Warum die Weltwirtschaft der menschlichen Natur widerspricht

Von Inge Kloepfer |
Der Harvard-Ökonom Dani Rodrik untersucht das spannungsvolle Verhältnis zwischen nationaler Politik und Globalisierung. Seine These: Die Wirtschaft sollte für den Menschen da sein, nicht umgekehrt.
Behaglich ist sie einem nie gewesen – die Globalisierung. Während ihre eifrigen Verfechter vor allem in Deutschland in den letzten Jahren über die vermeintlichen Wohlstandszuwächse jubilierten, sagten ihre Gegner ihr den Kampf an. Sie geißelten die Entsicherung der Arbeitsplätze, den enormen Konkurrenzdruck und das Auseinanderdriften der Einkommen.

Die Menschen seien nun endlich aus ihrer Gemütlichkeit gerissen und zu mehr Leistung angetrieben, hielten ihre Anhänger dagegen. Und das nütze schließlich allen. Klar war stets: Die Globalisierung hat ihr Gutes und ihren Preis. Der Mainstream freilich – angeführt von einer international vernetzten Wirtschafts- und Finanzelite – vernachlässigte über Jahre den Preis, weil er ihn nicht zu bezahlen hatte. Und genau das machte die ganze Sache so unbehaglich.

Dani Rodrik, Professor für Politische Ökonomie an der Harvard University, hat nun – zweieinhalb Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise – ein Buch über die Globalisierung vorgelegt. Würde er mit seinem Titel nicht sofort jenes Unbehagen aufgreifen, käme selbst der geneigte Leser vielleicht nicht auf die Idee, das Werk überhaupt in die Hand zu nehmen. Denn Globalisierungsbücher gibt es inzwischen reichlich.

Doch "Das Globalisierungsparadoxon" - so der Titel – macht neugierig, und der Untertitel erst recht: "Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft". Schon hier nämlich wird deutlich, dass es dem Autor nicht bloß um Arbeitsplätze und Umweltbelastung geht, sondern um etwas viel Grundsätzlicheres: um die Vereinbarkeit nationalstaatlicher Werte einschließlich der Staatsverfassung mit internationalen Wirtschaftsstandards. Beides, soviel wird klar, geht nicht unbedingt zusammen.

"Die Diskrepanz zwischen nationalem Aktionsradius von Regierungen und der globalen Reichweite der Märkte ist die Achillesferse der Globalisierung. Wir müssen uns also entscheiden."

Die Kernthese des sehr lesenswerten Oeuvres ist einfach: Die Weltwirtschaft steckt in einem Trilemma. Demokratie, nationale Selbstbestimmung und wirtschaftliche Globalisierung lassen sich niemals im gleichen Ausmaß vorantreiben. Man kann offenbar nicht alles haben. Eines geht immer nur auf Kosten des anderen. Warum, das beschreibt der Autor eindrücklich – nicht nur theoretisch, sondern anhand historischer Entwicklungen sowie am Beispiel von Ländern und Weltregionen.

"Die politische Demokratie wirft einen langen Schatten auf die Finanzmärkte und beraubt jede nationale Regierung der Möglichkeit, ihr Land tief in die Weltwirtschaft zu integrieren."

Großbritannien habe diese Lektion schon 1931 mit der Verabschiedung vom Goldstandard lernen müssen. Schon damals also prallten diese Welten aufeinander. Und auch heute, so Rodrik, sei klar, dass zwischen nationaler Politik und der Globalisierung ein erhebliches Spannungsverhältnis bestehe.

Schnell wird deutlich: Es gibt nicht allzu viele Auswege aus dem Trilemma. Entweder verzichtet man auf die Vorteile wirtschaftlicher Integration oder man überträgt nationalstaatliche Handlungsspielräume auf internationale Organisationen – in Extremfall auf eine Weltregierung, die dann ihrerseits die entfesselte globale Wirtschaft zu bändigen versucht. Die Wirklichkeit ist zwar noch weit davon entfernt, doch ist die Überzeugung, den Auswüchsen der Globalisierung supranational beizukommen, weit verbreitet. Aber ob das den Vorstellungen der Menschen gerecht wird?

Überzeugend wird das Buch Rodriks genau an diesem Punkt, wenn er die Ebene der Institutionen verlässt und sich den Menschen zuwendet. Denn auch die setzen der Globalisierung Grenzen. Menschen seien lokal gebunden. Sie dächten in regionalen Dimensionen und - aller neuen Kommunikationstechniken zum Trotz – nur selten global. Sie fühlten sich in der Mehrheit nicht als Weltbürger, sondern an eine nationalstaatliche Identität gebunden.

Hier darf man ruhig etwas mehr hineinlesen: Sie sind nicht nur skeptisch gegenüber weltwirtschaftlicher Integration, weil sie materielle Nachteile fürchten, sondern weil die Globalisierung schlicht der menschlichen Natur zuwider läuft.

"Politische Gemeinschaften organisieren sich eher auf heimischer als auf globaler Ebene. Wer die immanenten Grenzen einer Globalisierung nicht erkennen will, leistet einen Beitrag zu den aktuellen Fehlleistungen der Globalisierung."

Die Konsequenzen seiner kritischen Globalisierungsanalyse sind logisch: Erst kommt der Nationalstaat, dann die Weltwirtschaft, erst die Demokratie, dann die Globalisierung. Nur so, meint Rodrik, könne sie überhaupt funktionieren. Dann nämlich, wenn sich jedes Land auf Basis seiner demokratischen Verfassung seine eigene Balance suche zwischen marktgetriebener Fremdbestimmung und nationalstaatlichen Wertvorstellungen.

Dani Rodrik ist ein Globalisierungskritiker. Er gesellt sich mit diesem Buch zweifelsohne zu dem kleinen Grüppchen amerikanischer Wissenschaftler, die sich seit ein paar Jahren nicht mehr nur mit den Vorteilen weltwirtschaftlicher Integration, sondern vor allem auch mit ihrem Preis befassen.

Da sind die Nobelpreisträger Paul Krugman oder Joseph Stiglitz zum Beispiel, die ihrerseits ebenso wenig wie Rodrik die Globalisierung als solche in Frage stellen, aber doch ihre Schattenseiten sehen. Mainstream ist das in der Zunft der Ökonomen allerdings noch immer nicht. Finanz- und Wirtschaftskrise haben kein Umdenken auf breiter Front bewirkt.

"Der Welthandel ist ein Mittel zum Zweck, kein Selbstzweck",

mahnt Dani Rodrik, und es liest sich, als wolle er seinen Kollegen ins Gewissen reden. Man kann das auch anders formulieren: Die Wirtschaft und Globalisierung sind für die Menschen da, nicht umgekehrt.

"Die Globalisierung sollte ein Mittel zur Erreichung der Ziele sein, die eine Gesellschaft sich setzt: Wohlstand, Stabilität, Freiheit, Lebensqualität. Demokratie und nationale Selbstbestimmung sollten uns wichtiger sein als eine Hyperglobalisierung."

Gut, dass das mal wieder einer deutlich sagt; noch besser, dass der Havardgelehrte auch überzeugend erklärt, warum die Menschen nur auf diesem Wege mit der Globalisierung ihren Frieden schließen können.

Dani Rodrik: Das Globalisierungs-Paradox. Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft
C.H.Beck Verlag, München
Buchcover: "Das Globalisierungs-Paradox" von Dani Rodrik
Buchcover: "Das Globalisierungs-Paradox" von Dani Rodrik© Beck