Autor: Dirk Asendorpf
Sprecherinnen und Sprecher: Monika Oschek, Marina Behnke und Romanus Fuhrmann
Technische Realisierung: Christiane Neumann
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Redaktion: Joachim Baumann
Der Sand wird knapp
30:00 Minuten
Sand ist kein banaler Rohstoff - er wird benötigt für den Straßenbau, zur Betonherstellung, für die Glas- und Chemieindustrie und auch für Solarzellen. Doch Sand wird knapp. Unser Korrespondent Dirk Asendorpf sucht nach den Ursachen.
Ein Campingplatz in Blanes an der spanischen Costa Brava, seit 50 Jahren eines der liebsten Urlaubsziele vieler Deutscher.
"Das erste Mal war ich 1985 hier. Tagsüber am Strand schlafen, abends Disko", sagt Jochen Hinterthür. Er sitzt im Schatten einer Pinie vor seinem Hauszelt, Stellplatz 1011. Inzwischen ist er Mitte 50 – und fährt noch immer jeden Sommer an den Strand von Blanes. Doch der hat sich in den vergangenen Jahrzehnten radikal verändert.
"Ende der 80er bin ich dann zum ersten Mal hier zum Camping gekommen, da war der Strand riesig, einfach riesig. Breit, sanft abfallend, auch für Kinder optimal. Aber im Laufe der Zeit habe ich dann festgestellt, dass immer weniger Sand da war und der Strand immer schmaler wurde. Ich habe den Campingplatz gewechselt von weiter hinten nach hier vorne. Weil er weiter hinten dann ja noch eine Idee steiler und schlechter ist."
Dicht an dicht drängen sich sonnenhungrige Nordeuropäer auf dem schmalen, gelblichen Sandstreifen. Zur Uferpromenade ist er von einer zwei Meter hohen Betonwand begrenzt.
Sandverbrauch: 15 Milliarden Tonnen jährlich
Blanes ist kein Einzelfall. Über 3000 Strände gibt es in Spanien, nur wenige sind unversehrt. Auch in der Karibik, in Asien, Australien und sogar in Deutschland schrumpfen viele Strände. Der Sand wird knapp – kaum zu glauben. Nach dem Wasser ist er der zweitwichtigste Rohstoff der Menschheit. Der weltweit jährliche Sandverbrauch liegt bei 15 Milliarden Tonnen – für Straßenbau und Betonherstellung, in der Glas- und Chemieindustrie, für Elektronikbauteile und Solarzellen, beim Fracking von Öl- und Gasquellen. Schwimmbagger saugen den Sand vom Meeresboden, Lasterflotten schaffen ihn aus Flussbetten heran und Hunderttausende Staudämme verhindern, dass Flüsse den Sandnachschub aus Erosion und Gesteinsverwitterung ins Meer spülen können. Dünen werden abgetragen oder bebaut und falsch geplante Küstenschutzmaßnahmen blockieren den natürlichen Sandkreislauf am Meer.
Zum Beispiel in Sitges, einem historischen Seebad 30 Kilometer südwestlich von Barcelona.
"Wo wir hier stehen, war früher die Düne", erklärt Judith Albors Casanova. "Sie reichte von der Kirche in Sitges bis zur Punta de las Anquinas. Erst kam die Düne, dann ein Pinienwald und dahinter lagen die landwirtschaftlichen Flächen, vor allem für Wein. Strand gab es natürlich auch."
Judith Albors Casanova ist in Sitges geboren. Jetzt leitet die Architektin ein Informationszentrum zur Ökologie des Meeres. Es ist in einer gründerzeitlichen Villa untergebracht, vom Balkon geht der Blick über die Uferpromenade aufs Mittelmeer. Dazwischen die kläglichen Reste des einst breiten Strandes.
"Es gibt noch Fotos aus dem 19. Jahrhundert, die die Düne sehr schön zeigen", sagt sie. "Als dann die Uferstraße gebaut wurde, war das genau auf dieser Düne. All diese Häuser und Gärten, die um die Jahrhundertwende herum entstanden, hat man praktisch auf den Strand gebaut. Und der Sand für die Bauarbeiten kam aus den Bächen und kleinen Flüssen direkt dahinter. Früher brachte ihr Wasser große Mengen Sedimente heran. Doch mit der Asphaltierung der Straßen im vergangenen Jahrhundert wurde dieser Nachschub abgeschnitten."
Vogelparadies in akuter Gefahr
An den meisten spanischen Mittelmeerstränden ist das ähnlich. Besonders gravierend zeigt sich der Mangel an Sandnachschub im Ebro-Delta, rund hundert Kilometer südwestlich von Sitges. Der Ebro ist der größte Fluss, der die iberische Halbinsel ins Mittelmeer entwässert. Die Sedimente, die er vor allem aus den Pyrenäen mitführt, haben sich über Jahrtausende an seiner Mündung abgelagert und ein gut 300 Quadratkilometer großes Delta gebildet. Es ist ein Vogelparadies und Spaniens größtes Reisanbaugebiet. Und es ist in akuter Gefahr, wie Ignasi Ripoll, der Direktor des Schutzgebiets, erklärt:
"Das Delta besteht ja aus Sedimenten, die sich mit der Zeit immer kompakter zusammenballen. Deshalb sinkt der Boden jedes Jahr um zwei bis vier Millimeter ab. Früher wurde das durch den Sediment-Nachschub kompensiert, den der Fluss mit den jährlichen Überschwemmungen heran brachte. Doch die gibt es heute nicht mehr. Denn das Wasser wird in den Staudämmen zurück gehalten, und die Sedimente bleiben hinter den Staumauern liegen. Weil weniger Wasser fließt und dieses Wasser auch noch weniger Sedimente mitführt, sinkt das Delta ab. Zusätzlich verliert es auch noch Sedimente ans Meer. Und dieser Verlust wird nicht mehr durch Nachschub aus der Flussmündung ausgeglichen."
Über 500 Staudämme sind in den vergangenen Jahrzehnten im 1000 Kilometer langen Ebro und seinen vielen Zuflüssen entstanden. Sie dienen der Stromerzeugung und der Bewässerung großer landwirtschaftlicher Flächen.
"Daraus folgt, dass der Ebro heute weniger als die Hälfte des Wassers führt als vor 100 Jahren. Damals waren es 20 bis 21 Milliarden Kubikmeter im Jahr, heute sind es noch maximal neun Milliarden. Außerdem plant die Regierung, diese Menge noch weiter auf vier bis fünf Milliarden Kubikmeter zu senken", sagt Ripoll.
"Das wäre eine große Gefahr für das Ebro-Delta, eines der wichtigsten europäischen Feuchtgebiete. Und es wäre eine weitere Bedrohung der Strände – und zwar nicht nur hier im Delta, sondern entlang der gesamten katalanischen Küste. Die Sedimente des Ebro sind dort Grundlage ganzer Industrien: Fischerei, Landwirtschaft und Tourismus."
Jede Sturmflut frisst sich in den Strand
Vor allem der Tourismus ist dabei, den Ast abzusägen, auf dem er sitzt.
In Sitges ist das nicht zu übersehen. "Hotel Playa Golf" heißt die vor zehn Jahren errichtete Vier-Sterne-Herberge am äußersten Ende des Strandboulevards. Von der Sonnenterasse geht der Blick über den letzten steinigen Rest des Strandes und einen trockengelegten Bach hinüber auf den grünen Golfplatz mit seinen großen blauen Wassertanks. Heute verhindert ein Zaun den Zutritt. Als Kind hatte Judith Albors Casanova hier ihren Abenteuerspielplatz direkt in der Natur:
"Wir hatten die Dünen und Teiche, und über das Flüsschen führte eine Hängebrücke hinüber zum Golfplatz. Dort unten im Feuchtgebiet hatten sie die ersten Löcher angelegt. Wenn es nach dem Gesetz ginge, dürften sie dort eigentlich gar nicht sein. Aber der Golfclub ist eben ein Machtzentrum, da vergnügen sich Leute mit Einfluss. Und so wird der Golfplatz immer größer. Wir haben hier eine Kultur, die ihr Verhältnis zur Umwelt verloren hat."
Und die nun mit technischen Mitteln zu retten versucht, was vom Strand noch übrig ist. An sechs Stellen ragen aus großen Steinen aufgeschichtete Buhnen ins Wasser. Sie sollen verhindern, dass weiterer Sand ins Meer gespült wird. Doch das funktioniert nicht.
"Die erste Buhne wurde 1961 gebaut. Dann sind im Verlauf der folgenden 30 Jahre immer mehr Buhnen entstanden", so Albors Casanova. "Aber der Strand hat trotzdem weiter Sand verloren. Und es gab immer wieder Sturmfluten, in denen ein Teil der Buhnen und der Ufermauer zerstört wurde. Früher gab es da hinten auf dem Strand einen aus Holz gebauten Pavillon. Mehrere Sturmfluten haben ihn angenagt, bis er am Ende eingestürzt ist."
Jede Sturmflut frisst sich ein Stückchen weiter in den Strand. Was mit dem Sand passiert, wenn er erst einmal ins Meer gespülte wurde, wird an der polytechnischen Universität Kataloniens in Barcelona untersucht.
Der Hydrologe César Mösso kann dafür eine mit Sensoren vollgestopfte schwimmbadgroße Wellenkammer nutzen.
"Diese Wellenkammer ist 100 Meter lang, drei Meter breit und fünf Meter tief. Sie kann Wellen von eineinhalb Meter Höhe erzeugen, das ist sehr viel für solch eine Kammer.", erklärt er. "Um Simulationen mit Strandabschnitten durchführen zu können, haben wir dort draußen vom Parkplatz her eine zusätzliche Tür gebaut. Dort können wir den Sand hineinbringen. Dann verteilen wir ihn mit einem kleinen Bagger auf dem Boden des Kanals. Und dann lässt man Wellen darüber laufen, um zu gucken, wie das Profil sich verhält. Hier unten hat die Kammer Fenster, da kann man direkt sehen, was passiert."
Kein Strand gleicht dem anderen
In einem Kellerraum neben der Wellenkammer stapeln sich Dutzende Bojen, ihre einst gelbe Farbe ist unter dichtem Algenbewuchs kaum noch zu erkennen. Die Bojen haben all die Daten zu Strömungsverhältnissen und Wellenhöhe geliefert, die jetzt Grundlage der Simulation im Wellenkanal sind.
"Wir hatten zusammen mit der Regionalregierung eine Kette von Wellenmessbojen entlang der katalanischen Küste aufgebaut", sagt Mösso. "Über 20 Jahre lang hat das gut funktioniert. Aber jetzt mit der Wirtschaftskrise ist uns das Geld für den Unterhalt der Bojen ausgegangen und wir mussten sie aus dem Wasser holen. Es war das Ende der längsten Messreihe, die wir hier jemals hatten."
Das Ende der Messungen ist ein großer Verlust für die Abwehr der Gefahren, die in den nächsten Jahrzehnten mit dem Klimawandel noch zusätzlich auf die spanische Küste zukommen.
"Beim Klimawandel geht es ja nicht um den Anstieg der Durchschnittstemperatur um ein oder zwei Grad. Beim Klimawandel geht es um die damit verbundenen Folgen: den Anstieg der Wassertemperatur und den damit verbundenen Anstieg des Meeresspiegels und um eine Zunahme schwerer Stürme sowohl in ihrer Zahl als auch ihrer Stärke. Leider sind unsere Strände nicht in einem Zustand, dass sie dem widerstehen könnten."
Zusammensetzung des Sandes, Strömungsverhältnisse, Höhe und Profil der Küste – kein Strand gleicht dem anderen. Deshalb sind allgemeine Aussagen schwierig.
Es ist stets der gleiche Prozess: Sandkörner entstehen durch Verwitterung und Erosion in den Bergen, werden von Flüssen zum Meer gespült, machen womöglich einen Zwischenstopp am Strand und lagern sich am Ende auf dem Boden der Ozeane ab, an manchen Stellen viele hundert Meter hoch. Inzwischen wird diese Reise der Sedimente allerdings immer öfter umgeleitet. Statt im Meer landet der Sand dann hinter Staudämmen, in der Glas-, Elektronik- oder Chemieindustrie – und vor allem in sehr viel Beton.
Weltweit entstehen zwei Drittel aller Neubauten aus Stahlbeton, und der wiederum besteht zu zwei Dritteln aus Sand. In einem Wohnhaus stecken über Hundert Tonnen Sand, in einer Schule über Tausend Tonnen, über Zehntausend in jedem Kilometer Autobahn und über zehn Millionen Tonnen in einem einzigen Atomkraftwerk. Und der Bedarf steigt.
Ausgerechnet Dubai ist der größte Abnehmer von Sand
Selbst über Ozeane wird Sand bereits verschifft. Weltmarktführer ist Australien, größter Abnehmer ist ausgerechnet das Wüstenemirat Dubai. Sand gibt es dort zwar genug. Für Stahlbeton höchster Qualität, wie er in Dubais gigantische Skyline fließt, ist die Körnung des Wüstensandes allerdings zu gering und zu einheitlich. Seit das Emirat seine der Küste vorgelagerten Sandbänke verbraucht hat, wird der Baustoff deshalb importiert. Vor Australiens Küste wühlen sich die Schaufelbagger dafür bis zu hundert Meter tief durch North Stradbroke Island. Auf der zweitgrößten Sandinsel der Welt sinkt dabei der Grundwasserspiegel so weit ab, dass ein benachbartes, völkerrechtlich geschütztes Feuchtgebiet durch nachströmendes Meerwasser zu versalzen droht.
Dabei gibt es Alternativen zum enormen Sandverbrauch der Bauindustrie. Der erste Schritt ist das Recycling von Bauschutt. Deutschland ist dabei führend, 90 Prozent des Abbruchmaterials werden hierzulande wiederverwendet, 66 Millionen Tonnen im Jahr. Brechmaschinen zerkleinern den Schutt, Magnete entfernen Stahl und Eisen, Siebe trennen den Rest in verschiedene Korngrößen. Am Ende dient das Material als Füllstoff im Tiefbau und kann sogar zu neuem Beton verarbeitet werden. 13 Prozent der in Deutschland verbrauchten Baustoffe stammen inzwischen aus dem Recycling. Und Beton lässt sich auch aus Wüstensand herstellen – entweder durch einen deutlich höheren Zementanteil oder durch Beimischung eines Kunststoffs. Beides allerdings ist wesentlich teurer als die Nutzung von Material aus Sandkuhlen, Dünen oder Sandbänken.
Der Sandhunger der Bauindustrie und der Bau von Staudämmen sind die Hauptgründe für das Schrumpfen der katalanischen Strände. Doch unabwendbar ist dieses Schicksal nicht. Menschen haben es bewirkt, sie könnten es mit technischen Mitteln auch wieder rückgängig machen. Davon ist der Hydrologe César Mösso überzeugt.
Schrumpfende Strände – nicht nur im Urlaub am Mittelmeer sind wir damit konfrontiert, auch hierzulande verlieren viele Strände Sand.
1338 Kubikmeter Sand hat der Kapitän des dänischen Saugbaggerschiffs an Bord, gleich wird er sie an den Strand des Ostseebads Ahrenshoop spülen. Seit sechs Wochen pendelt das Schiff, ein sogenannter Hopperbagger, rund um die Uhr zwischen einer unterseeischen Sandbank fünf Kilometer vor der Küste und einer Spülleitung, die bis an den Strand führt. Lars Tiepolt hat den Auftrag dafür erteilt, er ist für den Küstenschutz rund um Rostock zuständig.
"Der Hopperbagger nimmt an der Sandentnahmestelle ein Sand-Wasser-Gemisch auf, weil er es sonst gar nicht einsaugen und in seinem Laderaum transportieren könnte", erklärt Tiepolt. "Er fährt dann an die Andockstelle, die wir hier in See sehen, zwei Kilometer. Da an der Boje wird angedockt und das Schiff pumpt dann dieses Sand-Wasser-Gemisch erst über die Leitung, die auf dem Meeresboden liegt und nicht zu sehen ist, dann hier an den Strand. Jetzt geht’s los."
Küsten ihrem Schicksal überlassen
Wie eine Fontäne spritzt das Wasser-Sandgemisch in dickem Strahl aus dem Ende der Spülleitung ans Ufer. Sofort beginnt die Landcrew, den Sand mit Raupenbaggern großflächig zu verteilen. So soll das Meer um bis zu 50 Meter zurückgedrängt und die Küstenschutzdüne auf durchgehend fünf Meter Höhe gebracht werden. 377 Kilometer Außenküste hat das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, zwei Drittel davon sind sogenannte Rückgangsgebiete. Jeden Winter verschieben Sturmfluten die Uferlinie um 35 Zentimeter landeinwärts – im Durchschnitt. An einigen Stellen ist es aber auch deutlich mehr.
"An der Stelle, wo wir hier stehen, ist es ein guter Meter Küstenrückgang, den man hier pro Jahr hat, also bis zu 100 Meter in 100 Jahren", so Tiepolt. "Ein bisschen nördlich der Bereich, den wir dort sehen, Teil des Nationalparkes, da haben wir 1,50 bis 1,70 Meter im Jahr. Und wenn wir ein bisschen in südlicher Richtung gucken, Ortslage Ahrenshoop, da haben wir einen Küstenrückgang von circa 0,74 Meter im Jahr nachgewiesen, also 74 Meter in 100 Jahren."
Die meisten Küstenabschnitte überlässt der Staat ihrem natürlichen Schicksal. Geologie, Wind und Meeresströmung sorgen seit dem Ende der letzten Eiszeit dafür, dass Landvorsprünge und Steilküsten abgeschliffen und große Sandmengen von West nach Ost transportiert werden. Nur dort, wo die Veränderung der Küste bewohntes Gebiet direkt bedroht, greift der Staat ein. Eine halbe Million Kubikmeter Sand lässt das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern dafür jedes Jahr aufspülen, das kostet rund fünf Millionen Euro.
"Die einzige Alternative wäre, dass der Mensch sich aus dem direkten Uferbereich zurückzieht", meint Tiepolt. "Und das ist sicherlich eine Frage der Zukunft, die sich auch die Politik dann stellen muss: Inwieweit ich um jeden Preis Ortslagen im direkten Wasser-Strandbereich noch schützen kann oder inwieweit ich Alternativen finden muss."
Manches Haus, das direkt an die Steilküste gebaut wurde, muss dann womöglich weichen. Dort, wo die Düne gleich mehrere Dörfer vor einer Sturmflut bewahrt, wird sie aber sicherlich auch in Zukunft immer wieder aufgeschüttet werden.
"Diese Düne hier vor Ahrenshoop schützt nicht nur die Ortslage Ahrenshoop, sondern aufgrund der flachen Gebiete hierhinter auch die Ortslagen von Born und Wieck", betont Tiepolt. "Und wenn der Durchbruch vonstatten gehen würde und sich der Außenwasserstand der Ostsee in den Bodden einstellen würde, dann haben wir im gesamten Boddenbereich das Problem, weil die Bodden nicht eingedeicht sind in der Höhe wie die Außenküste. Sprich: Alle Ortslagen im Bodden könnten dann ein Problem bekommen."
Jedes Jahr verliert Sylt eine Million Kubikmeter Sand
Durchschnittlich alle sieben Jahre müssen die Sandverluste an der Ostseeküste mit Aufspülungen wettgemacht werden. Damit die wiederhergestellte Düne dem Wind besser standhalten kann, wird sie sofort mit Strandhafer bepflanzt. Am Ende der Maßnahmen soll der Strand möglichst genau so aussehen wie sieben Jahre zuvor. Wer einen Kiesstrand hat, bekommt auch wieder nur einen Kiesstrand, Protest ist aussichtslos.
"Wir bringen natürlich Material hier an den Strand, wie es auch vor Ort vorhanden ist. D.h. es wird hier kein Fremdmaterial hergebracht, was nicht zu diesem Gebiet gehört. Sondern in der Zusammensetzung, in der Farbe und auch in dem Aussehen sollte das schon dem hier entsprechenden Strandbild entsprechen", sagt Tiepolt. "Aber der Bürgermeister, der natürlich vielleicht einen noch feineren und vielleicht noch gelblicheren Sand haben will, das können wir leider nicht tragen, weil diese Maßnahme eine reine Küstenschutzaßnahme ist und keine touristische."
Hier ist das anders. Auf Deutschlands größter Nordseeinsel wird der Strand auf ganzer Länge mit Aufspülungen erhalten. Jedes Jahr verliert Sylt in den Winterstürmen rund eine Million Kubikmeter Sand an die Nordsee, die gleiche Menge wird im Sommer von der vorgelagerten Sandbank auf den Strand zurück geschafft. Bis zu zehn Millionen Euro kostet dieser ewige Kreislauf im Jahr. Das ist doppelt so viel wie das gesamte Bundesland Mecklenburg-Vorpommern für Sandaufspülungen ausgibt. Doch das Geld sei ausgesprochen sinnvoll angelegt, meint Julia Petersen. Die Werbefachfrau ist für das Sylt-Marketing zuständig:
"Natürlich lohnt sich diese Investition, zumal wir damit ja einen sehr wichtigen Lebensraum erhalten, nicht nur für Flora und Fauna, sondern auch für die Menschen natürlich. Und von daher ist es absolut notwendig und existenziell, dass wir dafür sorgen, dass dieser Strand vor Sylt, die Küste vor Sylt absolut erhalten bleibt. Diesen vielseitigen Naturraum, das ist das, wofür die Insel steht, für diesen weitreichenden Strand und den Gegenpol, das Wattenmeer. Jährlich kommen gut 800.000 Gäste, wir leben vom Tourismus auf Sylt."
Wäre nur die Natur am Werk, hätte die Nordsee längst einen guten Teil der Sylter Westküste geschluckt, die Touristen blieben fort und die Inselhauptstadt Westerland wäre in Gefahr. Seit über 150 Jahren kämpft die Insel mit technischen Mitteln dagegen an.
"Was man zunächst gemacht hat, war die Düne seeseitig durch sogenannte Sandfangzäune etwas zu verstärken", sagt Arfst Hinrichsen. "Und breite Strände wollte man damals durch Buhnenbau herstellen. Und so fing man um 1870 an, erste Buhnenfelder zu bauen. Zunächst aus Holz, später dann aus Stahl und anschließend aus Beton. Aber diese verschiedenen Buhnenformen haben letzten Endes den Sand nicht halten können. Und so ist die Küste immer weiter zurück gegangen."
Arfst Hinrichsen – schwarze Schirmmütze, grauer Vollbart, blauer Anorak – steht auf der 20 Meter hohen Düne im Süden Westerlands und blickt zufrieden über den kilometerlangen breiten Sandstrand. Er ist das Ergebnis jahrzehntelanger Aufspülungen, Arfst Hinrichsen ist im Landesamt für Küstenschutz dafür zuständig:
"Seit 1972 gibt’s wieder Sand vor der Ufermauer Westerlands. Die alte Randdüne – das ist die letzte Düne, bevor das Meer kommt –, die hat jetzt eine ganz breite Vordüne bekommen. Wo die Treppen sind, das ist die alte Abbruchkante. Und alles, was rechts davon seeseitig liegt, ist durch Sandaufspülung hingekommen. So haben wir einen Puffer an Sand, sodass nicht bei jeder Sturmflut auf Sylt etwas abbricht. Wenn etwas abbricht, immer nur von der künstlich geschaffenen Vordüne."
Heute wird der Zustand des Sylter Strandes mit großem technischen Aufwand regelmäßig kontrolliert. Bei Überflügen im Hubschrauber oder Flugzeug wird die Sandhöhe einmal im Jahr mit einem Laserscanner auf den Zentimeter genau vermessen. In Zukunft wird das vielleicht nicht mehr nötig sein.
Simulationen sollen wiedergeben, was am Strand passiert
Christian Winter leitet die Arbeitsgruppe für Küstendynamik am Zentrum für marine Umweltwissenschaften an der Bremer Universität.
"Wir haben hier einen elektromagnetischen Strömungsmesser, kombiniert mit anderen Sensoren, Trübungsmesser, Salinität, Temperatur", erklärt er. "In Sylt haben wir den eingegraben, dass nur noch ein Teil rausguckt und die einzelnen Wellen messen kann – und die Kräfte, die die einzelnen Wellen auf den Sand auswirken."
Mit den Messwerten vom Strand füttern Christian Winter und seine Kollegen eine Computersimulation.
"Wir machen das, um die Interaktion zwischen Strömung und Wellen und dem Sand zu verstehen, also wie die einzelne Welle den Sand bewegt. Jede einzelne Welle und alle Wellen zusammen dann im Ergebnis nach einem Tidenzyklus, einem Tag oder Wochen, Monaten und Jahren. Wenn man das verstanden hätte, dann könnte man abschätzen, wie sich eine Änderung der Faktoren auswirken würde: Meeresspiegelanstieg, Änderung der Anzahl der Stürme. Was würde da eigentlich passieren, wenn man jetzt gar nichts machen würde – ohne dass man es riskiert. Denn es kann sich keiner leisten, es einfach mal auszuprobieren."
Bis Computersimulationen das komplexe Geschehen an einem Strand tatsächlich korrekt wiedergeben, wird es noch eine Weile dauern. Bis dahin sind die Rettungsmaßnahmen für schwindende Strände auf Versuch und Irrtum angewiesen. Was an einem Strand funktioniert, kann am anderen scheitern.
Ohne Strand kein Tourismus
Zurück an die spanische Mittelmeerküste. Sand, der hier erst einmal von Strand gespült wurde, kann nur mit enormem Aufwand zurückgewonnen werden. Denn anders als an Nord- und Ostsee fällt das Ufer des Mittelmeers schon kurz hinter der Küste steil ab. Entsprechend teuer wäre der Einsatz von Saugbaggerschiffen. Am Ebrodelta wird deshalb über Alternativen nachgedacht.
Carles Ibañez will dafür die Sedimente erschließen, die sich bisher ungenutzt hinter all den Staudämmen ansammeln, die den Fluss des Ebro unterbrechen. Am IRTA-Forschungsinstitut der katalanischen Regierung hat Ibañez ein Konzept dafür erarbeitet. Es hätte einen doppelten Nutzen: Die Kapazität des Staudamms würde wieder größer und die Strände bekämen Sandnachschub.
"Hier am Ebro wollen wir einen Teil des Sedimenttransports zurückgewinnen. Es gibt sogenannte Bypass-Systeme für die Staudämme, die sind schon in über 20 Ländern der Welt im Einsatz. Und wenn es schon bei der Planung berücksichtigt wird, sind die Kosten nicht sehr hoch", sagt Carles Ibañez. "Man kann aber auch existierende Staudämme mit einem Bypass nachrüsten. Da gibt es eine Methode, die heißt Flashing, also Spülung. Dabei wird der Staudamm durch die Auslässe am Boden entleert und dann lässt man einen Schwall Wasser hindurchspülen. Klar, das ist natürlich teuer. Aber wenn man es mit den Kosten vergleicht, die durch den Sandverlust für die Ökosysteme und den Tourismus an der Küste entstehen, dann ist es wahrscheinlich billiger."
Ohne Strand ist ein lukrativer Massentourismus am Meer undenkbar – das gilt auch für Sitges, das gefährdete Seebad südlich von Barcelona. Doch der erste Versuch, einen bereits verlorenen Strandabschnitt durch Aufspülungen wiederherzustellen, war dort schon 1997 kläglich gescheitert. Judith Albors Casanova, die Leiterin des Meeresökologie-Informationszentrums, erinnert sich gut daran:
"Den Sand haben sie damals mit Pumpen aus einem Fischgrund geholt, der sich seitdem nicht wieder erholt hat. Niemals. Und wir haben hier in Sitges eine kleine Flotte von 14 Fischerbooten, im Nachbarort sind es über 30. In diesem Sommer haben sie dann Sandablagerungen an den Molen aller vier Häfen von Sitges abgesaugt und auf dem Strand abgeladen – Sand mit Verschmutzungen und ganz anderer Zusammensetzung. Natürlich haben sie damit das fragile Ökosystem an der Küste geschädigt."
Ignoranz, Fehlplanung und kriminelle Energie: Obwohl der Sand an den Stränden unter aller Augen verloren geht, hat das Thema die Öffentlichkeit bisher kaum bewegt. Wie Sand am Meer – noch immer steht die Redensart für die scheinbare Unendlichkeit der kostbaren Ressource. Und in der öffentlichen Wahrnehmung wird das Schrumpfen der Strände nur selten mit der Umweltzerstörung an den Küsten in Zusammenhang gebracht. Viel Aufklärungsarbeit ist nötig, um ein Bewusstsein für den Wert des Sandes zu schaffen.
"Es mangelt an Sensibilität für diese Fragen. Man redet zwar darüber, aber in Wirklichkeit gibt es viele falsche Informationen", so Albors Casanova. "Die Lösung liegt in den Details. Wir müssen uns jeden Strandabschnitt genau ansehen. Das fehlt noch. Wie kann man die Brücke zwischen Wissenschaft, Regierung und Öffentlichkeit bauen? Sehr schwierig."