Warum das Bewusstsein in der Kultur verankert ist
Merlin Donalds Buch widerlegt die vorherrschenden Theorien derjenigen Naturwissenschaftler und Philosophen, die das menschliche Bewusstsein als Abfallprodukt der Evolution abtun. Für ihn sind es die Kultur und das neuronale System, die das menschliche Bewusstsein zu dem gemacht haben, was es ist. Genau dieser hybride Geist macht den evolutionären Vorsprung des Menschen aus.
Wie kam der Mensch in der Evolution zu seiner einzigartigen Fähigkeit, Kulturen zu entwickeln, und was zeichnet sein Bewusstsein als "Hybridprodukt” von Natur und Kultur aus? Diese Fragen durchziehen das Buch "Triumph des Bewusstseins. Die Evolution des menschlichen Geistes” von Merlin Donald, mit dem ihm ein großer Wurf gelungen ist.
Im Zeitalter der Dominanz neurobiologischer Hirnforschung rehabilitiert Donald die Auffassung, dass das menschliche Bewusstsein fest in der Kultur verankert ist. Neu ist diese Auffassung nicht. Aber hier vertritt sie ein Kognitionspsychologe, der aus demjenigen Zweig der Psychologie kommt, der meist naturwissenschaftliche Hardliner hervorbringt. Auch sind seine Argumente nicht wesentlich neu. Bewundernswert aber an diesem Buch ist, mit welcher Stringenz er sie auf dem Hintergrund der neuesten wissenschaftlichen Forschung und Diskussion niederlegt und wie er dabei gleichzeitig für jeden Leser verständlich bleibt - auch dank einer guten Übersetzung.
Viele Hirnforscher verstehen unter Bewusstsein ein für etwa fünfzehn Sekunden geöffnetes Fenster der Aufmerksamkeit, in dem wir uns etwa sieben Informationen gleichzeitig im Kurzzeitgedächtnis merken können, zum Beispiel eine Telefonnummer. Dieses Bewusstsein nehme keinen Einfluss auf menschliches Denken und Handeln. Was Menschen glauben, bewusst und frei zu entscheiden, habe das Unbewusste vorher bereits entschieden. Bewusstsein sei folglich eine Selbsttäuschung.
Dieses Bild trifft nur für den begrenzten Blick auf das Bewusstsein im Labor zu, meint Donald, wo Menschen auf Signale von Maschinen reagieren. Was dagegen eine Bewusstseinstheorie erklären sollte, verdeutlicht Donald am Beispiel eines Gespräches mit mehreren Menschen, in dem ein Mensch über Minuten oder Stunden präsent hält, wer was gesagt hat, wie er das fand, welchen Eindruck die anderen dabei machten, was sie beabsichtigten und wie er sich darauf eingestellt hat und einstellt.
Das Wesen des Bewusstseins seien solche Prozesse der Verarbeitung von Informationen in einer "mittleren Zeitebene”. In diesen Prozessen erweise sich das Bewusstsein als "der eigentliche Lenker der mentalen Welt.” Es steuere Wahrnehmungen und Handlungen. Doch für diese seine Leistungen gebe es noch keine wissenschaftliche Theorie.
Für seine eigene Theorie geht Donald in die Geschichte der Evolution zurück. Nervensysteme haben die Fähigkeit, ein über eine Situation hinausgehendes Modell der Welt zu bilden. Fasst man den Begriff des Bewusstseins so weit, trifft er auch auf Ameisen oder Bienen zu. Das Bewusstsein der Tiere aber sei auf das unmittelbare Umfeld gerichtet. Menschenaffen können zwar Symbole gebrauchen und Handlungen planen, aber erst der Mensch hat damit begonnen, den Geist vor allem nach innen zu richten, auf die eigenen Handlungen, Vorhaben, Gedanken.
Durch diese Fähigkeit, mit Symbolen zu arbeiten, kann sich der menschliche Geist von der Wirklichkeit lösen und rein geistiger Betätigung nachgehen. Er kann Erinnerungen bewusst selbst auslösen - eine These, die schon vor mehr als 70 Jahren der russische Psychologe Wygotski aufstellte.
Die Fähigkeit dazu haben Menschen nicht in einzelnen Gehirnen erworben, sondern in "kognitiven Verbänden” vieler Gehirne. Denn die Hominiden lebten in Gruppen und begannen, sich über Handlungen auszutauschen. Aus dieser Interaktion über Handlungszeichen gingen die ausgereiften Systeme der Symbolisierung, vor allem die Sprache erst hervor.
Bewusstsein ist daher für Donald kein Produkt der Sprache, sondern Sprache entstand mit der Evolution des menschlichen Bewusstseins. Im Gehirn entwickelten sich daher beim Menschen vor allem die so genannten "tertiären Areale”, bei deren Tätigkeit das Gehirn mit den bereits von anderen Arealen aufgenommenen Signalen beschäftigt ist.
Dort finden Abstraktion und Assoziation statt. Da Menschen nun die Fähigkeit haben, Erfahrungen in Schrift und Bild auszulagern, entwächst das menschliche Bewusstsein den biologischen Grenzen des Nervensystems und lebt in der Kultur.
Und das Bewusstsein jedes einzelnen Menschen existiert vollständig in dieser Kultur. Das ist laut Donald die evolutionäre Sonderstellung der Spezies Mensch. Unaufdringlich, aber eindringlich entfaltet er in seinem Buch diese Sichtweise auf das Bewusstsein. Vielleicht konnte er dieses Buch erst in unserem virtuellen Zeitalter schreiben, in dem sich das Bewusstsein noch mehr von den Ereignissen löst und seine Fremd- und Selbstprogrammierung zu einer neuen Wirklichkeit geworden ist. Auch diese Wandlung kann nur aus der Kultur verstanden werden.
Rezensiert von Ulfried Geuter
Merlin Donald: Triumph des Bewusstseins. Die Evolution des menschlichen Geistes
Aus dem Amerikanischen von Christoph Trunk
Klett Cotta, Stuttgart 2008, 24,90 Euro
Im Zeitalter der Dominanz neurobiologischer Hirnforschung rehabilitiert Donald die Auffassung, dass das menschliche Bewusstsein fest in der Kultur verankert ist. Neu ist diese Auffassung nicht. Aber hier vertritt sie ein Kognitionspsychologe, der aus demjenigen Zweig der Psychologie kommt, der meist naturwissenschaftliche Hardliner hervorbringt. Auch sind seine Argumente nicht wesentlich neu. Bewundernswert aber an diesem Buch ist, mit welcher Stringenz er sie auf dem Hintergrund der neuesten wissenschaftlichen Forschung und Diskussion niederlegt und wie er dabei gleichzeitig für jeden Leser verständlich bleibt - auch dank einer guten Übersetzung.
Viele Hirnforscher verstehen unter Bewusstsein ein für etwa fünfzehn Sekunden geöffnetes Fenster der Aufmerksamkeit, in dem wir uns etwa sieben Informationen gleichzeitig im Kurzzeitgedächtnis merken können, zum Beispiel eine Telefonnummer. Dieses Bewusstsein nehme keinen Einfluss auf menschliches Denken und Handeln. Was Menschen glauben, bewusst und frei zu entscheiden, habe das Unbewusste vorher bereits entschieden. Bewusstsein sei folglich eine Selbsttäuschung.
Dieses Bild trifft nur für den begrenzten Blick auf das Bewusstsein im Labor zu, meint Donald, wo Menschen auf Signale von Maschinen reagieren. Was dagegen eine Bewusstseinstheorie erklären sollte, verdeutlicht Donald am Beispiel eines Gespräches mit mehreren Menschen, in dem ein Mensch über Minuten oder Stunden präsent hält, wer was gesagt hat, wie er das fand, welchen Eindruck die anderen dabei machten, was sie beabsichtigten und wie er sich darauf eingestellt hat und einstellt.
Das Wesen des Bewusstseins seien solche Prozesse der Verarbeitung von Informationen in einer "mittleren Zeitebene”. In diesen Prozessen erweise sich das Bewusstsein als "der eigentliche Lenker der mentalen Welt.” Es steuere Wahrnehmungen und Handlungen. Doch für diese seine Leistungen gebe es noch keine wissenschaftliche Theorie.
Für seine eigene Theorie geht Donald in die Geschichte der Evolution zurück. Nervensysteme haben die Fähigkeit, ein über eine Situation hinausgehendes Modell der Welt zu bilden. Fasst man den Begriff des Bewusstseins so weit, trifft er auch auf Ameisen oder Bienen zu. Das Bewusstsein der Tiere aber sei auf das unmittelbare Umfeld gerichtet. Menschenaffen können zwar Symbole gebrauchen und Handlungen planen, aber erst der Mensch hat damit begonnen, den Geist vor allem nach innen zu richten, auf die eigenen Handlungen, Vorhaben, Gedanken.
Durch diese Fähigkeit, mit Symbolen zu arbeiten, kann sich der menschliche Geist von der Wirklichkeit lösen und rein geistiger Betätigung nachgehen. Er kann Erinnerungen bewusst selbst auslösen - eine These, die schon vor mehr als 70 Jahren der russische Psychologe Wygotski aufstellte.
Die Fähigkeit dazu haben Menschen nicht in einzelnen Gehirnen erworben, sondern in "kognitiven Verbänden” vieler Gehirne. Denn die Hominiden lebten in Gruppen und begannen, sich über Handlungen auszutauschen. Aus dieser Interaktion über Handlungszeichen gingen die ausgereiften Systeme der Symbolisierung, vor allem die Sprache erst hervor.
Bewusstsein ist daher für Donald kein Produkt der Sprache, sondern Sprache entstand mit der Evolution des menschlichen Bewusstseins. Im Gehirn entwickelten sich daher beim Menschen vor allem die so genannten "tertiären Areale”, bei deren Tätigkeit das Gehirn mit den bereits von anderen Arealen aufgenommenen Signalen beschäftigt ist.
Dort finden Abstraktion und Assoziation statt. Da Menschen nun die Fähigkeit haben, Erfahrungen in Schrift und Bild auszulagern, entwächst das menschliche Bewusstsein den biologischen Grenzen des Nervensystems und lebt in der Kultur.
Und das Bewusstsein jedes einzelnen Menschen existiert vollständig in dieser Kultur. Das ist laut Donald die evolutionäre Sonderstellung der Spezies Mensch. Unaufdringlich, aber eindringlich entfaltet er in seinem Buch diese Sichtweise auf das Bewusstsein. Vielleicht konnte er dieses Buch erst in unserem virtuellen Zeitalter schreiben, in dem sich das Bewusstsein noch mehr von den Ereignissen löst und seine Fremd- und Selbstprogrammierung zu einer neuen Wirklichkeit geworden ist. Auch diese Wandlung kann nur aus der Kultur verstanden werden.
Rezensiert von Ulfried Geuter
Merlin Donald: Triumph des Bewusstseins. Die Evolution des menschlichen Geistes
Aus dem Amerikanischen von Christoph Trunk
Klett Cotta, Stuttgart 2008, 24,90 Euro