"Warum hat er sich so über diesen Abgrund gestürzt?"
Mit seinem Dokumentarfilm wolle er so nah wie möglich an den Schweizer Journalisten Tom Kummer herankommen, sagt Regisseur Miklos Gimez. Als stellvertretender Chefredaktor des Magazins des Züricher Tagesanzeigers war er selbst auf den "Interview-Erfinder" hereingefallen.
Dieter Kassel: Michael Meier über "Bad Boy Kummer", den Film über den Interview-Erfinder Tom Kummer. Der Mann, der diesen Film gemacht hat, der ist mehr als nur der Regisseur eines solchen Films. Der ist jemand, der damals auf den großen Erfinder auch mit hereingefallen ist, denn der Regisseur des Films, Miklós Gimez, der war damals, von 1994 bis 1997 der stellvertretende Chefredaktor des Magazins des Züricher Tagesanzeigers. Und dieses Magazin war so neben dem SZ-Magazin in den 90er-Jahren einer der größten Abnehmer der Kummer-Interviews. Schönen guten Tag, Herr Gimez!
Miklós Gimez: Guten Tag!
Kassel: Damals, als sie in Zürich gearbeitet haben für das Tagi-Magi, wie die Schweizer immer sagen, was haben Sie sich damals, als Sie noch nicht wussten, dass er ein Betrüger ist, für ein Bild von diesem Tom Kummer gemacht im Kopf?
Gimez: Ich habe Tom Kummer ein oder zwei Male gesehen auf der Redaktion, habe damals schon in Los Angeles gelebt und dann kam er in die Schweiz, um Ferien zu machen oder um sein Konto zu überprüfen, und – wie soll ich sagen? – er wirkte unnahbar, erratisch fast, wie er angezogen war – er hatte eine komische Mischung von Popklamotten, die aber gleichzeitig korrekt aussehen sollten –, und es war schon eine Inszenierung. Er wollte damit sagen, schaut mal, ich bin eigentlich ein Außenseiter, aber ich weiß, wie ich mich zu verhalten habe. Es war ein Signal einer gewissen Stärke, und einmal sind wir essen gegangen – an das mag ich mich erinnern –, und auch da ... er wirkte ziemlich unnahbar, wie jemand, der weiß, was er will und wie er das macht, und der eigentlich mehr so gekommen ist, um Geschäftsverhandlungen zu führen.
Kassel: Als sie, ich glaube, so ungefähr 1999 dann erfahren haben, dass ganz viele – vielleicht nicht absolut alle, aber ganz viele – seiner Star-Interviews, aber auch seine Reportagen und vieles mehr frei erfunden waren, dass er auch das Magazin des Tagesanzeigers betrogen hatte, was war damals Ihr Gefühl?
Gimez: Die erste Reaktion war eigentlich Enttäuschung. Enttäuschung, dass man hereingelegt worden ist, dass man sich auf jemanden nicht verlassen konnte, dass man betrogen worden ist, und die zweite Reaktion war eine Art Neugierde: Warum hat er das gemacht? Und warum hat er sich so über diesen Abgrund gestürzt? Warum ist er da so weit hinausgegangen? Und dann habe ich aber eigentlich mich um Kummer nicht mehr gekümmert. Der Fall war erledigt, es hat mich nicht mehr interessiert. Erst 2007, also sieben, acht Jahre später, als er diese Autobiografie geschrieben hat, "Blow up", eine Art Autobiografie, ist mir das Buch zufällig in die Hände geraten, und ich habe es gelesen. Und dann ist mir aufgefallen, dass er sich nicht entschuldigt. Er bereut eigentlich nichts. Und ich hatte eigentlich bei meiner ersten Reaktion das Bild eines Gefallenen, eines Sünders. Und dieses alte Bild, diese Vorstellung und das, was ich gelesen habe, stimmt nicht überein, und da wurde dann meine Neugier angestachelt: Was ist das für ein Mensch? Und so begann dann die Idee zu diesem Film.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute, an dem Tag, an dem der Film "Bad Boy Kummer" in die Kinos kommt, ein Film über den Interview-Erfinder Tom Kummer, mit dem Regisseur Miklós Gimez, und ich sage immer Interview-Erfinder, Herr Gimez, auch deshalb, weil Betrüger ... na ja, juristisch ist man da nicht ganz auf der sicheren Seite, wenn man das so sagt. Denn er ist ja nie wirklich erfolgreich – eigentlich auch nicht erfolglos – verklagt worden von irgendeiner Redaktion. Weder auf Schadensersatz noch sonst irgendwas. Haben Sie dafür eigentlich eine Erklärung.
Gimez: Ja, Kummer hat, als der Fall publik wurde, hat einen Anwalt kontaktiert. Und der Anwalt hat ihm geraten, dem "Spiegel" ein Interview zu geben und zu sagen genau diesen Verdacht, dass nämlich seine Abnehmer in München Komplizen gewesen seien. Und die "SZ", das Verlagshaus, der Süddeutsche Verlag hat in dieser Zeit eine Klage gegen Kummer erwogen wegen Rufschädigung. Und dann ist dieser Anwalt von Kummer auf den Anwalt des "SZ"-Verlagshauses zugegangen, dann haben die miteinander geredet, und am Schluss wurde dann diese Klage oder diese Klageabsicht fallen gelassen.
Und als möglicher Grund kann gesagt werden, dass vermutlich der Kummer-Anwalt den anderen klar gemacht hat: Schaut, wenn es zu einer Verhandlung kommen sollte, dann könnte es auch für euch nicht so gut aussehen. Wenn zum Beispiel in diesen Verhandlungen erwähnt wird, dass das letzte Interview von Kummer – ein Interview mit Ivana Trump – aus lauter Zitaten von Andy Warhol bestanden hat und das gleichzeitig der Abnehmer, nämlich Ulf Borchert, seine Abschlussarbeit über Andy Warhol geschrieben hat und das nicht wahrgenommen hat, dann sieht eure Position vermutlich vor dem Richter auch nicht so gut aus. Und in diesem Deal, würde ich sagen, so wurde es mir geschildert, ist dann diese Klage fallen gelassen worden.
Kassel: Wie geht es eigentlich Tom Kummer jetzt? Ich meine, der banale Satz, er ist jetzt Tennislehrer, das könnte man missverstehen, es ist ja Tom Kummer, er ist ja nicht irgendein Tennislehrer. Er ist der Tennislehrer der Reichen und der Wichtigen, und die singen: It never rains in sunny California. Das hat er jeden Tag immer noch vor der Haustür. Ich fand, auf mich wirkt er in diesem Film auch heute noch nicht unglücklich.
Gimez: Sehen Sie, ich glaube, das Glück und das Unglück von Tom Kummer wird nicht bestimmt oder nicht nur bestimmt durch seinen Erfolg oder durch seine Anerkennung in der Welt des Journalismus oder der Kultur oder überhaupt der Öffentlichkeit. Ich glaube, Kummer hat noch einen anderen Maßstab, wann er glücklich ist und nicht glücklich. Und ich glaube, solange der wahre Kummer, der innere, verletzliche Kummer nicht tangiert wird, geht es ihm okay. Und ich glaube auch, dass er diesen ganzen Zauber mit diesen erfundenen Interviews aufgezogen hat vor unseren Augen, damit man sich eben nicht wirklich mit ihm beschäftigt. Er hat eine Art Wand, eine Rauchwand aufgezogen. Und ich versuche das, mehrmals in diesem Film, so nahe wie möglich an ihn heranzukommen, und immer, wenn ich an die Weichteile komme, dann beginnt er wirklich auszuweichen, und solange er sein Inneres bewahren kann, ist er – sagen wir mal – relativ glücklich.
Kassel: Zum Schluss: Ich muss zugeben, ich war damals – und bin es eigentlich heute noch – ein intensiver Leser des Magazins der "Süddeutschen Zeitung", habe ganz, ganz viele Interviews, diese erfundenen Interviews gelesen, habe es natürlich als Leser nicht gemerkt. Als ich es dann erfahren habe, habe ich natürlich schon gesagt: hoppla! Ich muss sagen, ich als Leser habe mich aber – vielleicht spricht es gegen mich – nicht wirklich betrogen gefühlt. Ich fand es trotzdem keine Zeitverschwendung, diese Texte zu lesen, weil sie halt unglaublich originell und zum Teil eben auch wirklich sehr, sehr gut geschrieben waren. Dadurch, dass natürlich die Zeit, wo irgendjemand irgendetwas von Kummer in einer halbwegs seriösen Zeitung drucken möchte, vorbei ist – geht uns als Lesern dadurch nicht auch ein bisschen was durch die Lappen jetzt?
Gimez: Ich glaube, es gibt immer noch gute Journalisten, und es gibt – und ich glaube, die Realität ist immer noch stark genug, dass sie jede Fiktion schlägt. Und wenn Sie wollen, können Sie auch spekulieren. Es steht Ihnen frei, jetzt darüber nachzudenken: Stimmt diese Geschichte mit Osama bin Laden oder ist sie eine Erfindung – man kann immer spielen.
Kassel: Das Spiel mit der Wahrheit, so wie es Kummer betrieben hat – ob man die letzten Schlüsse wirklich schließen kann nach diesem Film, das wollen wir mal jedem überlassen, der ihn sieht, aber neue Eindrücke kann man sicherlich gewinnen, wenn man "Bad Boy Kummer" guckt. Der Film ist ab heute auch in Deutschland in den Kinos zu sehen, und wir sprachen mit dem Regisseur des Films Miklós Gimez. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Gimez: Gern geschehen!
Miklós Gimez: Guten Tag!
Kassel: Damals, als sie in Zürich gearbeitet haben für das Tagi-Magi, wie die Schweizer immer sagen, was haben Sie sich damals, als Sie noch nicht wussten, dass er ein Betrüger ist, für ein Bild von diesem Tom Kummer gemacht im Kopf?
Gimez: Ich habe Tom Kummer ein oder zwei Male gesehen auf der Redaktion, habe damals schon in Los Angeles gelebt und dann kam er in die Schweiz, um Ferien zu machen oder um sein Konto zu überprüfen, und – wie soll ich sagen? – er wirkte unnahbar, erratisch fast, wie er angezogen war – er hatte eine komische Mischung von Popklamotten, die aber gleichzeitig korrekt aussehen sollten –, und es war schon eine Inszenierung. Er wollte damit sagen, schaut mal, ich bin eigentlich ein Außenseiter, aber ich weiß, wie ich mich zu verhalten habe. Es war ein Signal einer gewissen Stärke, und einmal sind wir essen gegangen – an das mag ich mich erinnern –, und auch da ... er wirkte ziemlich unnahbar, wie jemand, der weiß, was er will und wie er das macht, und der eigentlich mehr so gekommen ist, um Geschäftsverhandlungen zu führen.
Kassel: Als sie, ich glaube, so ungefähr 1999 dann erfahren haben, dass ganz viele – vielleicht nicht absolut alle, aber ganz viele – seiner Star-Interviews, aber auch seine Reportagen und vieles mehr frei erfunden waren, dass er auch das Magazin des Tagesanzeigers betrogen hatte, was war damals Ihr Gefühl?
Gimez: Die erste Reaktion war eigentlich Enttäuschung. Enttäuschung, dass man hereingelegt worden ist, dass man sich auf jemanden nicht verlassen konnte, dass man betrogen worden ist, und die zweite Reaktion war eine Art Neugierde: Warum hat er das gemacht? Und warum hat er sich so über diesen Abgrund gestürzt? Warum ist er da so weit hinausgegangen? Und dann habe ich aber eigentlich mich um Kummer nicht mehr gekümmert. Der Fall war erledigt, es hat mich nicht mehr interessiert. Erst 2007, also sieben, acht Jahre später, als er diese Autobiografie geschrieben hat, "Blow up", eine Art Autobiografie, ist mir das Buch zufällig in die Hände geraten, und ich habe es gelesen. Und dann ist mir aufgefallen, dass er sich nicht entschuldigt. Er bereut eigentlich nichts. Und ich hatte eigentlich bei meiner ersten Reaktion das Bild eines Gefallenen, eines Sünders. Und dieses alte Bild, diese Vorstellung und das, was ich gelesen habe, stimmt nicht überein, und da wurde dann meine Neugier angestachelt: Was ist das für ein Mensch? Und so begann dann die Idee zu diesem Film.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute, an dem Tag, an dem der Film "Bad Boy Kummer" in die Kinos kommt, ein Film über den Interview-Erfinder Tom Kummer, mit dem Regisseur Miklós Gimez, und ich sage immer Interview-Erfinder, Herr Gimez, auch deshalb, weil Betrüger ... na ja, juristisch ist man da nicht ganz auf der sicheren Seite, wenn man das so sagt. Denn er ist ja nie wirklich erfolgreich – eigentlich auch nicht erfolglos – verklagt worden von irgendeiner Redaktion. Weder auf Schadensersatz noch sonst irgendwas. Haben Sie dafür eigentlich eine Erklärung.
Gimez: Ja, Kummer hat, als der Fall publik wurde, hat einen Anwalt kontaktiert. Und der Anwalt hat ihm geraten, dem "Spiegel" ein Interview zu geben und zu sagen genau diesen Verdacht, dass nämlich seine Abnehmer in München Komplizen gewesen seien. Und die "SZ", das Verlagshaus, der Süddeutsche Verlag hat in dieser Zeit eine Klage gegen Kummer erwogen wegen Rufschädigung. Und dann ist dieser Anwalt von Kummer auf den Anwalt des "SZ"-Verlagshauses zugegangen, dann haben die miteinander geredet, und am Schluss wurde dann diese Klage oder diese Klageabsicht fallen gelassen.
Und als möglicher Grund kann gesagt werden, dass vermutlich der Kummer-Anwalt den anderen klar gemacht hat: Schaut, wenn es zu einer Verhandlung kommen sollte, dann könnte es auch für euch nicht so gut aussehen. Wenn zum Beispiel in diesen Verhandlungen erwähnt wird, dass das letzte Interview von Kummer – ein Interview mit Ivana Trump – aus lauter Zitaten von Andy Warhol bestanden hat und das gleichzeitig der Abnehmer, nämlich Ulf Borchert, seine Abschlussarbeit über Andy Warhol geschrieben hat und das nicht wahrgenommen hat, dann sieht eure Position vermutlich vor dem Richter auch nicht so gut aus. Und in diesem Deal, würde ich sagen, so wurde es mir geschildert, ist dann diese Klage fallen gelassen worden.
Kassel: Wie geht es eigentlich Tom Kummer jetzt? Ich meine, der banale Satz, er ist jetzt Tennislehrer, das könnte man missverstehen, es ist ja Tom Kummer, er ist ja nicht irgendein Tennislehrer. Er ist der Tennislehrer der Reichen und der Wichtigen, und die singen: It never rains in sunny California. Das hat er jeden Tag immer noch vor der Haustür. Ich fand, auf mich wirkt er in diesem Film auch heute noch nicht unglücklich.
Gimez: Sehen Sie, ich glaube, das Glück und das Unglück von Tom Kummer wird nicht bestimmt oder nicht nur bestimmt durch seinen Erfolg oder durch seine Anerkennung in der Welt des Journalismus oder der Kultur oder überhaupt der Öffentlichkeit. Ich glaube, Kummer hat noch einen anderen Maßstab, wann er glücklich ist und nicht glücklich. Und ich glaube, solange der wahre Kummer, der innere, verletzliche Kummer nicht tangiert wird, geht es ihm okay. Und ich glaube auch, dass er diesen ganzen Zauber mit diesen erfundenen Interviews aufgezogen hat vor unseren Augen, damit man sich eben nicht wirklich mit ihm beschäftigt. Er hat eine Art Wand, eine Rauchwand aufgezogen. Und ich versuche das, mehrmals in diesem Film, so nahe wie möglich an ihn heranzukommen, und immer, wenn ich an die Weichteile komme, dann beginnt er wirklich auszuweichen, und solange er sein Inneres bewahren kann, ist er – sagen wir mal – relativ glücklich.
Kassel: Zum Schluss: Ich muss zugeben, ich war damals – und bin es eigentlich heute noch – ein intensiver Leser des Magazins der "Süddeutschen Zeitung", habe ganz, ganz viele Interviews, diese erfundenen Interviews gelesen, habe es natürlich als Leser nicht gemerkt. Als ich es dann erfahren habe, habe ich natürlich schon gesagt: hoppla! Ich muss sagen, ich als Leser habe mich aber – vielleicht spricht es gegen mich – nicht wirklich betrogen gefühlt. Ich fand es trotzdem keine Zeitverschwendung, diese Texte zu lesen, weil sie halt unglaublich originell und zum Teil eben auch wirklich sehr, sehr gut geschrieben waren. Dadurch, dass natürlich die Zeit, wo irgendjemand irgendetwas von Kummer in einer halbwegs seriösen Zeitung drucken möchte, vorbei ist – geht uns als Lesern dadurch nicht auch ein bisschen was durch die Lappen jetzt?
Gimez: Ich glaube, es gibt immer noch gute Journalisten, und es gibt – und ich glaube, die Realität ist immer noch stark genug, dass sie jede Fiktion schlägt. Und wenn Sie wollen, können Sie auch spekulieren. Es steht Ihnen frei, jetzt darüber nachzudenken: Stimmt diese Geschichte mit Osama bin Laden oder ist sie eine Erfindung – man kann immer spielen.
Kassel: Das Spiel mit der Wahrheit, so wie es Kummer betrieben hat – ob man die letzten Schlüsse wirklich schließen kann nach diesem Film, das wollen wir mal jedem überlassen, der ihn sieht, aber neue Eindrücke kann man sicherlich gewinnen, wenn man "Bad Boy Kummer" guckt. Der Film ist ab heute auch in Deutschland in den Kinos zu sehen, und wir sprachen mit dem Regisseur des Films Miklós Gimez. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Gimez: Gern geschehen!