Eines der größten Rätsel der Menschheit
Warum verlieben sich Menschen? Bevor es im Herzen heftig klopft, muss es im Kopf "Klick" machen: Nervenbotenstoffe sorgen für Ausnahmezustand. © Getty Images / iStock / Tanda
Warum wir uns verlieben
Die Schnulzen und Balladen liegen daneben: Mit der Frage, warum wir uns verlieben, haben weder Herz noch Magen etwas zu tun. Denn in Liebesdingen ist das wichtigste Organ das Gehirn.
Zittern, Übelkeit, feuchte Hände, Herzrasen, Ängstlichkeit, Probleme beim Sprechen, Appetitlosigkeit: Was sich liest wie eine Liste von Nebenwirkungen aus der Packungsbeilage, ist nur eine kleine Auswahl von möglichen Anzeichen für eine Verliebtheit. Verliebt zu sein, das bedeutet Ausnahmezustand im Körper.
Die Gedanken kreisen gefühlt nur noch um diesen einen Menschen und wir schauen auch nicht ganz so kritisch auf dessen Schwächen. Wir fühlen uns unbeschwert und frei, manchmal unbesiegbar sogar, und wir werden auch ein bisschen leichtsinnig. Verliebt zu sein, das bedeutet Rausch.
Verliebtsein: Was ist das genau?
Verliebtsein ist Biochemie. Und das kann man sogar im Gehirn nachweisen: Nervenbotenstoffe sorgen für Kirmes im Kopf. Vereinfacht gesagt übertragen Nervenbotenstoffe Informationen. Sie docken an bestimmten Rezeptoren an und sagen einer Nervenzelle, was sie zu tun hat.
Beim Verliebtsein ist das Glückshormon Dopamin ganz vorne mit dabei. Es flutet regelrecht unsere Kommandozentrale im Kopf. Aber auch Adrenalin wird ausgeschüttet und sorgt für Aufregung und Erregung. Gleichzeitig sinkt der Serotoninspiegel und alles in allem kann das dazu führen, dass wir nicht mehr ganz klar denken und uns anders verhalten als üblich.
Verliebt zu sein, das ist am Ende ein biochemischer Zustand. Bleibt der aufputschende Hormoncocktail plötzlich aus, etwa bei einer Trennung in der Phase des Verliebtseins, dann fühlt sich das an wie ein Drogenentzug.
Geht das Verliebtheitsein wieder weg?
Auf Dauer hält der Körper diesen Ausnahmezustand nicht aus. Deswegen pegeln sich die Hormone nach und nach wieder auf einen Normalzustand ein. Möglich, dass nach ein paar Monaten oder wenigen Jahren die Verliebtheitsgefühle verpuffen. Oder sie gehen in eine tiefere Form der Liebe über. Diese ist gekennzeichnet von einem höheren Level an Oxytocin, auch Kuschel- oder Bindungshormon genannt. Es wird beim Sex ausgeschüttet, aber zum Beispiel auch beim Stillen.
„Wie Hormone ganz genau arbeiten, das hat man noch nicht herausgefunden“, sagt Dr. Oliver Dierssen. Dierssen ist Kinder- und Jugendpsychiater und hat die Frage nach dem Verliebtsein im Kinderpodcast Kakadu für die elfjährige Anouk beantwortet.
Erwachsene denken bei der Frage nach dem „Warum?“ vielleicht als Erstes an Fortpflanzung. Monogamie ist in der Natur aber ein eher seltenes Phänomen: Sex funktioniert auch ohne Verliebtsein hervorragend. Und nicht alle Verliebten haben auch Lust auf Nachwuchs.
Warum verlieben wir uns?
Forschende gehen davon aus, dass das Verliebtsein eine Art Brücke zwischen den Menschen ist. So banal es klingt: Damit wir uns lieben können, müssen wir einander kennen. Und beim Kennenlernen hilft das Verliebtsein. Normalerweise halten Menschen intuitiv eine gewisse Distanz zueinander ein. Wir können nicht immer wissen, ob uns das Gegenüber wohlgesonnen ist, und wollen nicht gleich jede und jeden nah an uns heranlassen. Sind wir hingegen verliebt, suchen wir die Nähe eines anderen Menschen, begegnen ihm wohlgesonnen und möchten mehr über ihn erfahren. Und mit etwas Glück entsteht eine echte Bindung. Einen "Spezialtrick unserer Seele und unseres Körpers" nennt Dierssen das im Kakadu-Podcast.
Das ist eines der ganz großen Geheimnisse der Menschheit. Und wenn ich jetzt behaupten würde, dass ich als Kinderpsychiater dieses Geheimnis schon entschlüsselt hätte, dann würde ich viel zu viel versprechen.
„Unsere ganze Welt beruht darauf, dass Menschen gut miteinander auskönnen, dass sie Gruppen, Paare und Familien bilden. Das macht unsere Welt aus. Wenn wir einfach nur Einzelkämpfer wären und jeder nur an sich denkt, sähe es schlimm aus auf der Welt“, erklärt Oliver Dierssen. Menschen kümmern sich im Verbund umeinander. So betrachtet, dient das Verliebtsein also doch der Erhaltung der Art.
Was bestimmt, in wen wir uns verlieben?
Warum aber verlieben wir uns in eine ganz bestimmte Person? Und nicht in irgendeine andere? „Das ist eines der ganz großen Geheimnisse der Menschheit“, sagt Dierssen, „und wenn ich jetzt behaupten würde, dass ich als Kinderpsychiater dieses Geheimnis schon entschlüsselt hätte, dann würde ich viel zu viel versprechen.“ Es sei mit wissenschaftlichen Methoden weder messbar noch vorhersehbar, warum und in wen wir uns verlieben.
Die Forschung kennt aber ein paar Faktoren, die das mit dem Verlieben zumindest begünstigen. Der Geruch zum Beispiel. Über ihn nehmen wir unterbewusst Informationen über den Gesundheitszustand des anderen wahr. Auch frühe kindliche Prägungen können eine Rolle spielen, ganz besonders bei der sagenumwobenen Liebe auf den ersten Blick. Wobei die eigentlich "Verliebtheit auf den ersten Blick" heißen müsste.
Die Anthropologin Helen Fisher konnte zeigen, dass Liebe und Verliebheit zwei verschiedene Dinge sind, die sich in unterschiedlichen Gehirnarealen abspielen. Verliebtsein ist eher im Stammhirn verortet, dem älteren, archaischen Teil unseres Gehirns. Dieser Teil des Gehirns reagiert schneller als der jüngere Teil, der für rationales Denken oder Erinnerungen zuständig ist: die Großhirnrinde. Und hier spielt sich die Liebe ab.
Zwei Minuten Augenkontakt reichen
Frühe Prägungen könnten also dafür sorgen, dass wir uns immer wieder in das verlieben, was wir kennen und mit positiven Gefühlen verbinden. Eine US-amerikanische Studie deutet außerdem daraufhin, dass es helfen kann, einander tief in die Augen zu schauen. In der Versuchsanordnung mussten Probanden einander für zwei Minuten ansehen. Der Effekt: romantische Gefühle der Zuneigung.
Was, wenn man noch nie verliebt war?
„Das ist total okay“, sagt Oliver Dierssen. „Es gibt Menschen, zu denen gehört das einfach nicht. Es gibt viele Wege, Menschen nahe zu sein und tolle Beziehungen zu führen."
Quellen: Laura Lucas, Duška Roth