigkeit, diese Krankheit zu definieren. Danke, Herr Berger, für das Gespräch.
Berger: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.