Was der Suff aus dem Menschen macht
In seinem autobiografischen Roman "Vorübergehend nicht erreichbar" widmet Einar Már Guðmundsson sich dem berüchtigten Thema Alkoholismus unter Schriftstellern. Dabei verknüpft er die eigene Trinksucht mit dem Schicksal eines Junkie-Paares, das ihm Briefe schreibt.
Per Olov Enquist notierte einst, die drei Berufskrankheiten des Schriftstellers seien: "Die Trägheit, die Paranoia und der Alkohol." Dem Alkohol war Enquist selbst jahrelang verfallen, und in seiner brillanten Autobiographie "Ein anderes Leben" hat er beschrieben, wie er von seiner Sucht loskam - in einer Entzugsklinik in Island.
Nun hat der isländische Autor Einar Már Guðmundsson einen bemerkenswerten Roman darüber geschrieben, wie drei Menschen den Halt verlieren und "in den Krater des Alkohols und der Drogen" stürzen - einer davon war in Reykjavík lebende Guðmundsson. Die beiden anderen sind ein Junkie-Paar - Eva, oft "sternhagelhigh", und Einar Þor, ein Dealer in Untersuchungshaft. Als Gefängnisinsasse wandte der sich in einem Brief an den von ihm verehrten Romancier und Poeten Guðmundsson.
Das war 2002. Am Ende des Buches schreiben wir das Jahr 2005, und Einar Már Guðmundsson ringt sich zu endlich zu der Therapie und Entziehungskur durch, die unausweichlich ist. Dieser Roman basiert auf Tatsachen: Es gibt die beiden Ex-Junkies, deren verkorkste Lebens- und anrührende Liebesgeschichte erzählt wird, und Guðmundsson macht kein Geheimnis daraus, dass er jahrelang an der Flasche hing.
Famos gelingt es ihm - nun wieder trocken - in der Rückschau zu reflektieren, was der Suff aus dem Menschen macht: wie übermäßiges Trinken mit Selbstbetrug einher geht, wie groß die Scham ist, sich einzugestehen, dass man "alkoholkrank" ist: "Ich hätte nicht gezögert, die Unfallstation aufzusuchen, wenn ich mir den Fuß gebrochen hätte, aber bei einem geistigen Geschwür wie der Alkoholkrankheit Hilfe anzunehmen: Nein, keine Diskussion."
Der Autor, der immer öfter zu hartem Stoff greift und bis zur Besinnungslosigkeit trinkt, redet sich seine Abhängigkeit schön: Hatte nicht schon James Joyce gesagt, er können am besten schreiben, wenn er einen Kater und Zahnschmerzen hatte? Die Stärke dieses Buches liegt in der schonungslosen Schilderung jenes "bodenlosen Zustands, wenn der Alkoholiker alles von sich wirft, Frau, Kinder, alles", wenn er voller Selbstmitleid jedes Gefühl im Alkohol ertränkt und nicht wahrhaben will, dass eine Therapie unausweichlich ist. Ausreden, Ausflüchte: "Ja, vielleicht war ich Alkoholiker, aber ich hatte Selbstdisziplin. Ich arbeitete wie ein Tier. Niemand war fleißiger als ich."
Geschickt verzahnt Guðmundsson seine eigene Leidensgeschichte mit der Erzählung des Martyriums der beiden "Hauptpersonen", der 30-jährigen Eva und seines 32-jährigen Namensvetters Einar Þor. Beide ließen ihn anhand ihrer Briefe einen tiefen Blick in ihr Privatleben werfen. Im Gegenzug gab ihnen Guðmundsson seinen Roman vor der Veröffentlichung zum Lesen. "Wenn ich ein gutes Buch angefangen habe, kann ich nicht mehr aufhören", heißt es hier einmal. Das trifft auch auf diese "wahre Dichtung" zu. Ironie der Geschichte: Einar Már Guðmundsson kam just in dem Jahr zur Welt, in dem in Island die erste Versammlung "Anonymer Alkoholiker" stattfand: 1954.
Besprochen von Knut Cordsen
Einar Már Gudmundsson: Vorübergehend nicht erreichbar. Eine Liebesgeschichte
Aus dem Isländischen übersetzt von Angela Schamberger und Wolfgang Butt
Carl Hanser Verlag 2011
332 Seiten, 19.90 Euro
Links bei dradio.de
Buchkritik (DLF): Einar Már Gudmundsson: "Wie man ein Land in den Abgrund führt. Die Geschichte von Islands Ruin"
Buchkritik(Dkultur): Einar Mar Gudmundsson: "Wie man ein Land in den Abgrund führt" *
IDer isländische Autor Gudmundsson über sein Land nach Finanzkrise und Vulkanausbruch
Nun hat der isländische Autor Einar Már Guðmundsson einen bemerkenswerten Roman darüber geschrieben, wie drei Menschen den Halt verlieren und "in den Krater des Alkohols und der Drogen" stürzen - einer davon war in Reykjavík lebende Guðmundsson. Die beiden anderen sind ein Junkie-Paar - Eva, oft "sternhagelhigh", und Einar Þor, ein Dealer in Untersuchungshaft. Als Gefängnisinsasse wandte der sich in einem Brief an den von ihm verehrten Romancier und Poeten Guðmundsson.
Das war 2002. Am Ende des Buches schreiben wir das Jahr 2005, und Einar Már Guðmundsson ringt sich zu endlich zu der Therapie und Entziehungskur durch, die unausweichlich ist. Dieser Roman basiert auf Tatsachen: Es gibt die beiden Ex-Junkies, deren verkorkste Lebens- und anrührende Liebesgeschichte erzählt wird, und Guðmundsson macht kein Geheimnis daraus, dass er jahrelang an der Flasche hing.
Famos gelingt es ihm - nun wieder trocken - in der Rückschau zu reflektieren, was der Suff aus dem Menschen macht: wie übermäßiges Trinken mit Selbstbetrug einher geht, wie groß die Scham ist, sich einzugestehen, dass man "alkoholkrank" ist: "Ich hätte nicht gezögert, die Unfallstation aufzusuchen, wenn ich mir den Fuß gebrochen hätte, aber bei einem geistigen Geschwür wie der Alkoholkrankheit Hilfe anzunehmen: Nein, keine Diskussion."
Der Autor, der immer öfter zu hartem Stoff greift und bis zur Besinnungslosigkeit trinkt, redet sich seine Abhängigkeit schön: Hatte nicht schon James Joyce gesagt, er können am besten schreiben, wenn er einen Kater und Zahnschmerzen hatte? Die Stärke dieses Buches liegt in der schonungslosen Schilderung jenes "bodenlosen Zustands, wenn der Alkoholiker alles von sich wirft, Frau, Kinder, alles", wenn er voller Selbstmitleid jedes Gefühl im Alkohol ertränkt und nicht wahrhaben will, dass eine Therapie unausweichlich ist. Ausreden, Ausflüchte: "Ja, vielleicht war ich Alkoholiker, aber ich hatte Selbstdisziplin. Ich arbeitete wie ein Tier. Niemand war fleißiger als ich."
Geschickt verzahnt Guðmundsson seine eigene Leidensgeschichte mit der Erzählung des Martyriums der beiden "Hauptpersonen", der 30-jährigen Eva und seines 32-jährigen Namensvetters Einar Þor. Beide ließen ihn anhand ihrer Briefe einen tiefen Blick in ihr Privatleben werfen. Im Gegenzug gab ihnen Guðmundsson seinen Roman vor der Veröffentlichung zum Lesen. "Wenn ich ein gutes Buch angefangen habe, kann ich nicht mehr aufhören", heißt es hier einmal. Das trifft auch auf diese "wahre Dichtung" zu. Ironie der Geschichte: Einar Már Guðmundsson kam just in dem Jahr zur Welt, in dem in Island die erste Versammlung "Anonymer Alkoholiker" stattfand: 1954.
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Aus dem Isländischen übersetzt von Angela Schamberger und Wolfgang Butt
Carl Hanser Verlag 2011
332 Seiten, 19.90 Euro
Links bei dradio.de
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