Warum Taxifahrern der Kopf nicht platzt
Was passiert im Kopf, wenn wir lernen? Welche Teile des Hirns sind bei Sprachaneignung aktiv? Sarah-Jayne Blakemore und Uta Frith fassen in "Wie wir lernen - Was die Hirnforschung darüber weiß" das Forschungsspektrum der modernen Lernforschung zusammen und erklären, warum sich Taxifahrer jede Straße merken können, ohne ihr Gehirn zu überfordern.
Londoner Taxifahrer haben einen besonders ausgebildeten Orientierungssinn. Ihr Wissen über knapp 30.000 Straßen in der Metropole führt dazu, dass ihr Gehirn an einigen Stellen etwas anders aussieht, als das von normalen Autofahrern. Das Areal, das für den Orientierungssinn verantwortlich ist, der hintere Teil des Hippocampus, ist bei Taxifahrer besonders groß. Dafür ist der vordere Teil etwas kleiner.
Denn, wenn ein Gehirnareal aufgrund von Erfahrungen beziehungsweise Lernen wächst, dann geht das immer auf Kosten anderer Teile des Gehirns, schreiben Sarah-Jayne Blakemore und Uta Frith, Neurologin und Kognitionspsychologin am University College in London.
Das Gehirn schafft einen Ausgleich, ohne dass wir es merken, was aber sehr gut ist, sagen die beiden Wissenschaftlerinnen, denn sonst würde den Londoner Taxifahrer womöglich der Kopf platzen. Der große hintere Hippocampus der Londoner Taxifahrer existiert allerdings nur solange, wie sie ihren Beruf praktizieren, wechseln sie den Job oder gehen in Rente, schrumpft das Areal wieder auf Normalgröße.
Der Mensch lernt sein ganzes Leben, weil das Gehirn eine enorme Anpassungsfähigkeit besitzt. Das Sprichwort "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr" hat die Hirnforschung längst eindeutig widerlegt.
In ihrem überaus gelungen Buch "Wie wir lernen" fassen die beiden Autorinnen das gesamte Forschungsspektrum der modernen Lernforschung übersichtlich und gut verständlich zusammen. Der Leser erhält eine Fülle von Informationen, die verdeutlichen, wie wir uns Wissen aneignen. Dabei geht es den beiden Autorinnen nicht darum, konkrete Lernmethode für bestimmte Bereiche wie zum Beispiel den Schulunterricht zu erstellen, sondern die Mechanismen des Lernens und ihre Auswirkungen auf das Gehirn zu verdeutlichen.
Was passiert im Kopf, wenn Kinder lesen lernen? Wie reagiert das Gehirn im Mathematikunterricht? Welche Faktoren verursachen eine Lese-Rechtschreibschwäche? Wie schaffen es Schlaganfallpatienten den Ausfall von Gehirnarealen zu kompensieren oder wie erreichen Gedächtniskünstler es, sich so viele Einzelheiten zu merken?
Wer mehr über die Funktionsweise der grauen Zellen wissen will, wird sich an diesem Buch erfreuen, das fachlich kompetent und zugleich unterhaltsam geschrieben ist.
So findet sich im Abschnitt über das Schreiben und Lesen lernen auch ein kurzer Abriss über die Entwicklung der Schrift. Kein notwendiges, aber sehr hilfreiches Kapitel, das verdeutlicht, wie in unterschiedlichen Sprachen Worte erfasst werden. Zwar benutzen im Europäischen Sprachraum alle Menschen die Lesen und Schreiben lernen dieselben Hirnareale, aber je nachdem in welcher Sprache man Lesen lernt, sind die Hirnregionen unterschiedlich aktiv. Drei Bereiche in der linken Gehirnhälfte sind dazu notwendig. Das Frontalhirn, es ist für die Produktion gesprochener Sprache zuständig, der mittlere Temporallappen, er sorgt für die Dekodierung von Sprache und das hintere Wortformareal, welches sich mit der Schreibweise, Lautung und der Bedeutung von Wörtern befasst.
Wer Italienisch lernt benutzt stärker den mittleren Bereich, da Aussprache und Schriftform meist identisch sind. Lernt man dagegen Englisch oder Französisch, wird der hintere Bereich des Wortformareals stärker beansprucht, da zahlreiche Wörter anders geschrieben werden, als man sie ausspricht. Bei Menschen, die Italienisch und Englisch sprechen, ändert sich je nach Sprache die Aktivität in den Hirnarealen, das Gehirn ist sehr flexibel.
Diese Erkenntnissen sind durch verschieden Untersuchung mit der Kernspintomographie belegt worden, bei denen die Hirnaktivität von lesenden Probanden beobachtet wurde. Über die verschiedenen Untersuchungsmethoden der Hirnforschung informieren die Autorinnen in einem gesonderten Anhang.
Ein gute Vorgehensweise, denn die beiden Wissenschaftlerinnen, wollen Lernen nicht allein auf die Aktivität der Hirnfunktionen reduzieren. Das sei einseitig und falsch, schreiben sie.
Lernen spielt sich im Gehirn ab und lässt sich heute mit modernen Mitteln auch dort beobachten, aber das allein gibt noch keine ausreichende Antwort darauf, wie eine erfolgreiche Lernmethode aussehen muss. Aus der Funktionsweise des Gehirns lassen sich keine Schlussfolgerungen für das schulische Lernen ableiten.
Pädagogische Konzepte sollten zwar auf die Ergebnisse der Hirnforschung schauen, sie aber nicht als einziges Mittel sehen, denn das Lernen wird zu einem sehr großen Teil durch die Umgebung gesteuert, betonen die Autorinnen. Mit den neuen Methoden lässt sich oft besser verstehen, warum Lernprozesse unter bestimmten Umständen scheitern.
Wissenschaftliche Erklärungen für erfolgreiches Lernen müssen aber immer auch die geistigen Vorgänge beim Lernenden und die von der Umgebung gestellten Anforderungen berücksichtigen. Das sauber auseinander zu halten und zugleich einen interessanten und umfassenden Überblick über Lernen und Hirnforschung zu geben, ist in diesem Buch gelungen.
Sarah-Jayne Blakemore / Uta Frith: Wie wir lernen. Was die Hirnforschung darüber weiß.
Aus dem Englischen von Hella Beister
296 Seiten, 24,90 Euro
Denn, wenn ein Gehirnareal aufgrund von Erfahrungen beziehungsweise Lernen wächst, dann geht das immer auf Kosten anderer Teile des Gehirns, schreiben Sarah-Jayne Blakemore und Uta Frith, Neurologin und Kognitionspsychologin am University College in London.
Das Gehirn schafft einen Ausgleich, ohne dass wir es merken, was aber sehr gut ist, sagen die beiden Wissenschaftlerinnen, denn sonst würde den Londoner Taxifahrer womöglich der Kopf platzen. Der große hintere Hippocampus der Londoner Taxifahrer existiert allerdings nur solange, wie sie ihren Beruf praktizieren, wechseln sie den Job oder gehen in Rente, schrumpft das Areal wieder auf Normalgröße.
Der Mensch lernt sein ganzes Leben, weil das Gehirn eine enorme Anpassungsfähigkeit besitzt. Das Sprichwort "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr" hat die Hirnforschung längst eindeutig widerlegt.
In ihrem überaus gelungen Buch "Wie wir lernen" fassen die beiden Autorinnen das gesamte Forschungsspektrum der modernen Lernforschung übersichtlich und gut verständlich zusammen. Der Leser erhält eine Fülle von Informationen, die verdeutlichen, wie wir uns Wissen aneignen. Dabei geht es den beiden Autorinnen nicht darum, konkrete Lernmethode für bestimmte Bereiche wie zum Beispiel den Schulunterricht zu erstellen, sondern die Mechanismen des Lernens und ihre Auswirkungen auf das Gehirn zu verdeutlichen.
Was passiert im Kopf, wenn Kinder lesen lernen? Wie reagiert das Gehirn im Mathematikunterricht? Welche Faktoren verursachen eine Lese-Rechtschreibschwäche? Wie schaffen es Schlaganfallpatienten den Ausfall von Gehirnarealen zu kompensieren oder wie erreichen Gedächtniskünstler es, sich so viele Einzelheiten zu merken?
Wer mehr über die Funktionsweise der grauen Zellen wissen will, wird sich an diesem Buch erfreuen, das fachlich kompetent und zugleich unterhaltsam geschrieben ist.
So findet sich im Abschnitt über das Schreiben und Lesen lernen auch ein kurzer Abriss über die Entwicklung der Schrift. Kein notwendiges, aber sehr hilfreiches Kapitel, das verdeutlicht, wie in unterschiedlichen Sprachen Worte erfasst werden. Zwar benutzen im Europäischen Sprachraum alle Menschen die Lesen und Schreiben lernen dieselben Hirnareale, aber je nachdem in welcher Sprache man Lesen lernt, sind die Hirnregionen unterschiedlich aktiv. Drei Bereiche in der linken Gehirnhälfte sind dazu notwendig. Das Frontalhirn, es ist für die Produktion gesprochener Sprache zuständig, der mittlere Temporallappen, er sorgt für die Dekodierung von Sprache und das hintere Wortformareal, welches sich mit der Schreibweise, Lautung und der Bedeutung von Wörtern befasst.
Wer Italienisch lernt benutzt stärker den mittleren Bereich, da Aussprache und Schriftform meist identisch sind. Lernt man dagegen Englisch oder Französisch, wird der hintere Bereich des Wortformareals stärker beansprucht, da zahlreiche Wörter anders geschrieben werden, als man sie ausspricht. Bei Menschen, die Italienisch und Englisch sprechen, ändert sich je nach Sprache die Aktivität in den Hirnarealen, das Gehirn ist sehr flexibel.
Diese Erkenntnissen sind durch verschieden Untersuchung mit der Kernspintomographie belegt worden, bei denen die Hirnaktivität von lesenden Probanden beobachtet wurde. Über die verschiedenen Untersuchungsmethoden der Hirnforschung informieren die Autorinnen in einem gesonderten Anhang.
Ein gute Vorgehensweise, denn die beiden Wissenschaftlerinnen, wollen Lernen nicht allein auf die Aktivität der Hirnfunktionen reduzieren. Das sei einseitig und falsch, schreiben sie.
Lernen spielt sich im Gehirn ab und lässt sich heute mit modernen Mitteln auch dort beobachten, aber das allein gibt noch keine ausreichende Antwort darauf, wie eine erfolgreiche Lernmethode aussehen muss. Aus der Funktionsweise des Gehirns lassen sich keine Schlussfolgerungen für das schulische Lernen ableiten.
Pädagogische Konzepte sollten zwar auf die Ergebnisse der Hirnforschung schauen, sie aber nicht als einziges Mittel sehen, denn das Lernen wird zu einem sehr großen Teil durch die Umgebung gesteuert, betonen die Autorinnen. Mit den neuen Methoden lässt sich oft besser verstehen, warum Lernprozesse unter bestimmten Umständen scheitern.
Wissenschaftliche Erklärungen für erfolgreiches Lernen müssen aber immer auch die geistigen Vorgänge beim Lernenden und die von der Umgebung gestellten Anforderungen berücksichtigen. Das sauber auseinander zu halten und zugleich einen interessanten und umfassenden Überblick über Lernen und Hirnforschung zu geben, ist in diesem Buch gelungen.
Sarah-Jayne Blakemore / Uta Frith: Wie wir lernen. Was die Hirnforschung darüber weiß.
Aus dem Englischen von Hella Beister
296 Seiten, 24,90 Euro