Warum StudiVZ immer mehr Nutzer verliert

Moderation: Susanne Führer |
Das vor einiger Zeit noch sehr erfolgreiche deutsche soziale Netzwerk StudiVZ befindet sich im steten Sinkflug. Immer mehr Nutzer wandern ab, meist zu Facebook. Für Medienjournalist Philip Banse eine Folge von mangelnder Innovation des Anbieters.
Susanne Führer: Bis zum Mai 2010 stieg die Kurve der Nutzer des Netzwerkes StudiVZ steil an. Aus der kleinen Klitsche wurde ein richtig teures Unternehmen. 80 Millionen Euro legte der Holtzbrinck-Konzern dafür auf den Tisch. Aber seit Mai 2010 befindet sich StudiVZ im Sinkflug. Wenn die Abwanderung der Nutzer so weitergeht, dann ist im März Schluss, dann ist niemand mehr bei StudiVZ. Und über die Gründe dafür will ich jetzt mit dem Medienjournalisten Philip Banse sprechen. Hallo!

Philip Banse: Hallo!

Führer: Ja, was macht Facebook besser als StudiVZ?

Banse: Ich glaube, Facebook ist einfach innovativer. Die haben die letzten Jahre damit verbracht, sich neue Sachen auszudenken, während StudiVZ mehr oder weniger seine Nutzer verwaltet hat. Jetzt sind diese ganzen Sachen, die Facebook erfunden hat, natürlich sehr kritisiert worden, aber sie haben einfach wahnsinnig viel erfunden. Sie haben sich zu einer Art Identitäts-Verwaltungsstelle für das Internet entwickelt, dadurch …

Führer: Mal ein Beispiel, was sie da so …

Banse: Na ja, zum Beispiel diese Like-Buttons. Und sie haben es also geschafft, das ganze Internet …

Führer: Ach so, "I like", anklicken, gefällt mir, gefällt mir nicht …

Banse: Genau, sie haben es also geschafft, sagen wir mal, sich wie so ein – Virus ist immer so falsch, und Krake klingt auch so negativ – aber sie haben sich wie so ein Gewächs im Internet festgesetzt, dass sie nicht nur mehr dieser Facebook-Container sind, wo man reingeht, sich unterhält und wieder rausgeht, sondern sie haben es durch diese Techniken geschafft, ganze Webseiten nach Facebook reinzuholen, Facebook auf diese Seiten auszugliedern, sodass die Leute immer weniger Hürden überwinden müssen, um Facebook zu nutzen, dass es immer innovativer und attraktiver wird.

Dann haben sie natürlich auch so was geschafft, wie Spiele zu integrieren. Das hat StudiVZ nicht wirklich probiert. Und diese Spiele sind ein Riesending – finanziell, aber auch eben ein Magnet für die Leute, da hinzukommen. Also ich glaube, bei aller Kritik, Facebook war einfach innovativer. Und StudiVZ hat, glaube ich, 2009 den ersten profitablen Monat oder so was gemeldet. Also ich glaube, die haben einfach – oder Holtzbrinck hat da einfach mehr drauf gesetzt, das Ding profitabel zu machen, damit Geld zu verdienen, und dabei einfach vergessen, Sachen zu erfinden.

Führer: Gibt es denn gar nichts, was StudiVZ besser macht als Facebook?

Banse: Na ja, StudiVZ hat sehr viel Mühe und Geld reingesteckt, datenschutzkonform zu sein. Denen waren halt so Stiftung-Warentest-Label und Auszeichnungen sehr wichtig und auch so Gütesiegel, Datenschutz-Gütesiegel et cetera, das war denen sehr wichtig, aber das reicht halt nicht.

Führer: Ich finde es ja trotzdem erstaunlich – Sie sagen, okay, die waren innovativer –, dass Facebook in Deutschland so erfolgreich ist, weil ich glaube, es gibt kein anderes Land auf der Welt, wo Facebook so eine schlechte Presse hat wie hier, eben wegen der Datenunsicherheit.

Banse: Genau. Und ich glaube, da zeigt sich wieder so eine deutsche Schizophrenie. Also einerseits ist die Presse sehr schlecht, und alles, was Facebook macht, ist von Übel, und Facebook hat ein extrem schlechtes Image – ich würde sagen, zum Teil auch zu Recht. Gleichzeitig nutzen aber 20 Millionen Deutsche Facebook und kehren datenschutzfreundlicheren Netzwerken wie den VZ-Netzwerken den Rücken. Und das kann man nur so verstehen, dass den Leuten das unterm Strich nicht so wichtig ist, glaube ich.

Also es gibt da große Aufregung, aber ich glaube, hier kollidiert so eine etwas tradierte Vorstellung von Datenschutz – da sind meine Daten, über die habe ich Kontrolle, ich entscheide, wann sie wohin wandern, das, was StudiVZ versucht hat, einzubauen und was so der gängige Datenschutzansatz ist, der kollidiert einfach mit so was wie Facebook, wo Mark Zuckerberg sagt: Leute, hier gibt es ein anderes Paradigma, ihr wollt jetzt was anderes, und hier ist erst mal per se tendenziell alles offen. So, da kann man sich drüber aufregen, das ist was völlig Konträres, aber ich glaube, hier stimmen die Leute auch mit den Füßen ab. Und hier zeigt sich, dass sich, glaube ich, diese Vorstellung in Deutschland von dem, was Datenschutz ist, radikal ändern muss. Ich sage nicht, dass das werden muss wie Facebook, aber ich glaube, dieser Niedergang von StudiVZ zeigt, dass man sich da was anderes überlegen muss, dass das so mit wir haben unsere Daten und passen darauf auf, das funktioniert einfach nicht in sozialen Netzwerken.

Führer: Sie haben gerade gesagt, die Leute stimmen mit den Füßen ab, und das tun sie ja immer gleich gruppenweise, deswegen ist dieser Absturz – wenn man sich das in einer Grafik vorstellt, dann geht wirklich die Linie ganz steil nach unten –, der Absturz so rasant, weil in einem Netzwerk, da geht dann nicht nur einer weg von StudiVZ, sondern nimmt gleich seine gesamten Freunde mit. Da habe ich mich gefragt, StudiVZ hatte ja mal, ich glaube, 4,8 Millionen Nutzer oder so in Deutschland. Waren die nur deswegen mal so erfolgreich, weil es Facebook noch nicht auf deutsch gab? Denn das gibt es ja erst seit Frühjahr 2008, da sollte man vielleicht noch mal dran erinnern.

Banse: Genau, das hat wie immer mehrere Gründe. Man kann, glaube ich, StudiVZ getrost als Kopie von Facebook bezeichnen, da gab es auch so ein paar Klagen, Prozesse und so, und ich glaube, es gab mal eine Zeit, wo die Funktionalität relativ ähnlich war von Facebook und StudiVZ. StudiVZ hatte dann den Vorteil, auf deutsch am Markt zu sein, was für Schüler und Studenten vielleicht attraktiver war, da hat es sehr viele Nutzer gesammelt, auch weil es neu war und interessant. Aber dann haben die halt meiner Meinung nach aufgehört, wirklich innovativ zu sein und Sachen zu erfinden und die Massen anzuziehen. Und deswegen laufen die Leute jetzt zu Facebook.

Führer: Über die Gründe für den Niedergang von StudiVZ spreche ich mit dem Medienjournalisten Philip Banse im Deutschlandradio Kultur. Nun ist es ja so, Herr Banse, dass sich Facebook inzwischen wirklich zu einem wahren Monopolisten zu entwickeln scheint, denn wir hatten das Thema grade: Weil so viele auf Facebook sind, gehen auch so viele da hin, weil man da eben auch alle anderen trifft. Es gibt ja manche, die meinen, dass deswegen zum Beispiel so ein neues Netzwerk wie Google+, was eigentlich sehr gut sein soll, gar keine Chance mehr hat, weil Facebook einfach zu groß geworden ist. Also anders gefragt, ist es sozusagen das Wesen eines Sozialen Netzwerkes im Grunde genommen inhärent ein Monopolist zu sein?

Banse: Es gibt ja diese Tendenzen zu Monopolstrukturen, das ist ein wirtschaftliches Grundgesetz, glaube ich. Das gilt sowohl im Internet als auch in der physischen, in der Kohlenstoff-Welt, sage ich mal, dass es den Trend dazu gibt, dass sich Monopole rausbilden. In der …

Führer: Ich meinte jetzt gar nicht so im Internet allgemein, sondern für ein Soziales Netzwerk.

Banse: Da wollte ich gerade zu kommen: Da ist natürlich, sagen wir mal, die Dynamik noch eine ganz andere, weil natürlich noch sehr viel davon abhängt, wo sind meine Freunde? Das geht nicht nur darum: Wo finde ich die bessere Suchmaschine, wo habe ich den besseren Service? Sondern wo sind meine Freunde? Und das ist natürlich dann so ein exponentieller Abstieg fast, wenn die Leute überrennen und immer mehr Leute überrennen. Die Frage ist natürlich, ja, ich glaube auch, im Bereich Soziales Netzwerk ist Facebook de facto ein Monopol, muss man fast sagen. Die gehen auf eine Milliarde User zu, Nutzer weltweit.

Jetzt kann man natürlich sagen, früher war es so in der Kohlenstoff-Welt, da hat man gesagt, okay, dann regulieren wir das eben, dann setzen wir Grenzen für Wachstum und Akquisition et cetera, das ist natürlich bei sowas Weltweitem wie Facebook und dem Internet kompliziert, ich würde aber argumentieren, dass so schnell dieser Aufstieg von Facebook jetzt gegangen ist, innerhalb weniger Jahre – er kann eben auch relativ schnell wieder vorbei sein, das sieht man also – ich weiß nicht, ob sich noch jemand an Myspace erinnert, die hatten auch mal einen ganzen Sack voll User und waren gut im Rennen, die existieren jetzt nur noch quasi als Nischending für Musik.

Zum Beispiel Google, empfunden wird es als Quasimonopolist auf Suchmaschinen, speziell in Europa. Ich zum Beispiel – aber ich kenne auch viele andere – ja, die fangen jetzt halt an, woanders zu suchen, weil sie bei Google bestimmte Sachen nicht mehr finden. Und wenn die schlecht werden, und wenn es irgendwie ein Fehler passiert, dann kann es auch sein, dass Facebook schnell wieder runtergeht. Auch wenn das jetzt nicht abzusehen ist, aber es geht eben schnell hoch, und weil die Hürden relativ niedrig sind, geht es eben auch schnell wieder runter.

Führer: Wo Sie immer von der Kohlenstoff-Welt sprechen, dazu gehört ja Holtzbrinck, der Konzern – also ein Konzern der alten Medien, noch so richtig auf Papier und so –, und die hatten StudiVZ vor knapp vier Jahren gekauft, also im Januar 2007 für 80 Millionen. Nun haben wir diesen Niedergang von StudiVZ. Kann man sagen, dass eben so ein alter großer Kohlenstoff-Konzern dazu nicht in der Lage ist, so einen Internet-Laden zu leiten?

Banse: Na ja, also wenn man sich das so anguckt, dann sieht es zumindest so aus. Klar ist es jetzt einfach, schadenfroh zu sein, ja, aha, der dumme Zeitungsverlag hat sich hier verhoben und hat keine Ahnung vom Internet und sind jetzt gegen die Wand gefahren und haben 80 Millionen verbrannt –, das finde ich aber zu kurz gegriffen, weil es unterm Strich schon ein bisschen schade ist, finde ich, auch bedauerlich, dass in Deutschland da so wenig geht.

Also dass so wenig, eigentlich keine, führenden Internetgeschichten aus Deutschland kommen. Auch wenn es anfängt mit einer Kopie, wie bei StudiVZ, wäre es doch schön gewesen, wenn die Erfolg gehabt hätten. So, deswegen: Ja, wahrscheinlich liegt das auch an den Strukturen, ja, sicherlich, für Deutsche wirkt das natürlich immer ein bisschen nahe am Wahnsinn, wenn so amerikanische Unternehmer wie Zuckerberg hingehen und sagen: Fünf Millionen, du willst mir meinen Laden für fünf Millionen abkaufen? Ich will wachsen, ich will wachsen, ich will größer werden, ich will die Welt verändern! Und Geld verdienen ist mir erst mal egal. Und so wachsen die dann halt, und wenn dann Holtzbrinck natürlich dann nach, weiß ich nicht, zwei Jahren da den ersten Gewinn raus ziehen will, ist das vielleicht die falsche Einstellung.

Führer: Ja, der Unterschied ist vielleicht auch noch, dass so einer kommt wie Mark Zuckerberg und sagt: Ich bin 22 und gibt mir fünf Millionen, ich mach dann hier was ganz tolles. Sie haben gerade gesagt, die Deutschen spielen da nicht mit. Ich habe mal so ein bisschen überlegt, wen haben wir denn da Großes? EBay, Amazon, YouTube, Twitter, Yahoo, Google, Facebook – Deutsche Unternehmen spielen keine Geige?

Banse: Nein, das ist so. Es gibt, glaube ich auch – bin ich mir nicht ganz sicher – im Dax kein Internetunternehmen im Deutschen Aktienindex. Ja, es ist ein bisschen rätselhaft. Also Sascha Lobo hat da heute eine Kolumne zu geschrieben und sucht die Begründung dafür, sagen wir, in der deutschen Abneigung gegenüber Quatsch, und dem Hang zur Ernsthaftigkeit und sieht da halt so Quatsch und Spaß und Spielerei so ein bisschen als den Schmierstoff des Internets, aus dem halt neue Ideen entstehen, die erst mal so ein bisschen quatschig und wahnsinnig wirken, und die Deutschen suchen halt immer Ernsthaftigkeit. Das muss irgendwie Sinn machen und es muss funktionieren, und da sucht er die Erklärung dafür, dass deutsche Unternehmen im Internet weltweit keine Rolle spielen. Man kann sicherlich mal drüber nachdenken, aber eine richtige Antwort, finde ich, ist das noch nicht.

Führer: Aber dafür sind wir ganz prima im Maschinenbau. Das war der Medienjournalist Philip Banse über Erfolg und Misserfolg im Internet. Danke für Ihren Besuch hier!

Banse: Gern geschehen!


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