"Das hat uns ziemlich angepisst"
Für ihren aktuellen Film über die Rassenunruhen in Detroit 1967 bekam die oscarprämierte Regisseurin Kathryn Bigelow jede Menge Lob. Viele Detroiter sehen das allerdings anders. Für sie erzählt jemand Fremdes ihre Geschichte, ohne diese wirklich zu kennen.
Einsingen konnte sich die Soul-Band The Dramatics noch. Aber statt in der Nacht zum 23. Juli 1967 in Detroit auf der Bühne zu stehen, mussten sie nach Hause fahren. Nachdem die Polizei bei einer willkürlichen Razzia die Besucher einer illegalen, überwiegend von Schwarzen besuchten Kneipe verhaftet hatte, waren Unruhen in der Motor City ausgebrochen. Mit 43 Toten, vielen Plünderungen und über 2000 zerstörten Gebäuden würden die 1967 Detroit Riots in die US-Geschichte eingehen. Für The Dramatics wurden sie zum Trauma, denn die Band hatte sich im Algiers Motel eingemietet.
Ein Thriller für die Zeit von "Black Lives Matter"
Am 25. Juli 1967 hielt die Polizei die Gäste des Algiers Motel die ganze Nacht gefangen. Drei Afro-Amerikaner wurden dabei erschossen - alle beteiligten Polizisten wurden später freigesprochen. Die oscarprämierte Regisseurin Kathryn Bigelow hat aus dem Vorfall einen Thriller gemacht, der heute in die deutschen Kinos kommt. "Detroit" ist ein Thriller für die Zeit von "Black Lives Matter". Er macht den Angstschweiß der Opfer von damals sichtbar.
"Man fühlt eine unglaubliche Belastung und eine wunderbare Verantwortung, sicherzustellen, dass ihr Leben, ihre Geschichte und ihre Erfahrungen nicht umsonst waren", beschreibt Regisseurin Kathryn Bigelow den Anspruch an ihren Film.
In Detroit, wo 83 Prozent der Bevölkerung afro-amerikanisch sind, finden viele, dass dieser Anspruch nicht eingelöst wird. Lamont Causey gehört dazu - er hat die Riots als Kind erlebt. "Sie haben mir Tickets für den Film gegeben, aber ich bin nicht hingegangen", erzählt er. "Wir finden es problematisch, dass jemand in unsere Stadt kommt und unsere Geschichte erzählen will, die sie nicht kennt, und dann auch noch einen Film darüber macht. Das hat uns ziemlich angepisst."
"Wir waren es leid, dass People of Color verprügelt wurden"
Lamont Causey ist in der 12th Street aufgewachsen, dort wo die Riots ihren Anfang genommen haben. 1967 lebte in der Gegend die schwarze Mittelklasse, heute besteht die Hälfte der Grundstücke aus Brachen. Causey leitet dort die Community-Organisation "Brothers always together", die Rucksäcke an Schulkinder ausgibt. Seine gesamte Familie war in die Riots involviert.
Zwar würden viele Leute diese nicht Riots nennen, sagt Causey. "Aber das war es. Wir waren es leid, dass People of Color ständig verprügelt wurden - mental und physisch. Zwei meiner Onkel wurden im Hinterhof verhaftet, dann wurden sie ins Krankenhaus gebracht und die Polizei sagte: Lauft ruhig. Wenn sie das getan hätten, dann wären sie erschossen worden."
Erinnerungen wie diese prägen Detroit bis heute. Die Riots markieren für die meisten Detroiter den Niedergang der Stadt. Sie haben den White Flight, den Wegzug der weißen Mittelklasse in die reichen Vororte, beschleunigt.
Riots führten zu einer Reform des Polizeiapparats
Die Detroiter Museen bemühen sich seit Sommer dieses Jahres darum, in der Debatte um die 1967 Riots Fakten von Mythen zu trennen, erzählt Koordinator Joel Stone von der Detroit Historical Society. Aus seiner Sicht haben viele Veränderungen schon 20 Jahre vor den Riots begonnen. "Aber 1967 hat sie beschleunigt." Doch hätte es auch positive Folgen gegeben. "In der schwarzen Community gab es Bewegungen zu mehr Selbstorganisation. Und viele interkulturelle Organisationen wurden ins Leben gerufen, um zu fragen: Wie konnte so etwas passieren? Und wie können wir es verhindern?"
Hier unterscheiden sich die Erzählungen von "Detroit", der Film und der Stadt Detroit. Kathryn Bigelow sieht eine Kontinuität in der Polizeigewalt von 1967 bis heute. In Detroit haben die Riots aber zu einer Reform des Polizeiapparats geführt, der heute afro-amerikanisch geprägt ist. Sowohl Fälle von exzessiver Polizeigewalt als auch gewalttätige Proteste wie Ferguson und Baltimore blieben in den letzten Jahren in Detroit aus.
Das begrüßt auch der gestandene Aktivist Lamont Causey. "Menschen aus Baltimore und anderen urbanen Städten sollten nach Detroit kommen, um Informationen darüber zu bekommen, wie man damit umgeht", meint er. "Wenn wir so etwas nochmal zulassen, zerstören wir unsere Stadt bis zu dem Punkt, dass es hier keine Afro-Amerikaner mehr geben wird."
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