Warum wir bei Hitze durchdrehen

Es ist mal wieder Sommer

03:28 Minuten
Ein Mann wischt sich mit einem Stofftuch über den Kopf
Sommerhitze: Unser Autor findet die vollkommen normal. © dpa / Sebastian Kahnert
Von Arno Orzessek |
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Ein Blick aufs Thermometer und wir melden uns bei 35 Grad gehirntot. Beziehungsweise: Die Medien drehen durch, servieren uns Hitze-Katastrophengeschichten - und dann drehen wir durch. Arno Orzessek rät: Lasst den Schweiß fließen und freut euch einfach.
Für den Zustand, in dem sich Deutschland derzeit befindet, gab es schon im Altdeutschen des 8. Jahrhunderts ein schönes Wort, das man auch noch heute recht gut versteht. Es heißt ... nein, natürlich nicht "Klimawandel". Es heißt "sumar" und wurde über "sumer" zu unserem Sommer. Der also ein recht vertrautes Natur-Phänomen ist, das uns auch in der kraftvollen aktuellen Ausgabe eigentlich total normal erscheinen sollte.
Wobei man zugeben muss: Sommer ist nicht gleich Sommer, so sehr beide ihren Namen verdienen. Wenn bei 26 Grad der laue Wind zugleich wärmt und kühlt, dann herrscht der allseits beliebte Komfort-Sommer, in dem sich jeder Mensch von einigem Verstand seines Lebens zu erfreuen sucht.
Kaum aber steigt die Wärme um weitere zehn Grad, ist selbiger Verstand von namhaften Funktionseinbußen bedroht und das Leben sogar vom Totalverlust per Hitzschlag. Oh ja! Herrschen erst 34, 36 oder gar 38 Grad, beansprucht der Tod bei Kranken und Schwachen oft ein vorzeitiges Stelldichein.

Fliegende Motorradfahrer

Er akzeptiert aber auch, wie gestern, pumperl-gesunde Motorradfahrer, wenn sie ihm von aufgesprungenen Autobahndecken, vulgo: blow ups, serviert werden wie von Katapulten des Unheils. Und drum herum lodern vielleicht Feuer, wie sie sich augenblicklich durch Brandenburgs Wälder fressen.
Passiert dergleichen, handelt es sich um einen Hitze-Sommer, der, anders als sein Komfort-Bruder, nicht allseits beliebt ist. Dafür darf das stöhnende Publikum auf besondere Unterhaltung durch die Medien rechnen. Und etwa auf Focus online oder Welt online im klebrigen Schweiße seines Angesichts "Liveticker zum Extremwetter" verfolgen.
Sage niemand: Das ist doch plemplem! Denn welcher Stoff wäre für ein angebruzeltes Gehirn leichter zu erfassen als die neuesten Nachrichten von der sinnfreien Medien-Jagd nach Rekordtemperaturen?

Die Bayern und die Badekleidungsverordnung

Schon Don Quijote von La Mancha, sommers oft eine 40 Grad plus-Region, hatte ein Hirn wir eine Dörrpflaume und brauchte deshalb keine Drogen, um jederzeit das Phantastische im Normalen zu entdecken. Uns geht es ähnlich. Wir lasen zum Beispiel, dass die Münchener CSU umso klareren Kopf für das Wesentliche bewahrt, je höher das Thermometer steigt.
Sie will nämlich per Dringlichkeitsantrag die städtische Badekleiderverordnung umformulieren... Und zwar so,"dass Badebekleidung im Sinne dieser Satzung die primären Geschlechtsorgane vollständig bedecken muss‘", wie Pressesprecher Markus Mochti mitteilte.
Spießig? Von wegen! Der Formulierungs-Künstler Mochti legt sich ins Zeug, um das Oben-ohne-Baden endlich komplett zu legalisieren. Selbiges hat an der Isar gestern nämlich fünf unheimliche Männer in "Security"-T-Shirts auf den Plan gerufen, die wegen rüpelhaften Benehmens von den Badenden als "Sittenpolizei" geschmäht wurden.

Markus Söder mit freiem Oberkörper

Und nun also – wirklich wahr: Die Kruzifix-Partei CSU wehrt der finsteren "Security" und fühlt sich den Nackedeis hautnah verbunden. Sobald aber die 42 Grad-Marke fällt, wird auch Landesvater Markus Söder mit freiem Oberkörper hinzustoßen und verkünden: Legen wir ab, denn es ist Sommer!
Falls Sie das nicht glauben, liebe Spaßbremsen, dann bedenken Sie: Unser Text entstand bei 34 Grad Raumtemperatur unter der blasigen Teerpappe eines hölzernen Flachdachs.
Wir anderen aber – geben wir uns dem tranigen Sommer-Modus hin, der alle Dinge so wunderbar nivelliert! Die Kombination von Hitze und Licht, Erschöpfung, Schweiß und geistigem Kriechgang – ist sie denn nicht gleichbedeutend mit Glück?
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