Warum Vielfalt so wichtig ist

Von Michael Schornstheimer |
Englisch hat sich als universelle Weltsprache etabliert. Auch international versierte Naturwissenschaftler räumten ein, dass sie bei ihren Untersuchungen nicht in englischen Begriffen denken. Der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant plädiert zwar nicht gegen Englisch als Weltsprache, fordert aber in seinen Thesen eine "Mehrsprachigkeit der Wissenschaften".
Ist es eigentlich gut oder schlecht, dass es so viele verschiedene Sprachen gibt? Die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel deutet die Sprachenvielfalt als Strafe Gottes und stellt die Einheitssprache als paradiesischen Urzustand dar. In einem solchen Paradies lebten die Griechen, die sich für Fremdsprachen einfach nicht interessierten. Und die Römer lernten nur deshalb Griechisch, weil sie an der prestigeträchtigen griechischen Kultur teilhaben wollten.

Im Mittelalter setzte sich dann das Lateinische durch. Im Ritus der christlichen Kirche und als universelle Wissenschaftssprache. Das blieb so bis zum Beginn der frühen Neuzeit.

Die Künstler und Wissenschafter der Renaissance wie Dürer, Leonardo da Vinci und Galilei begannen dann die Welt auf eigene Faust zu erkunden. Sie befreiten sich von den Vorbildern der Antike und beflügelten ihr eigenes Können, meint der Romanist Jürgen Trabant.

"Das ist die große Neuigkeit in dieser Zeit, die große Revolution, tatsächlich. Das heißt, ich erfinde ein Fernrohr und sehe mir die Sterne selber an. Das ist, was neu ist. Das heißt, die Leute machen etwas, und die Nähe zu diesen Machern heißt dann auch Nähe zur Volkssprache, weil die gar kein Latein können. Grosses Beispiel: der Arzt des französischen Königs, Ambroise Paré, der Chirurg, war ein berühmter Arzt, konnte aber kein Latein."

Mit diesen Wissenschaftlern neuen Typs begann der Aufstieg der Volkssprachen, bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Doch seitdem hat eine Trendwende eingesetzt. Englisch etabliert sich als universelle Weltsprache. In Politik, Wirtschaft und den Wissenschaften. Allen voran in den Naturwissenschaften. Längst publizieren Mathematiker, Chemiker und Physiker ihre Entdeckungen auf englisch. Aber auch Historiker, Soziologen und Linguisten schließen sich diesem Trend zunehmend an, beobachtet Jürgen Trabant.

"Natürlich gewinnen wir eine globale, universelle Kommunikation, wenn alle Menschen, auch in der Wissenschaft eine Sprache sprechen, so ist das natürlich ganz wunderbar. Ich kann von hier nach Hongkong reisen, nach Los Angeles, nach Paris und werde dort überall verstanden, das andere ist, ob das wissenschaftliche Arbeiten in dieser für die meisten Menschen ja zweiten, fremden Sprache sinnvoll und effektiv ist. Und da ist es zumindest für die Geisteswissenschaften wichtig, dass sie zumindest in den Sprachen arbeiten, die sie am besten können. Weil wir als Geisteswissenschaftler in den Sprachen arbeiten, und die müssen wir natürlich so präsentieren, dass wir das beste Instrument benutzen. Und das beste Instrument ist die Sprache, die wir am besten können."

Paradoxerweise hat Jürgen Trabant seit seiner Emeritierung an der Freien Universität eine Professur in Bremen an der Jakobs University angenommen, die ihn, den Romanisten, zwingt, genau das zu tun, was er kritisiert: auf englisch zu unterrichten. Allerdings: Trabant plädiert nicht gegen das Englisch als Weltsprache, sondern gegen das Denglisch. Oder, wie er es nennt, das "Globalesisch"! Und gegen die unnötige Preisgabe des Deutschen.

Auch international versierte Naturwissenschaftler räumten im persönlichen Gespräch durchaus ein, dass sie bei ihren Untersuchungen und Experimenten nicht in englischen Begriffen denken und arbeiten. Genau dies aber wird inzwischen schon von deutschen Oberschülern verlangt, die dem Physikunterricht auf englisch folgen sollen. Das gilt derzeit als schick und modern, ja geradezu als Gütesiegel einer selbsternannten Wissensgesellschaft. Für Trabant eine äußerst fragwürdige Entwicklung:

"Wenn die Physik in der Universität von der Forschung bis zur Schule nur noch auf englisch absolviert wird, dann können wir auf deutsch über physikalische Dinge nicht mehr sprechen. Das bedeutet natürlich auch, dass das Deutsche verarmt und etwas von seinem Status verliert. Denn es ist wichtig, dass die sogenannten Kultursprachen, tatsächlich auch höhere Diskurse, wie Wissenschaft und Kultur bearbeiten, denn davon hängt ihr Ansehen ab, in der Kulturgemeinschaft. Und wenn sie das nicht mehr tun, dann werden sie Privatsprachen und verlieren diesen Status, und das Deutsche bekommt dann den Rang von Dialekten oder den, den Dialekte heute haben."

Das ist nicht als Plädoyer für nationalsprachlichen Provinzialismus zu verstehen. Trabant beruft sich auf Wilhelm von Humboldt, für den jede Sprache eine andere Ansicht von der Welt bedeutete. Die Vielfalt der Sprachen sei für den menschlichen Geist so wichtig, wie die Vielfalt von Flora und Fauna für die Natur.

Unter dem Vorwand, die kommende Generation "fit" zu machen für die Globalisierung, sei die Transformation der Schulen ohne gesellschaftliche Diskussion im stillschweigenden Einverständnis mit den Eltern durchgesetzt worden, kritisiert der Sprachwissenschaftler:

"Die jungen Eltern sind ja geradezu hysterisch, was das Englisch angeht, bis zum Kindergarten, da ist so ein gesellschaftlicher Konsens enthalten, dass wir auf Deubel komm raus unbedingt so viel wie möglich auf Englisch machen müssen und drüber ist nicht viel nachgedacht worden. (...) Meiner Meinung nach ist das übertrieben. Noch mal: Ich glaube, dass wir alle sehr gut englisch lernen müssen, aber ich glaube, dass wir das tun müssen ohne Beschädigung der eigenen Sprache."