Warum hat man uns von diesem Autor nie erzählt?

Von Ariane Thomalla · 29.10.2005
In den zwanziger Jahren wurde er ebenso viel gelesen wie Jakob Wassermann, Heinrich Mann und Alfred Döblin. Heute ist Otto Flake, wenn überhaupt, nur noch in der oberrheinischen Region bekannt. Baden-Baden schmückt sich posthum mit dem "großen" Sohn der Stadt, hat ihm ein Ehrengrab ausgerichtet und jetzt eine Ausstellung. Als er noch lebte, entschied man sich im Stadtrat dagegen, ihm die Ehrenbürgerwürde zu verleihen. Damals empfahl der Oberbürgermeister dem verdächtigen Freigeist, doch bitteschön in die "Sowjetzone" gehen zu wollen. Otto Flake - ein Einzelgänger.
Er steht bis heute im Schatten der Literaturgeschichte: Otto Flake, der mit 34 Büchern einst Starautor des S.-Fischer-Verlags war. Und dann, nach dem Zweiten Weltkrieg, habe ihn der westdeutsche Literaturbetrieb gänzlich in die Vergessenheit gedrängt, erklärte 1958 der junge Bertelsmann-Lektor Rolf Hochhuth und holte den vereinsamten und verarmten Flake, der in Baden-Baden nach einem Selbstmordversuch im Krankenhaus lag, aus dem "Flake-Boykott". Bertelsmann erwarb von Fischer alle Rechte und gab einige Bücher neu heraus. Ein Riesenerfolg. Eine Auflage von fast einer Million in nur 28 Monaten. Flake tat, was er in solchem Fall immer getan hatte. Er zog um. In ein besseres Haus. In der Baden-Badener Bismarckstraße, so zeigen Fotos, frühstückte einst Hofmannsthal auf Flakes Terrasse, standen Thomas und Katja Mann in der Einfahrt des Hauses, stapfte Gerhart Hauptmann mit ihm durch die nahe Lichtentaler-Allee.

"Mein Häuschen schaut auf eine Wiese, kein Lärm draußen und keiner im Innern. Ruhe, eine Schale Kaffee, eine Zigarette - mehr ist nicht nötig. Ich bin ein Stoiker, dem Freiheit des Gedankens und Unabhängigkeit genügen."

Sein Werk, das an die hundert Bücher zählt, ist bis heute wissenschaftlich kaum erforscht. Alles in klarem anschaulichen Stil und immer auch mutig. Als er 1917 den deutschen Chauvinismus anprangerte, forderte ihn ein Herr von Golz auf Pistolen. Mussolini ließ ihn 1927 aus Südtirol ausweisen, was Flake für immer nach Baden-Baden brachte. 1934 schrieb er in der Frankfurter Zeitung, als die anderen schon passten, den Nachruf auf Samuel Fischer, was freilich in keinem Einklang stand zu seiner Unterschrift unter die Solidaritätsadresse deutscher Schriftsteller für Adolf Hitler im Oktober zuvor. Im lothringischen Metz 1880 von deutschen Eltern geboren und im Elsass aufgewachsen, war er bikulturell und kosmopolitisch. Keiner konnte ideologisch weniger gefährdet sein als dieser "Einzelgänger von Welt", Freigeist aus Prinzip, dem alle festen Wahrheiten verdächtig waren. Auch die christlichen. Auch ein Grund für den Nachkriegsboykott gegen ihn.

"Nie geht die Rechnung glatt auf, bei keinem Konflikt im Seelenleben, bei keinem Urteil der Gerichte. Wenn wir ins Grab sinken, sind die Probleme, das Vätererbe, noch immer ungelöst, und unser Leben war nur ein Teilstück der ewigen dialektischen Auseinandersetzung, die wir Geschichte nennen."

"Flakes "dichterischer Dämon" hat helle Augen und eine klare Stirn. Das mag die befremden, die den Dichter als den Dunklen sehen wollten, den geheimnisvoll Verworrenen."

Schrieb 1927 Stefan Zweig. Flakes Bücher seien Werke für Menschen, die die "Wachheit" liebten. Eine Wachheit, die auch die Helden und Heldinnen teilen in den Romanen, die eher fiktive Biographien sind. "Diese Zeugnisse genialer Lebensmeisterung" außerhalb der durch die Gesellschaft vorgegebenen Wege hätten bereits die jungen Leute in den Schützengräben des 1. Weltkriegs "elektrisiert", erinnerte später Friedrich Sieburg.

"So blickten wir ihm nach, wenn er vorüberging, er war blond, riesenhaft, schön wie ein antiker Athlet und kannte, so kam es uns vor, alle Geheimnisse des Lebens, ohne je eines über die fest geschlossenen Lippen zu lassen."

Ein blonder Riese mit traurigem Blick, wie die Fotos verraten. Flake trug sein Leben lang am Schicksal des Vaters, einem in seiner subalternen Position unglücklicher Polizei-Kanzlist, der sich wegen Pokerschulden erschoss. Sein einziger Sohn war da gerade neun. Grund, Trost bei den Frauen zu suchen? Flake war berühmt für seine Affären und fünf Ehen, aber auch für seine wunderbaren Frauengestalten.

"Dass ich Frauen zeichnen könne, hat man mir oft bestätigt, das Lob aber durch die Feststellung eingeschränkt, dass ich weniger die Hausfrau oder bürgerliche Kameradin als die Verwalterin des Eros ins Auge fasse. Nun, das hat seinen Grund darin, dass ich der Herkunft des Menschen aus der Natur mehr Aufmerksamkeit schenke als dem Eifer, mit dem er sich im Gesellschaftlichen einzurichten sucht."

Als vor zwei Jahren der Roman "Hortense oder die Rückkehr nach Baden-Baden" als Manesse-Bändchen erschien, rühmte ihn der Kritiker Gustav Seibt als "ein Wunderwerk des historischen Kolorits".

"Am Ende, beim Zuschlagen, fragt man sich betroffen: Warum hat man uns von diesem Autor nie erzählt?"