Duldsame Jungfrau und feministisches Vorbild
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Gerade zu Weihnachten hat Maria Konjunktur. Da steht sie dann lächelnd an der Krippe – und schweigt. So ist sie berühmt geworden. Da vergisst man leicht, dass in der scheinbar so duldsamen Gottesmutter auch revolutionäre Kraft steckt.
In der Advents- und Weihnachtszeit kommt kaum jemand an Maria vorbei: keine Krippe ohne die "Gottesmutter", die Gottesgebärerin, die nach katholischer Lehre im Grunde das Gefäß ist, um Gottes Sohn in die Welt zu bringen. Ein Gefäß, eine Frau, die absolut rein sein muss.
Deshalb entwickelte die katholische Kirche 1854 das Dogma von der unbefleckten Empfängnis. Dabei geht es darum, dass schon Maria ohne Makel im Mutterleib entstand, quasi als Embryo bereits frei von der sogenannten Erbsünde war.
Bei der Geburt Jesu war Maria sicher noch sehr jung – 13, 14 Jahre alt, vermutet man; allerdings war sie kein willenloses Werkzeug Gottes, meint die Kunsthistorikerin Claudia Höhl.
"Es ist ja nicht so: Es kommt so über sie und sie ist die passive, die nicht weiß, was sie da tut, sondern sie muss erst mal einwilligen. Und sie lässt sich auf das Ganze ein, durchaus wissend, dass das vielleicht alles nicht so einfach ist."
Sie lässt sich auf das Wirken Gottes ein, weil sie tiefgläubig ist, sagt der emeritierte Regensburger Theologe Wolfgang Beinert. "Die eigentliche Rolle Marias im Neuen Testament: Sie ist die große Glaubende. So könnte man ihre Rolle im Neuen Testament zusammenfassen."
Du weise Jungfrau
Du ehrwürdige Jungfrau
Du lobwürdige Jungfrau
Du mächtige Jungfrau
Du ehrwürdige Jungfrau
Du lobwürdige Jungfrau
Du mächtige Jungfrau
Jungfrau oder junge Frau?
Aber war die "große Glaubende" nun eine – wie es im Katholischen heißt – "immerwährende Jungfrau" oder nur eine sehr junge Frau? Die revidierte katholische Einheitsübersetzung nennt diese Möglichkeit immerhin in einer Fußnote. Und die Protestantin Silke Petersen, Professorin für Neues Testament an der Uni Hamburg, erklärt:
"Exegetisch würde ich das so sehen, dass es klar ist, dass Maria noch mindestens sechs weitere Kinder gehabt hat nach Jesus, weil die Namen von vier Brüdern und Schwestern neutestamentlich erwähnt werden. Das heißt, es war eine Frau mit mindestens sieben Kindern."
In der Kirchengeschichte erlebt Maria einen rasanten Aufstieg. In der lauretanischen Litanei, entstanden in der Mitte des 16. Jahrhunderts, bekommt Maria gleich 51 Superlative zugesprochen:
Du reine Mutter
Du keusche Mutter
Du unbefleckte Mutter
Du Mutter des Erlösers
Du Mutter der Barmherzigkeit
Du keusche Mutter
Du unbefleckte Mutter
Du Mutter des Erlösers
Du Mutter der Barmherzigkeit
Maria als Priesterin?
"Für die Menschen war es immer wichtig, das weibliche Moment vertreten zu sehen im göttlichen Bereich", sagt Wolfgang Beinert, "und das hat man dann auf Maria projiziert und ihr alle möglichen Titel beigegeben".
Obwohl den Katholiken Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts die aktuelle Debatte um die Priesterinnenweihe für Frauen noch fremd gewesen sein dürfte, wurde Maria auf Andachtsbildern vermehrt als Priesterin dargestellt – sehr zum Ärger des Heiligen Offizium. 1916 erklärte die vatikanische Glaubensbehörde:
"Da vor allem in neueren Zeiten damit begonnen wurde, Bilder zu verbreiten, welche die seligste Jungfrau Maria mit priesterlichen Kleidern angetan darstellen, beschlossen die Kardinäle: Ein Bild der seligen Jungfrau Maria in liturgischen Gewändern ist abzulehnen."
Doch selbst Pius X. hatte wenige Jahre zuvor ein Gebet mit den Worten abgeschlossen: "Maria, jungfräuliche Priesterin, bitte für uns."
Hauptaufgabe Schutz und Trost
Maria breitet den Mantel aus und ist die Beschützerin der ganzen Christenheit. Gerade von Mitte des 19. Jahrhundert an setzte die katholische Kirche im Kampf gegen die Moderne auf Maria, sagt der Theologe Wolfgang Beinert:
"Jetzt sucht man irgendwo jemanden, der einem helfen kann und da ist Maria nach alter Tradition die mächtige Fürsprecherin. Wenn man sich an Maria wendet, kann einem nichts mehr passieren. Da ist man auf der sicheren Seite."
Maria hat viele Seiten: Sie ist die vermeintliche Beschützerin – sogar in Kriegen. Sie ist aber auch die Trösterin:
"Weil sie unter dem Kreuz Jesu gestanden hat und damit im Prinzip in den Abgrund des menschlichen Lebens reingeguckt hat. Was Schlimmeres als seinen Sohn scheitern und sterben zu sehen, gibt es eigentlich nicht", sagt Bastian Rütter, katholischer Theologe im Marienwallfahrtsort Kevelaer.
Anbetung – aber nur, wenn sie stumm ist
Maria ist diejenige unten den himmlischen Heerscharen, an die man sich am besten wenden kann.
"Ich habe den Eindruck, dass gerade unseren, ich sage mal, älteren Frauen das Weibliche im Gott fehlt, weswegen über die Jahrhunderte auch der Marienkult so extrem gewachsen ist", sagt Maria Hagenschneider von der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands.
"Das heißt im Grunde, dass sie die Maria anbeten, als sei sie göttlich. Das ist ein Punkt, der mich zornig macht: Der Mensch Maria wird auf einen Sockel gehoben und muss still sein. Die politische Frau, die das Magnifikat gesungen hat, die darf nicht vorkommen."
Die Katholikin Maria Hagenschneider kritisiert, dass Maria von ihrer Kirche für eine bestimmte Rolle instrumentalisiert wurde und wird. Das sieht Horst Gorski ganz ähnlich. Er ist Vizepräsident im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland.
"Es gibt ja im Lukasevangelium ihren Satz: ‚Mir geschehe, wie du gesagt hast.‘ Und dieser Satz, der ist in einer sehr langen Tradition zu einem Vorbild demütigen Mutterseins, Frauseins gebraucht worden: dass die Frau dem zuzustimmen hat, was geschieht."
In der protestantischen Kirchengeschichte spielt Maria keine große Rolle. Dabei war Martin Luther durchaus ein Freund der Madonna. Der Reformator habe keineswegs die Marienverehrung abgeschafft, betont Gorski:
"Er hat sie allerdings vom Kopf auf die Füße gestellt, weil er zu seiner Zeit vorgefunden hat, dass Maria in Funktion von Jesus getreten war: Jesus wurde eher als der Richter gesehen, und Maria als diejenige, die man anrief, um beim Richter um Gnade zu bitten, und das hat Luther kritisiert, das hat er verändert."
Vorbild für das katholische Frauenbild
Katholischerseits prägte der Blick auf Maria stets das Frauenbild, sagt der Kirchenrechtler Thomas Schüller; so auch noch bei Papst Johannes Paul II.
"In der Haltung zur Gottesmutter sah er den Kern dessen, was eine Frau zu tun hat: Dass sie empfängt, dass sie diejenige ist, die das Leben schenkt, und das hielt er für einen ganz großartigen Beitrag der Frauen zur Weiterentwicklung der Menschheit."
"Das ist natürlich für das Frauenbild ganz gruselig: Zu sagen, der Katholizismus hat eine wichtige Frau, aber die wichtigste Frau im Katholizismus ist immer nur dienend", kritisiert die evangelische Theologin Silke Petersen.
Mit Maria gegen die Moderne...
In der Tradition des konservativen Marienkultes sieht sich aktuell noch die kleine oberbayerische Initiative "Maria 1.0", die sich gegen Reformen in der katholischen Kirche wendet und besonders gegen eine Weihe von Frauen. Eine der Initiatorinnen von "Maria 1.0" ist Dorothea Schmidt:
"Selbst Jesu Mutter, die ja am meisten würdig gewesen wäre, war keine Apostelin. Sie hat sich nicht beklagt. Sie wusste, dass ihr Sohn nicht nur Mensch, sondern auch Gott war, und sie wollte in allem den Willen Gottes erfüllen. Das hat sie auch getan und damit ist sie unser Vorbild und auch ein Wegweiser."
…und mit Maria für die Kirchenreform
Vorbild und Wegweiser ist Maria aber mittlerweile auch für katholische Frauen, die auf Veränderungen drängen. Sie berufen sich unter anderem auf das Magnifikat aus dem Lukas-Evangelium, in dem Maria singt:
"Gott stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen."
Die revolutionäre Maria des Magnifikats, die sich nicht auf ihre Mutterschaft reduzieren lässt, ist zu einem Vorbild der neuen katholische Fraueninitiative geworden. Sie nennt sich nicht zufällig: "Maria 2.0". Eine ihrer Initiatorin, Lisa Kötter, ist überzeugt:
"Dass es wirklich eine Form der Selbstermächtigung gibt, so zu feiern und zu tun, wie man das für richtig hält, und nicht zu warten, bis jemand seine Erlaubnis gibt. Wir von 'Maria 2.0' sagen ja auch ganz klar: Wir sind auf der Suche nach neuen Wegen und neuen Strukturen, und ich glaube, dass wir schon ganz woanders sind als vielleicht der Papst oder die Bischöfe sind. Wir haben eine Religion der Befreiung. Wir sind so frei. Wir sind so frei."
Wem gehört Maria?
Eine "Verzweckung der Gottesmutter" soll der Münsteraner Bischof Felix Genn der Initiative "Maria 2.0" vorgeworfen haben. Das aber tun doch alle Ansätze, die Maria zur Trägerin einer bestimmten Botschaft für heute machen - ganz egal, wie nah diese an der historischen Maria dran ist.