Was gegen Gefäßkrankheiten hilft
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Was ist die Schaufensterkrankheit? Nein, keine Kaufsucht. Sie betrifft Menschen, die beispielsweise vor einem Schaufenster stoppen müssen, weil sie an Gefäßkrankheiten leiden. Doch es gibt Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun.
Der Mediziner Dr. Torsten Heldmann sagt:
„Die Schaufensterkrankheit klingt harmlos. Sie beschreibt, wenn ein Mensch beim Laufen Schwierigkeiten hat und Schmerzen bekommt. Nach einer bestimmten Gehstrecke, wo sich der Muskel verkrampft und er nicht mehr vorankommt. Er bleibt zwei bis vier Minuten stehen, alle Beschwerden bilden sich zurück. Er kann weiterlaufen, wird aber erfahren, dass nach einer gewissen Distanz dasselbe passiert.“
Wenn sich das Leben schlagartig ändert
So geht es auch Dagmar Henke. Von einem Moment zum anderen verändert sich ihr Leben schlagartig.
"Ziemlich urplötzlich. Also, ich habe es erst gemerkt, als ich dann wirklich so keine zehn Meter mehr weit kam. Da bin ich dann zum Orthopäden, und der hat mich dann überwiesen. In der Angiologischen Abteilung des Martin-Luther-Krankenhauses haben die dann gleich im Ultraschall gesehen, da ist was dicht.“
Ein Schock für die Pfarrerin im Ruhestand. Denn Aktivität bedeutet ihr viel. Einerseits: im Sinne von etwas bewegen zu können. In der DDR ist sie in der Ausländerseelsorge tätig und engagiert sich in der Kirche für Vertragsarbeitnehmer aus Mosambik, Vietnam und Kuba.
Andererseits bewegt Dagmar Henke sich auch gern. Vor allem bei der Gartenarbeit, eine Zeit lang auch im Fitnessstudio und beim Wandern. Mit dem Renteneintritt beginnt sie mit dem Tango-Argentino-Tanzen.
„Tango Argentino ist wie Leistungssport. Wenn sie da drei Runden durchhalten, sind sie durchgeschwitzt, wie nach dem Leistungspumpen.“
Nach drei Stent-Eingriffen hat sie inzwischen eine neue Bewegungsform für sich entdeckt: den Gefäßsport.
Ein Bereich, in dem auch Katja Waldmann hin und wieder arbeitet. Beruflich ist sie leitende Angiologische Assistentin am Berliner Martin-Luther-Krankenhaus.
Die Stärke unseres angiologischen Teams ist es, einen Beitrag zur Diagnose und zur Prävention von Gefäßerkrankungen zu leisten und auch Patienten auf dem Weg zu einem gesünderen Leben zu begleiten.
Zudem ist Katja Waldmann Herzsport- und Gefäßsporttrainerin.
"Als Gefäßtrainerin biete ich spezielle Übungen an, die die Durchblutung fördern und die Gefäßgesundheit stärken. Das Bewegungsprogramm, das die Muskulatur kräftigt und die Bewegungselastizität fördert, stimme ich auf die Teilnehmer ab. Das Gefäßsystem verfügt über das Potenzial, neue Blutgefäße als Umgehungsstraßen, sogenannte Kollateralen, zu bilden. Der selbst antrainierte Umgehungskreislauf sichert somit Blut- und Sauerstoffversorgung."
Als Dagmar Henke das erste Mal zum Gefäßtraining kommt, ist die Mittsiebzigerin zunächst etwas misstrauisch, macht aber trotzdem mit.
„Nach der ersten Viertelstunde saß ich auf der Bank, völlig fertig - während die anderen sogenannten alten Leute da fröhlich weiterturnten. Da habe ich begriffen. Das sieht einfach nach nicht viel aus, aber es bewirkt unheimlich viel.“
Die meisten Patienten sind zwischen 55 und 85
Das können alle Kursteilnehmer bestätigen, von denen die überwiegende Zahl zwischen 55 und 85 Jahren alt ist. Frauen und Männer sind im Wesentlichen gleichermaßen betroffen.
Trainerin Katja Waldmann legt großen Wert auf ein abwechslungsreiches Übungsprogramm
„Bei uns geht es nicht um Leistungssport, sondern jeder Teilnehmer kommt mit seinem eigenen Trainingsniveau und führt so sein Training durch.“
Ziel des Trainings ist es, die Geh- und Laufleistungen zu steigern. So können die Patienten ihre Lebensqualität allmählich wieder verbessern.
„Um die Schmerzen beim Gehen zu verringern, haben sich viele Patienten mit Durchblutungsstörungen Fehlhaltungen angewöhnt. Kraft- und Koordinationsübungen sind dabei ein wichtiger, zusätzlicher Baustein. Je kräftiger und koordinierter die Muskelgruppen arbeiten, umso kraftsparender und schmerzfreier funktioniert dann auch das Gehen.“
Dr. Torsten Heldmann:
„Wir sehen es im Schnitt so, dass wenn Patientinnen und Patienten für zwei Jahre ungefähr mitmachen bei uns, dann sind die oft so unglaublich gut geschult, dass sie es absolut in ihr Leben eingebaut haben und es dann auch selbstständig einfach weiter fortführen.“
Ambulante Sprechstunde im Berliner Martin-Luther-Krankenhaus
Dr. Torsten Heldmann hat als Arzt in der Inneren Medizin begonnen und ist dann ins Teilgebiet Angiologie gewechselt. Im Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin bietet er gemeinsam mit seinem kleinen und kompetenten Team täglich eine ambulante Sprechstunde an, die auf die persönlichen Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten ist.
„Für alle, die entweder selber glauben, sie hätten eine Gefäßkrankheit oder die selber einen Anhalt bei sich schon festgestellt haben. Und dann die vielen Menschen, die aus der hausärztlichen Betreuung kommen, wo ein Verdacht formuliert wurde, dass zum Beispiel das Venensystem problematisch oder insbesondere, dass es eine Durchblutungsstörung gibt.“
In der Sprechstunde geht es vor allem darum, Patienten die Angst vor einem möglichen Eingriff zu nehmen. So ist die Herangehensweise bewusst niedrigschwellig angelegt.
Und zu diesem niedrigschwelligen Angebot gehört schon mal auf jeden Fall, dass an unserer Türschwelle nicht begonnen wird, mit einer Amputation zu drohen. Sondern wir wissen, dass das Gebiet der Risikofaktoren sehr viel breiter ist. Ich sage immer gerne, der stärkste Faktor, dass ich eine Durchblutungsstörung erleiden könnte, ist immer noch die Vererbung.
Durchblutungsstörungen sind früher in der Gefäßchirurgie und in der Röntgenpraxis behandelt worden. Die Angiologie hat sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt und ist somit das jüngste Teilgebiet der Inneren Medizin. 1972 wird die Deutsche Gesellschaft für Angiologie gegründet.
Seitdem ist die Bedeutung dieser Disziplin zweifellos gestiegen, hat ihre Potenziale aber längst noch nicht ausgeschöpft, meint Dr. Torsten Heldmann:
„Wenn wir berücksichtigen, wie häufig Gefäßkrankheiten insgesamt sind, und wie viel Leid es auch auslöst, wie viel Beeinträchtigung von Lebensqualität es machen kann, dann ist die Dichte von Angiologinnen und Angiologen in der Niederlassung ungeheuer niedrig.“
Heldmann: Bedeutung der Angiologie lässt sich stärken
Die Bedeutung der Angiologie lässt sich aus Sicht von Dr. Torsten Heldmann stärken, indem Fach- und Hausärzte ihr Wissen noch mehr teilen und gemeinsam Barrieren abbauen. Nur so könnten sie Menschen mit einem Verdacht auf Durchblutungsstörungen effektiv helfen.
„Dass da ein Vertrauensvorschuss gegeben wird und die Angst beiseitegelassen wird, und man zu uns kommt, sich beraten und untersuchen lässt, einfach auch mit harmlosen Methoden. Das wäre mein Wunsch, dass die Schwelle dafür sinkt.“