Was Christen und Muslime verbindet
Was haben Christen und Muslime gemeinsam, was trennt sie? Darüber diskutieren derzeit Religionsvertreter bei einer Tagung in Bad Honnef. Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor spricht im Interview über den Sinn solcher Treffen und die Rolle der Religion im säkularen Staat.
Matthias Hanselmann: "Ethische Verantwortung in Familie und Erziehung", so lautet heute und morgen das Thema einer Tagung des Katholisch-Sozialen Instituts in Bad Honnef. Es geht dabei um den christlich-muslimischen Dialog. Vertreter des Erzbistums Köln, der katholischen Kirche, und des Zentralrats der Muslime in Deutschland wollen über Ethik aus christlicher und aus muslimischer Sicht sprechen.
Solche Studientagungen zum christlich-islamischen Dialog gehören mittlerweile zum guten Ton von evangelischen und katholischen Akademien oder Universitäten; auch Katholikentage und Kirchentage haben ihre christlich-islamischen Foren.
Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin und Lehrerin an der Hauptschule am Volkspark in Dinslaken, Lehrerin für muslimische Religion, und sie war Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes. Außerdem hat sie ein Buch verfasst mit dem Titel "Muslimisch, weiblich, deutsch – mein Leben für einen zeitgemäßen Islam".
Wo liegt Trennendes, wo liegen die Gemeinsamkeiten der Religionen, darüber wollen wir jetzt sprechen. Guten Tag, Frau Kaddor!
Lamya Kaddor: Hallo, guten Tag!
Hanselmann: Worauf sich Christen und Muslime wahrscheinlich sehr schnell einigen können, das ist: Gottes Gebote sind zu befolgen. Wenn wir uns die Bibel und den Koran ansehen, gibt es denn da überhaupt bedeutende Unterschiede, was die Gebote an den Menschen betrifft?
Kaddor: Im Prinzip schon, ganz klar. Ich denke, als erstes mag man da vielleicht an Speiseregeln denken, die Muslime vielleicht viel stärker kennen als Christen. Also in konkreten Geboten sicherlich schon, dass es da die Unterschiede gibt, aber was die Ethik betrifft, die ethischen Grundprinzipien, nämlich Demut vor Gott und vor der Schöpfung, Mitmenschlichkeit, Dankbarkeit, Nächstenliebe, all das, also all diese ethischen Werte, da sind sich ja alle Religionen im Grunde genommen sehr einig drüber.
Hanselmann: Aber es gibt natürlich auch gewisse Unterschiede. Vielleicht zunächst einmal: Wie arbeiten Sie denn mit den christlichen Religionslehrerinnen und Religionslehrern an der Hauptschule, an der sie unterrichten, zusammen?
Kaddor: Ja, ich meine, in NRW ist es ja so, dass wir den konfessionellen Religionsunterricht haben an den Schulen, das bedeutet, dass jede Konfession für sich und jede Glaubensgemeinschaft für sich eben den Religionsunterricht alleine durchführt. Bei uns ist es eben so, dass wir durchaus, wenn sich das Thema eben ergibt, zum Beispiel eben ganz interreligiöse Themen, wir beispielsweise gleichzeitig das Judentum behandeln. So ist es zum Beispiel schon mal vorgekommen, dass wir einen jüdischen Vertreter haben in die Klasse kommen lassen, und der hat dann jetzt nicht nur für die Muslime ein wenig das Judentum vorgestellt, sondern auch für die christlichen Schüler. Also da haben wir dann quasi die Gruppen zusammengelegt. Also es bietet sich durchaus an, bei bestimmten Themen die Dinge gemeinsam zu machen.
"Was Christen von Muslimen lernen können"
Hanselmann: Aber nur bei bestimmten Themen. Also, einen grundsätzlichen gemeinsamen Religionsunterricht von muslimischen und christlichen Schülern würden Sie nicht befürworten?
Kaddor: Was heißt, würde ich nicht befürworten? Das würde ich so gar nicht sagen, sondern er ist juristisch gar nicht vorgesehen in Nordrhein-Westfalen, im Prinzip erst mal nicht möglich. Es gibt den Ethikunterricht beispielsweise an Gymnasien ab der Klasse 10, in der Oberstufe. In NRW ist es allerdings so, dass es eben diesen Religionsunterricht gibt. Ich persönlich finde es gar nicht so sinnlos, beziehungsweise ich fände es sogar sehr sinnvoll, wenn man ab der achten Klasse beispielsweise gemeinsamen Religionsunterricht, sprich Ethikunterricht in dem Fall, anbieten würde, der dann eben nicht unbedingt nur von einem Christen oder nur von einer Muslimin oder wie auch immer erteilt werden muss, sondern der eben von allen Lehrpersonen erteilt werden kann, die dazu berechtigt sind, den zu machen, also die das Fach eventuell studiert haben oder wie auch immer.
Hanselmann: Was können denn Christen von Muslimen lernen und umgekehrt?
Kaddor: Das ist natürlich nicht ganz so einfach. Also, ich glaube, der Aspekt der Nächstenliebe, für den das Christentum ja so quasi gemeinhin sinnbildlich steht, ist sicherlich ein Aspekt, der für Muslime ganz – ja, wie soll ich das sagen – bewundernswert ist, also diese absolute Liebe, die unbedingte Liebe auch Mitmenschen gegenüber. Andersherum würde ich vielleicht sagen, der Aspekt der Barmherzigkeit Gottes, das ist eben für Muslime ganz wichtig, dass es eben nur einen Gott gibt, der eben vor allen Dingen durch den Aspekt der Barmherzigkeit gezeigt wird, dass der durchaus auch Christen gefallen kann oder gefallen mag und sicherlich auch gefällt.
Hanselmann: Können – apropos – katholische Christen etwas von Muslimen lernen, was für Protestanten so nicht gilt?
Kaddor: Also, das ist natürlich eine schwierige Frage, aber ich glaube zu wissen, auch durch viele Gespräche, dass viele Katholiken das auch bewundernswert finden, wie fromm zum Teil Muslime immer noch sind. Also wie ernst Religion für den Alltag immer noch genommen wird. Es vergeht ja, glaube ich, kein Tag im Leben eines halbwegs frommen Muslims, selbst wenn er liberal ist, also, ich würde mich auch als liberal gläubig bezeichnen, aber trotzdem kann ich mir keinen Tag vorstellen, an dem nicht irgendwie Gott doch ein Thema ist. Und selbst wenn ich nur zum Essen eine kleine Formel spreche, also im Namen Gottes, des gnädigen, barmherzigen, heißt es auf Arabisch dann übersetzt – ich glaube, da sind Katholiken und Muslime sich sehr einig oder relativ ähnlich, dass Gott doch eine relativ große Rolle im Alltag eines Menschen spielt. Das höre ich oft bei Protestanten oder Evangelen heraus, dass das eben, ein Stück weit gerade auch bei den Jugendlichen, irgendwie abnimmt.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton, wir sprechen mit der Islamwissenschaftlerin und Religionslehrerin Lamya Kaddor, unser Thema der christlich-muslimische Dialog und die ethische Verantwortung der Religionen in Familie und Erziehung. Frau Kaddor, der Einfluss der Kirchen in unserer Gesellschaft hat ja drastisch abgenommen, jedes Jahr gibt es mehrere hunderttausend Kirchenaustritte – sind solche Veranstaltungen zum christlich-muslimischen Dialog auch ein Versuch der christlichen Kirchen, sich hier, sagen wir mal, auf bestimmten Feldern neue religiöse Verbündete zu suchen? Ich denke da an die aktuelle Diskussion um die Pille danach. Wie wird diese Frage denn unter Muslimen diskutiert?
"Beim Thema Abtreibung sind Muslime weniger dogmatisch als Katholiken"
Kaddor: Nun, ich meine, die ganze Abtreibungsproblematik und all das, was damit zusammenhängt, Präimplantationsdiagnostik und all das, wird von Muslimen gemeinhin etwas – wie soll ich das jetzt sagen – lockerer gehandhabt. Also lockerer beurteilt, nicht nur gehandhabt. Religiös gesehen, ist Abtreibung bis zu einem gewissen Tag, bis zu einer gewissen Schwangerschaftswoche, sogar erlaubt im Islam. Auch im recht konservativen Lager der Muslime. Also da sind wir nicht ganz so dogmatisch ausgerichtet wie Katholiken. Das glaubt kaum einer, aber es ist wirklich so. Also da ist der Islam etwas einfacher in der Handhabung.
Aber nichtsdestotrotz, das ist schon – also selbst etwas länger auch zu beobachten, gerade zum Beispiel, was die Frage des Religionsunterrichts betrifft, dass ja nun seit Jahren gerade die katholischen und evangelischen Kirchen beide sich sehr dafür stark machen, dass es eben einen islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen gibt. Natürlich nicht aus purer Uneigennützigkeit. Na klar erhoffen sich damit auch die beiden Kirchen, das ist total legitim, die Stärkung ihres eigenen oder die weitere Etablierung ihres eigenen Religionsunterrichtes.
Das ist seit Jahren übrigens zu sehen oder zu erkennen, dass die Kirchen da mehrfach auch immer wieder versuchen, den Muslimen in dem Fall den Rücken zu stärken, weil natürlich auch das ihre eigene Rolle in der Gesellschaft stärkt. Religion ist nach wie vor ein Thema, im Moment wird gerade dieses Thema in unserer säkularen Gesellschaft ja gerne auf dem Rücken der Muslime und des Islams immer wieder diskutiert. Jüngst auch mal auf dem Rücken der katholischen Kirche oder immer wieder mal, aber ich glaube, in dem Fall verbünden sie sich schon, wenn es insgesamt um die Frage geht, wie viel Platz darf Religion im säkularen Staat einnehmen.
Hanselmann: Wenn wir uns mal die Ultrakonservativen, die Fundamentalisten beider Religionen anschauen, im Islam zum Beispiel die Salafisten, im Christentum katholische und evangelikale Fundamentalisten, wo gibt es da Schnittmengen?
Kaddor: Ja, die Schnittmenge, glaube ich, beginnt schon in der Struktur dieser Gruppen. Sie sind in der Regel am besten organisiert, verfügen über die meisten Gelder, um "irgendwelche Dinge zu unternehmen" in Anführungsstrichen. Ich glaube, eine große Schnittmenge macht die Mission aus, obwohl die Mission beispielsweise im Islam gar nicht angelegt ist – wir sind als Muslime also nicht dazu aufgerufen, Menschen um uns herum zu missionieren –, finden das Salafisten durchaus anders, also machen es doch aktiv. Das sieht man ja, dass sie eben Korane in Fußgängerzonen verteilen und so weiter. Und ich glaube, da sind sie sich sehr einig mit gerade anderen Extremisten anderer Religionen, dass die aktive Arbeit, also die aktive Missionsarbeit zum Beispiel, wesentlicher Bestandteil einer jeden Religion sein muss.
Oder auch in Gender-Fragen, die Rolle der Frau oder so, da haben sie natürlich wesentlich konservativere Rollenbilder auf die Frau zugeschnitten, als das beispielsweise gemäßigte Gläubige einer jeden Weltreligion sehen würden.
Hanselmann: Aber gemeinsam agiert wird noch nicht? Also, ich stelle mir gerade vor, eine Demonstration von Salafisten und christlichen Fundamentalisten zum Beispiel gegen den Christoper Street Day in Köln oder Berlin. Wäre so etwas denkbar?
Kaddor: Im Prinzip wäre das denkbar, weil "alle Gruppen", in Anführungsstrichen, ultra-orthodoxe Juden würden das wahrscheinlich genauso sehen, weil alle diese Gruppen natürlich alle ein Problem haben mit Homosexualität. Allerdings ist es bisher so, dass zum Beispiel die evangelikalen Christen oder auch Salafisten, das muss man ja deutlich sagen, insoweit nie zusammenkommen würden oder zumindest nicht ganz so schnell, weil sie ja alle sagen, sie sind die wahren Gläubigen und damit dann eben den evangelikalen Christen beispielsweise ihren Glauben, den wahren Glauben, absprechen würden. Das heißt, an dem Punkt sind sie dann doch sehr exklusiv, wenn man das mal so sagen möchte. Also, dass sie so schnell zusammenkommen, sehe ich erst mal nicht.
Hanselmann: Auf der Tagung in Bad Honnef, die ich vorhin angesprochen habe, soll morgen auch Sylvia Löhrmann, die Ministerin für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen sprechen. Was kommt von solchen Tagungen, solchen Foren eigentlich bei Ihnen als muslimische Religionslehrerin an oder bei Ihren christlichen Kollegen und Kolleginnen, also an der Basis?
Kaddor: In der Regel nicht allzu viel. Schauen Sie, solche Dinge – das ist immer so ein Stück weit auch das Frustrierende: Die Menschen, die eh an der Basis arbeiten, wissen um die Schwierigkeiten, aber auch um die Vorteile interreligiösen Arbeitens. Das heißt, uns selber erreicht das relativ wenig, weil wir im Prinzip eh das machen, was immer wieder verlangt wird. Also ich glaube, in der Praxis läuft vieles sehr viel besser, als uns die Medien oder die Öffentlichkeit gerne glauben machen will. Das ist aber normal, das ist fast normal so. Häufig ist es so, dass diese Tagungen oder wie auch immer ein Stück weit auch eine Signalkraft haben sollen, eine Signalkraft in die Mehrheitsgesellschaft hinein. In der Regel soll hier nicht nur Fachpublikum angesprochen werden, sondern auch, ja, wie soll ich das sagen, eben der normale Bürger, der eben mitbekommt, da gibt es auf der und der Ebene Zusammenarbeit, Muslime veranstalten da mit Christen diese und jene Sache, ein Stück weit Normalität wird. Aber für die Leute an der Basis bringt das nicht allzu viel.
Hanselmann: Die muslimische Religionslehrerin und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor über den christlich-islamischen Dialog und wie er an der Basis, unter anderem auch an den Schulen ankommt bzw. dort damit umgegangen wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Solche Studientagungen zum christlich-islamischen Dialog gehören mittlerweile zum guten Ton von evangelischen und katholischen Akademien oder Universitäten; auch Katholikentage und Kirchentage haben ihre christlich-islamischen Foren.
Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin und Lehrerin an der Hauptschule am Volkspark in Dinslaken, Lehrerin für muslimische Religion, und sie war Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes. Außerdem hat sie ein Buch verfasst mit dem Titel "Muslimisch, weiblich, deutsch – mein Leben für einen zeitgemäßen Islam".
Wo liegt Trennendes, wo liegen die Gemeinsamkeiten der Religionen, darüber wollen wir jetzt sprechen. Guten Tag, Frau Kaddor!
Lamya Kaddor: Hallo, guten Tag!
Hanselmann: Worauf sich Christen und Muslime wahrscheinlich sehr schnell einigen können, das ist: Gottes Gebote sind zu befolgen. Wenn wir uns die Bibel und den Koran ansehen, gibt es denn da überhaupt bedeutende Unterschiede, was die Gebote an den Menschen betrifft?
Kaddor: Im Prinzip schon, ganz klar. Ich denke, als erstes mag man da vielleicht an Speiseregeln denken, die Muslime vielleicht viel stärker kennen als Christen. Also in konkreten Geboten sicherlich schon, dass es da die Unterschiede gibt, aber was die Ethik betrifft, die ethischen Grundprinzipien, nämlich Demut vor Gott und vor der Schöpfung, Mitmenschlichkeit, Dankbarkeit, Nächstenliebe, all das, also all diese ethischen Werte, da sind sich ja alle Religionen im Grunde genommen sehr einig drüber.
Hanselmann: Aber es gibt natürlich auch gewisse Unterschiede. Vielleicht zunächst einmal: Wie arbeiten Sie denn mit den christlichen Religionslehrerinnen und Religionslehrern an der Hauptschule, an der sie unterrichten, zusammen?
Kaddor: Ja, ich meine, in NRW ist es ja so, dass wir den konfessionellen Religionsunterricht haben an den Schulen, das bedeutet, dass jede Konfession für sich und jede Glaubensgemeinschaft für sich eben den Religionsunterricht alleine durchführt. Bei uns ist es eben so, dass wir durchaus, wenn sich das Thema eben ergibt, zum Beispiel eben ganz interreligiöse Themen, wir beispielsweise gleichzeitig das Judentum behandeln. So ist es zum Beispiel schon mal vorgekommen, dass wir einen jüdischen Vertreter haben in die Klasse kommen lassen, und der hat dann jetzt nicht nur für die Muslime ein wenig das Judentum vorgestellt, sondern auch für die christlichen Schüler. Also da haben wir dann quasi die Gruppen zusammengelegt. Also es bietet sich durchaus an, bei bestimmten Themen die Dinge gemeinsam zu machen.
"Was Christen von Muslimen lernen können"
Hanselmann: Aber nur bei bestimmten Themen. Also, einen grundsätzlichen gemeinsamen Religionsunterricht von muslimischen und christlichen Schülern würden Sie nicht befürworten?
Kaddor: Was heißt, würde ich nicht befürworten? Das würde ich so gar nicht sagen, sondern er ist juristisch gar nicht vorgesehen in Nordrhein-Westfalen, im Prinzip erst mal nicht möglich. Es gibt den Ethikunterricht beispielsweise an Gymnasien ab der Klasse 10, in der Oberstufe. In NRW ist es allerdings so, dass es eben diesen Religionsunterricht gibt. Ich persönlich finde es gar nicht so sinnlos, beziehungsweise ich fände es sogar sehr sinnvoll, wenn man ab der achten Klasse beispielsweise gemeinsamen Religionsunterricht, sprich Ethikunterricht in dem Fall, anbieten würde, der dann eben nicht unbedingt nur von einem Christen oder nur von einer Muslimin oder wie auch immer erteilt werden muss, sondern der eben von allen Lehrpersonen erteilt werden kann, die dazu berechtigt sind, den zu machen, also die das Fach eventuell studiert haben oder wie auch immer.
Hanselmann: Was können denn Christen von Muslimen lernen und umgekehrt?
Kaddor: Das ist natürlich nicht ganz so einfach. Also, ich glaube, der Aspekt der Nächstenliebe, für den das Christentum ja so quasi gemeinhin sinnbildlich steht, ist sicherlich ein Aspekt, der für Muslime ganz – ja, wie soll ich das sagen – bewundernswert ist, also diese absolute Liebe, die unbedingte Liebe auch Mitmenschen gegenüber. Andersherum würde ich vielleicht sagen, der Aspekt der Barmherzigkeit Gottes, das ist eben für Muslime ganz wichtig, dass es eben nur einen Gott gibt, der eben vor allen Dingen durch den Aspekt der Barmherzigkeit gezeigt wird, dass der durchaus auch Christen gefallen kann oder gefallen mag und sicherlich auch gefällt.
Hanselmann: Können – apropos – katholische Christen etwas von Muslimen lernen, was für Protestanten so nicht gilt?
Kaddor: Also, das ist natürlich eine schwierige Frage, aber ich glaube zu wissen, auch durch viele Gespräche, dass viele Katholiken das auch bewundernswert finden, wie fromm zum Teil Muslime immer noch sind. Also wie ernst Religion für den Alltag immer noch genommen wird. Es vergeht ja, glaube ich, kein Tag im Leben eines halbwegs frommen Muslims, selbst wenn er liberal ist, also, ich würde mich auch als liberal gläubig bezeichnen, aber trotzdem kann ich mir keinen Tag vorstellen, an dem nicht irgendwie Gott doch ein Thema ist. Und selbst wenn ich nur zum Essen eine kleine Formel spreche, also im Namen Gottes, des gnädigen, barmherzigen, heißt es auf Arabisch dann übersetzt – ich glaube, da sind Katholiken und Muslime sich sehr einig oder relativ ähnlich, dass Gott doch eine relativ große Rolle im Alltag eines Menschen spielt. Das höre ich oft bei Protestanten oder Evangelen heraus, dass das eben, ein Stück weit gerade auch bei den Jugendlichen, irgendwie abnimmt.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton, wir sprechen mit der Islamwissenschaftlerin und Religionslehrerin Lamya Kaddor, unser Thema der christlich-muslimische Dialog und die ethische Verantwortung der Religionen in Familie und Erziehung. Frau Kaddor, der Einfluss der Kirchen in unserer Gesellschaft hat ja drastisch abgenommen, jedes Jahr gibt es mehrere hunderttausend Kirchenaustritte – sind solche Veranstaltungen zum christlich-muslimischen Dialog auch ein Versuch der christlichen Kirchen, sich hier, sagen wir mal, auf bestimmten Feldern neue religiöse Verbündete zu suchen? Ich denke da an die aktuelle Diskussion um die Pille danach. Wie wird diese Frage denn unter Muslimen diskutiert?
"Beim Thema Abtreibung sind Muslime weniger dogmatisch als Katholiken"
Kaddor: Nun, ich meine, die ganze Abtreibungsproblematik und all das, was damit zusammenhängt, Präimplantationsdiagnostik und all das, wird von Muslimen gemeinhin etwas – wie soll ich das jetzt sagen – lockerer gehandhabt. Also lockerer beurteilt, nicht nur gehandhabt. Religiös gesehen, ist Abtreibung bis zu einem gewissen Tag, bis zu einer gewissen Schwangerschaftswoche, sogar erlaubt im Islam. Auch im recht konservativen Lager der Muslime. Also da sind wir nicht ganz so dogmatisch ausgerichtet wie Katholiken. Das glaubt kaum einer, aber es ist wirklich so. Also da ist der Islam etwas einfacher in der Handhabung.
Aber nichtsdestotrotz, das ist schon – also selbst etwas länger auch zu beobachten, gerade zum Beispiel, was die Frage des Religionsunterrichts betrifft, dass ja nun seit Jahren gerade die katholischen und evangelischen Kirchen beide sich sehr dafür stark machen, dass es eben einen islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen gibt. Natürlich nicht aus purer Uneigennützigkeit. Na klar erhoffen sich damit auch die beiden Kirchen, das ist total legitim, die Stärkung ihres eigenen oder die weitere Etablierung ihres eigenen Religionsunterrichtes.
Das ist seit Jahren übrigens zu sehen oder zu erkennen, dass die Kirchen da mehrfach auch immer wieder versuchen, den Muslimen in dem Fall den Rücken zu stärken, weil natürlich auch das ihre eigene Rolle in der Gesellschaft stärkt. Religion ist nach wie vor ein Thema, im Moment wird gerade dieses Thema in unserer säkularen Gesellschaft ja gerne auf dem Rücken der Muslime und des Islams immer wieder diskutiert. Jüngst auch mal auf dem Rücken der katholischen Kirche oder immer wieder mal, aber ich glaube, in dem Fall verbünden sie sich schon, wenn es insgesamt um die Frage geht, wie viel Platz darf Religion im säkularen Staat einnehmen.
Hanselmann: Wenn wir uns mal die Ultrakonservativen, die Fundamentalisten beider Religionen anschauen, im Islam zum Beispiel die Salafisten, im Christentum katholische und evangelikale Fundamentalisten, wo gibt es da Schnittmengen?
Kaddor: Ja, die Schnittmenge, glaube ich, beginnt schon in der Struktur dieser Gruppen. Sie sind in der Regel am besten organisiert, verfügen über die meisten Gelder, um "irgendwelche Dinge zu unternehmen" in Anführungsstrichen. Ich glaube, eine große Schnittmenge macht die Mission aus, obwohl die Mission beispielsweise im Islam gar nicht angelegt ist – wir sind als Muslime also nicht dazu aufgerufen, Menschen um uns herum zu missionieren –, finden das Salafisten durchaus anders, also machen es doch aktiv. Das sieht man ja, dass sie eben Korane in Fußgängerzonen verteilen und so weiter. Und ich glaube, da sind sie sich sehr einig mit gerade anderen Extremisten anderer Religionen, dass die aktive Arbeit, also die aktive Missionsarbeit zum Beispiel, wesentlicher Bestandteil einer jeden Religion sein muss.
Oder auch in Gender-Fragen, die Rolle der Frau oder so, da haben sie natürlich wesentlich konservativere Rollenbilder auf die Frau zugeschnitten, als das beispielsweise gemäßigte Gläubige einer jeden Weltreligion sehen würden.
Hanselmann: Aber gemeinsam agiert wird noch nicht? Also, ich stelle mir gerade vor, eine Demonstration von Salafisten und christlichen Fundamentalisten zum Beispiel gegen den Christoper Street Day in Köln oder Berlin. Wäre so etwas denkbar?
Kaddor: Im Prinzip wäre das denkbar, weil "alle Gruppen", in Anführungsstrichen, ultra-orthodoxe Juden würden das wahrscheinlich genauso sehen, weil alle diese Gruppen natürlich alle ein Problem haben mit Homosexualität. Allerdings ist es bisher so, dass zum Beispiel die evangelikalen Christen oder auch Salafisten, das muss man ja deutlich sagen, insoweit nie zusammenkommen würden oder zumindest nicht ganz so schnell, weil sie ja alle sagen, sie sind die wahren Gläubigen und damit dann eben den evangelikalen Christen beispielsweise ihren Glauben, den wahren Glauben, absprechen würden. Das heißt, an dem Punkt sind sie dann doch sehr exklusiv, wenn man das mal so sagen möchte. Also, dass sie so schnell zusammenkommen, sehe ich erst mal nicht.
Hanselmann: Auf der Tagung in Bad Honnef, die ich vorhin angesprochen habe, soll morgen auch Sylvia Löhrmann, die Ministerin für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen sprechen. Was kommt von solchen Tagungen, solchen Foren eigentlich bei Ihnen als muslimische Religionslehrerin an oder bei Ihren christlichen Kollegen und Kolleginnen, also an der Basis?
Kaddor: In der Regel nicht allzu viel. Schauen Sie, solche Dinge – das ist immer so ein Stück weit auch das Frustrierende: Die Menschen, die eh an der Basis arbeiten, wissen um die Schwierigkeiten, aber auch um die Vorteile interreligiösen Arbeitens. Das heißt, uns selber erreicht das relativ wenig, weil wir im Prinzip eh das machen, was immer wieder verlangt wird. Also ich glaube, in der Praxis läuft vieles sehr viel besser, als uns die Medien oder die Öffentlichkeit gerne glauben machen will. Das ist aber normal, das ist fast normal so. Häufig ist es so, dass diese Tagungen oder wie auch immer ein Stück weit auch eine Signalkraft haben sollen, eine Signalkraft in die Mehrheitsgesellschaft hinein. In der Regel soll hier nicht nur Fachpublikum angesprochen werden, sondern auch, ja, wie soll ich das sagen, eben der normale Bürger, der eben mitbekommt, da gibt es auf der und der Ebene Zusammenarbeit, Muslime veranstalten da mit Christen diese und jene Sache, ein Stück weit Normalität wird. Aber für die Leute an der Basis bringt das nicht allzu viel.
Hanselmann: Die muslimische Religionslehrerin und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor über den christlich-islamischen Dialog und wie er an der Basis, unter anderem auch an den Schulen ankommt bzw. dort damit umgegangen wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.