Was bleibt anders?

Weniger Dienstreisen, mehr Lebensqualität bei den Autobauern

07:16 Minuten
Eine Illustration von zwei Menschen mit VR-Brillen, die ein Auto ansehen.
Bei Audi ist es heute schon Realität, dass VR-Brillen bei der Autoentwicklung zum Einsatz kommen. © imago images / fStop Images / Malte Müller
Von Katharina Thoms |
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Die Autoindustrie ist weit verzweigt – national und international. Das führte vor der Pandemie auch zu vielen Dienstreisen. Doch diese werden auch nach Corona nicht zurückkommen. Selbst ganze Produktionsstraßen kann man mittlerweile virtuell planen.
Andrés Kohler steht in einer Montagehalle bei Audi. Zumindest, wenn er durch seine VR-Brille auf dem Kopf guckt. In Wirklichkeit steht der Entwickler im Großraumbüro auf grauem Teppich. Zwei Videospiel-Controller sind in der virtuellen Realität seine Hände.
Sein Kollege Armin Kugler, der neben ihm in der virtuellen Halle ist, steht in Wirklichkeit über 200 Kilometer entfernt im Büro in Neckarsulm. Die beiden haben die Montageplanung mit ihrem Team entwickelt. Denn bevor ein Auto serienmäßig vom Band läuft, muss immer erst ein Prototyp gebaut und Arbeitsabläufe getestet werden.
Das virtuell zu machen, hatte Audi schon vor Corona geplant: Während der Pandemie war die Arbeit zwischen den Standorten plötzlich viel wert. Vieles gehe jetzt einfacher, schneller und ohne Dienstreisen.
So wurde beispielsweise ein SUV überarbeitet – und das zwischen San José in Mexiko und Ingolstadt. Die Arbeitsumgebung für das neue E-Auto von Audi wurde dabei komplett virtuell zwischen Ingolstadt und Neckarsulm entworfen. In der Firma ist das sicher außergewöhnlichste Beispiel dafür, wie es auch nach Corona mit weniger Dienstreisen funktionieren könnte.

Digitale Meetings sind effizienter und angenehmer für alle

In erster Linie wird das für Besprechungen in anderen Abteilungen gelten, sagt Miriam Mayer-Ebert, unter anderem zuständig für das Personal bei Audi: "Wir haben alle gelernt, wir sind einfach effizienter. Wir sparen uns jetzt schon allein zwischen den deutschen Standorten für einen Tagesworkshop vier, fünf Stunden auf der Autobahn, die wir effizienter nutzen können. Es ist viel weniger Vorlauf und Aufwand in der Planung."
Das gilt für viele große Unternehmen im Südwesten. Daimler reduziere Reisen noch bis Ende des Monats auf ein "absolutes Minimum", schreibt eine Sprecherin. Der Autozulieferer Bosch habe in den vergangenen Monaten 80 Prozent seiner Dienstreisekosten eingespart.
Die Firmen betonen auf Anfrage auch: Schon vor Corona habe man versucht, Dienstreisen zurückzufahren. Beim Autobauer Porsche habe man die Reisetätigkeit vor der Pandemie um 50 Prozent verringert.

Eine Rückkehr zu alten Zeiten ist nicht geplant

Die vier großen Firmen kehren kurzfristig erstmal nicht auf ihr Vor-Pandemielevel zurück. Bei Audi ist vor Corona das Shuttle von Ingolstadt nach Braunschweig täglich drei Mal morgens und drei Mal abends geflogen. Aktuell fliegt es nur noch zwei Mal pro Woche.
Auch zum Standort in Ungarn gibt es beispielsweise nur noch ein Viertel der Verbindungen der Vor-Corona-Zeit. Das spart Zeit, Geld und ist besser fürs Klima – das der Welt, aber auch im Betrieb, meint Mayer-Ebert: "Es ist eine ganze Ecke demokratischer, weil nicht ein Standort bevorzugt wird und nicht immer eine Seite reisen muss oder eben die Zeit auf der Autobahn verbringt."

Corona hat unser Leben verändert. Wir haben belastende Erfahrungen gemacht, aber auch Entwicklungen erlebt, die wir vielleicht gar nicht zurückdrehen wollen. Daher stellen wir vom 19. bis zum 25. Juli in unserem Programm die Frage: Was bleibt anders? Neben diesem Beitrag gibt es weitere:

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Aber nicht nur die großen Konzerne sehen das so. Ralph Wurster ist Bezirksgeschäftsführer der Arbeitgebervereinigung Südwestmetall. Er hat 17 mittelgroße Unternehmen im Neckartal rund um Stuttgart befragt, wie oft sie in Zukunft ihre Mitarbeitenden auf Dienstreisen schicken wollen: "Da hat über die Hälfte der Firmen gesagt, wir werden die Dienstreisen in Zukunft deutlich, also um mehr als 10 Prozent, verringern."
Vor der Pandemie sei das undenkbar gewesen. Corona habe auch den Maschinenbauern und Autozulieferern gezeigt, was aus der Distanz alles möglich ist, so Wurster.

Flughäfen merken das Minus bei Dienstreisen

An den Flughäfen in Baden-Württemberg sind die Erwartungen deshalb verhalten: Aktuell kehrten vor allem die Urlaubsreisenden zurück, so ein Sprecher am Flughafen Stuttgart. Ob und wann wieder so viele Dienstreisende wie vor der Pandemie fliegen werden? Das sei "seriös nicht prognostizierbar", so der Sprecher.
Deutlicher wird der kleinere Flughafen in Friedrichshafen am Bodensee: In drei Jahren werde man wieder das Niveau von vor der Pandemie erreichen, schreibt ein Sprecher. Vor Corona hätten Business-Passagiere die Hälfte der Linienflüge von Friedrichshafen aus genutzt. Vom Bodensee geht es nach Frankfurt, Düsseldorf, Toulouse und Istanbul.
Ob in drei Jahren wirklich alles beim Alten ist? Bei den Firmen geht niemand davon aus.
Aber manches, sagt Ralph Wurster von Südwestmetall, gehe nicht per Videokonferenz: "Gerade wenn es um Montagethemen oder um Verhandlungen geht, wo man dann sagt, da sollte man schon persönlich da sein. Da ist man jetzt schon wieder nach oben gegangen."
Für Audi seien persönliche Treffen über verschiedene Standorte hinweg vor allem dann wichtig, wenn es ums Kreative geht, sagt Mayer-Ebert. Strenge Vorgaben und Quoten für Dienstreisen soll es nicht geben.

Die Zukunft ist virtuell

Porsche will bis 2030 klimaneutral wirtschaften. Weniger Dienstreisen sollen ein Baustein auf dem Weg dahin sein. Und Bosch rechnet langfristig nur noch mit zwei Dritteln der Dienstreisen im Vergleich zu der Zeit vor Corona.
Bei Audi wird auch der nächste Prototyp ohne Dienstreise gebaut. Mit den Fachleuten aus dem Werk in Ungarn beginnt demnächst die virtuelle Planung. Und auch der Mutterkonzern Volkswagen will die virtuelle Prototypenplanung in Zukunft bei sich testen.
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