Was die Finanzkrise lehrt

Von Dieter Rulff · 30.10.2008
Angesichts der katastrophalen Auswirkungen der Finanzkrise sehen nicht Wenige die Ära des Neoliberalismus zu Ende gehen. Die Angebotspolitik hat versagt, nun soll wieder Nachfrage zum Zuge kommen.
Den unsichtbaren Händen, die nach Ansicht des schottischen Nationalökonomen Adam Smith das Marktgeschehen lenken, wurde immer schon nachgesagt, dass sie bisweilen ganz schön schmutzig sind. Angebot und Nachfrage ist letztendlich egal, womit sie ihre komparativen Vorteile erwirtschaften, Moral hat keinen Preis. Insofern liegt nicht ganz richtig, wer die Ursachen der aktuellen Finanzkrise nur in der maßlosen Gier der beteiligten Banker und Broker erkennt.

Nicht, dass man nicht erröten könnte angesichts der Schamlosigkeit ihrer Bereicherung. Doch greift zu kurz, wer das Problem allein in den Griff bekommen will, indem er ihre Gehälter begrenzt und ihr Verhalten einem Kodex unterwirft. Ihr Tun war Wahnsinn, doch es hatte Methode.

Auf den Gebäuden und Anlagen der realen Wirtschaft bauten sie immer kühnere finanzielle Luftschlösser, bis diese die ersteren um das Zehnfache an Volumen übertrafen. Zuletzt erwirtschafteten sie auf diese Weise als eine relativ kleine Gruppe von Beschäftigten in den USA über 40 Prozent der Unternehmensgewinne. Wohl dem, der da nicht größenwahnsinnig wird.

Ihre Methode hatte keinen, sie war vielmehr ein Fehler. Denn der freie Markt, auf den sie bedingungslos setzten, konnte sich nicht selbst regulieren. Von Adam Smith unsichtbaren Händen wusste die eine nicht mehr, was die andere tat. Die virtuelle Welt der Finanzprodukte hat sich von der realen Welt des Produzierens weitgehend entkoppelt. War die letzte Krise, der Internetboom der Jahrtausendwende, noch ausgelöst durch die völlige Überbewertung eines sich entwickelnden, gleichwohl aber höchst realen Wirtschaftssektors, so ist die aktuelle eine Implosion fiktiver Titel, denen kein realer Wert mehr entspricht.

Gleichwohl hat sie höchst reale Rückwirkungen auf die Welt des Wirtschaftens. Die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen geht davon aus, dass infolge der Krise bis zum Ende nächsten Jahres weltweit 20 Millionen Beschäftigte ihre Arbeit verlieren werden. Die Zahl derjenigen, die weniger als zwei Dollar am Tag verdienen, wird um 100 Millionen zunehmen.

Angesichts dieser katastrophalen Auswirkungen sehen nicht Wenige die Ära des Neoliberalismus zu Ende gehen. Die Angebotspolitik hat versagt, nun soll wieder Nachfrage zum Zuge kommen.

Wo dem Kapital Milliarden zur Absicherung seiner faulen Kredite gegeben werden, will sich die Arbeit nicht mehr zu Lohnzurückhaltung verpflichten lassen. Wo gestern noch der Privatisierung staatlicher Aufgaben das Wort geredet wurde, macht nun der Ruf nach Verstaatlichung die Runde.

Im Kernland des Kapitalismus werden die Banken verstaatlicht, der französische Präsident Sarkozy will zudem die Schlüsselindustrien unter staatliche Obhut nehmen. Auch in Deutschland gibt es eifrige Verfechter solcher Pläne. Schlanker Staat war gestern, nun ist wieder mehr staatliche Macht und Umverteilung angesagt. Wenn schon die Konjunktur wieder angekurbelt werden soll, warum dann nicht über die Einkommen der Lohnabhängigen und die staatliche Unterstützung der Hartz-IV-Empfänger?

Droht also in der Europäischen Union der Sozialismus, wie der tschechische Präsident Vaclav Klaus bereits befürchtet? Werden die Banken, wie er Merkel und Sarkozy vorwirft, auf Kosten der Steuerzahler zu einem öffentlichen Dienst verkommen? Marschiert die Republik nach links, wird gar, was Viele mutmaßen und Manche hoffen, die Parteien "Die Linke" der politische Profiteur der Krise?

Zumindest für Letzteres gibt es keine Anhaltspunkte. Die Wut der Wähler über die Banken hat ihre politischen Präferenzen nicht beeinflusst. Und die Maßnahmen, die bislang ergriffen wurden, dienen weniger der linken Systemüberwindung, als vielmehr einer höchst konservativen Systemstabilisierung. Die Beteiligung an den Banken und auch an den Unternehmen entspricht vollends der Logik des Kapitals. Sie sollen wieder profitabel werden, dann wird der Staat sich wieder aus ihnen zurückziehen. Und spätestens dann werden auch die Gehälter der Manager wieder steigen.

Die kommende Rezession wird die sozialen Schieflagen im Land vergrößern und zugleich den Spielraum für eine ausgleichende Nachfragepolitik verkleinern. Das wird man bei den kommenden Lohnrunden merken, das wird man an den wieder sinkenden Steuereinnahmen ablesen können. Einer Politik der Umverteilung sind unter solchen Bedingungen enge Grenzen gesetzt. Zeiten der Krise waren noch selten Sternstunden der Linken. Denn sie befördern nicht das Verlangen nach Veränderung, sondern die Suche nach Sicherheit.

Solange die Talfahrt an den Finanzmärkten anhält, ist noch nicht einmal erwiesen, dass die staatlichen Interventionen bewirken, was sie versprechen. Auch kann bezweifelt werden, dass die Politiker der Welt zu der Einheit finden, die erforderlich ist, um die globalen Märkte in einer Weise zu regulieren, die solches für die Zukunft ausschließt. Bislang wurde noch selten aus Zusammenbrüchen von Allen die gleiche Lehre gezogen.


Dieter Rulff, Journalist, Jahrgang 1953, studierte Politikwissenschaft in Berlin und arbeitete zunächst in der Heroinberatung in Berlin. Danach wurde er freier Journalist und arbeitete im Hörfunk. Weitere Stationen waren die "taz" und die Ressortleitung Innenpolitik bei der Hamburger "Woche". Vom März 2002 bis Ende 2005 arbeitete Rulff als freier Journalist in Berlin. Er schreibt für überregionale Zeitungen und die "Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte". Ab 1. Januar 2006 Redakteur der Zeitschrift "Vorgänge".
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