Was gegen Long Covid helfen kann
Betont Gesundheitsminister Karl Lauterbach nach dem zweiten Runden Tisch zu Long Covid im letzten Dezember - und zu den neuen Long-Covid-Betroffenen kommen noch diejenigen, die immer noch mit den Folgen ihrer länger zurückliegenden Coronainfektion kämpfen:
„Es ist total bescheuert, aber ich war so stolz, dass ich selber einen Großeinkauf gemacht habe. Da ist dann auch noch diese ganze Reizüberflutung, wenn man das zwei Jahre lang nicht hatte. Und dann im Hinterkopf: Ich bin total anfällig für Krankheiten, hier hustet jemand!“
Bis zu 200 mögliche Symptome
„Immer, wenn ich zu viel Energie verbraucht habe, mein Körper quasi eine Art Shutdown macht – also sagt: Okay, Stopp, hier geht nichts mehr. Wir müssen jetzt die restliche Energie für die Versorgung der lebenswichtigen Organe erhalten. Jetzt legen wir dich lahm.“
Unterschiedliche Schweregrade
„Diese ganzen Beschwerden, die ich anfänglich hatte, sind weniger geworden. Ich kann mittlerweile auch einen Kilometer gehen, dann schneller gehen oder ein bisschen walken. Das konnte ich alles gar nicht. Ich konnte keine 20 Meter laufen, das tat mir alles weh.“
Anerkannte Long-Covid-Therapie fehlt
„Dann hatte ich eine Atemtherapie ausprobiert, auch Rehasport. Und das hat alles nur Crashes ausgelöst. Das wurde alles nur schlimmer und schlechter. Und es konnte mir auch keiner erklären: Was sind meine Symptome, warum ist das überhaupt? Warum kann ich jetzt an einem Tag 30 Minuten spazieren gehen und an dem anderen kriege ich nach zehn Minuten Luftnot und es geht nichts? Und es geht mir wieder eine Woche lang schlecht.“
„Da formulieren die Patienten immer wieder, dass sie sich alleingelassen fühlen – von der Politik, von ihren Ärzten, von ihren Familienangehörigen, dass sie nicht genug Unterstützung auf der Arbeit bekommen. Am Ende so einer Stunde weinen manche auch dabei, weil sie so froh sind, dass sie einfach Leute gefunden haben, mit denen sie quasi wie eine Selbsthilfegruppe auch mal zusammen reden können.“
Long Covid als "weitere chronische Erkrankung"
Ich glaube, das ist eine realistische Einschätzung, dass man sagen kann, dass es jetzt in die Normalität reingeht und dass wir eine weitere chronische Erkrankung haben, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.
Behandlung mit Ganzkörperergometer aus der Weltraumforschung
Die ganze Firma hatte ursprünglich für die Weltraumforschung, für die NASA, gearbeitet und hat auch Trainingsgeräte hergestellt, die eben auch im Weltraum funktionieren. Und darauf sind die auch ausgelegt. Jetzt haben wir gemerkt, man kann damit auch sehr gut in den Leistungssportbereich rein - und dass das ein Ganzkörpertrainingsgerät ist.
„Wir kontrollieren immer, dass sich die Patienten im Toleranzbereich halten.“
Ausdauertraining unter der Belastungsgrenze
„Wir wollen, dass die Patienten immer in der Lage sind, ihre Belastung zu schaffen. Das ist auch ein ganz wichtiges Tool. Denn diese Referenz, diesen Grenzwert, sollen sie auch mit in den Alltag nehmen, weil es auch für sie eine Richtlinie darstellen kann, wie sie im Alltag ihre Belastung einschätzen können.“
„Das hat sich am Anfang wie so einen Abnutzungskampf angefühlt, weil man die ganze Energie hier gelassen hat“, erklärt Sasha Rogosz.
Er nimmt seit eineinhalb Jahren an der Patientenstudie teil. 15 Minuten dauert das Training auf dem Ganzkörperergometer.
„Dann gehen hier die Zahlen hoch, und dann zieht so die Energie nach, die man im Alltag hat. Und dann geht man hier wieder hoch, dann ist es erst mal ein bisschen anstrengender, und dann zieht es wieder nach. Also man kriegt auch selber ein Gespür dafür.“
Der 30-jährige Rogosz hat vor seiner Coronainfektion Ende 2021 als Sozialarbeiter gearbeitet, auch Sport getrieben. Aber daran war mit Long Covid nicht mehr zu denken:
Es wurde alles nur schlimmer und schlechter. Dann hatte ich ungefähr Anfang August mein Startgespräch beim Doktor Hajduk. Und es war zum ersten Mal dieses: Ich werde hier verstanden! Auf der Rückfahrt sind mir die Tränen im Auto kommen, weil endlich Hoffnung da war, dass mir hier geholfen werden kann.
Training soll Anpassungsprozess bewirken
„Diesen untersten Wert, den nehmen wir als Referenz, um dann zu schauen, wie passt sich der Körper an. Denn, wenn wir immer an der Grenze arbeiten, kommt es zu einem Anpassungsprozess und damit verschieben wir einmal die Toleranzgrenze nach oben hin. Und zum anderen können wir damit natürlich auch dafür sorgen, dass die Patienten sich Stück für Stück auch an die Belastung gewöhnen.“
Sagt Björn Haiduk. Die aktuell 100 Patienten trainieren zweimal pro Woche in seinem Institut. Die Intensität steigert sich mit dem Erreichen neuer Belastungsgrenzen.
Arbeitsfähig zu sein als Trainingsziel
Autobahn heißt für Haiduk, acht Stunden am Tag arbeitsfähig zu sein. Ein hochgestecktes Ziel.
Mittlerweile ist mein Akku stabil. Klar schaffe ich dann wenig. Aber ein super Meilenstein war für mich, dass ich gemerkt habe: Ich war jetzt vormittags hier und abends konnte ich etwas kochen. Einfach auch zu merken, dieser Akku lädt schneller wieder auf.
Leistungsdaten zeigen Zustandsverbesserung der Betroffenen
Durch die Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthochschule werden zusätzlich Laborwerte untersucht.
„Mein Name ist Marijke Grau. Ich arbeite an der Deutschen Sporthochschule in Köln, vor allen Dingen im Fachbereich Hämatologie und Hämorheologie bei Sport und bei Erkrankungen und Gesundheit.“
Rote Blutkörperchen bei Long-Covid-Betroffenen verändert
„Wo dann tatsächlich Praxis und Forschung unmittelbar miteinander verzahnt werden, weil ich denke, dass es nicht nur für Long-Covid-Betroffene, sondern auch für viele andere mit chronischen Erkrankungen extrem wichtig ist, dass die Therapie individualisiert wird, dass unterschiedliche Faktoren damit reingreifen und dass dann auch neueste Erkenntnisse aus der Forschung unmittelbar in die Praxis und in die Behandlung der Personen mit den chronischen Erkrankungen integriert wird.“
Bus zur Post-Covid-Diagnostik
Seit November 2023 fährt durch die Landkreise in Thüringen der Post-Covid-Bus. Von außen scheinbar ein ganz normaler Bus für den Personenverkehr, innen aber Behandlungszimmer und Arztpraxis auf engstem Raum.
Telemedizinische Betreuung über mehrere Monate
„Mein Name ist Christian Puta. Ich habe hier eine Professur für Sportmedizin und Gesundheitsförderung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.“
Puta ist zuständig für die körperlichen Aspekte der Patienten im Watch-Projekt. Durch die Betreuung sollen sich langfristig die kognitiven, körperlichen und psychologischen Defizite der Post-Covid-Betroffenen verbessern und ihnen so auch wieder mehr Teilhabe am Arbeits- und Sozialleben ermöglichen.
Keine Long-Covid-Heilung, sondern Symptom-Linderung
„Es ist ein Energie-Ressourcenmanagement, nicht ein Energie-Erhöhungsmanagement. Es geht nicht darum, mehr Energie zu generieren, sondern es geht darum, mehr Energie über den Tag zur Verfügung zu haben, indem man sparsam mit dem Verbrauch umgeht.“
Pacing-Methode: Strategie, um mit seiner Energie zu haushalten
„Ich bin Mia Diekow. Ich bin selbst betroffen von ME/CFS nach einer Covidinfektion im März 2020.“
Die Erkrankung ME/CFS, die Myalgische Enzephalitis mit Chronischem Fatigue Syndrom, tritt wie Long Covid nach Infektionskrankheiten auf. Auch ME/CFS-Betroffene leiden unter PEM, der Verschlechterung der Symptome nach Überlastung:
„Betroffene beschreiben PEM gerne mit so etwas wie einen Kater haben plus Jetlag plus einen zusätzlichen Infekt, um annähernd zu illustrieren, wie sich das anfühlt. Also man ist wirklich komplett lahmgelegt. Das ist eine heftige Sache.“
Durch Pacing richtig Pause machen
„In einer Pause wird nichts gemacht außer gelegen. Man kann autogenes Training, Meditation oder Atemtechniken zur Entspannung einsetzen. Aber kein Social Media, kein Radio oder Fernsehen. Wirklich nichts zu machen, ist sehr hart. Gerade zu Beginn, wenn man es gewöhnt ist, sonst viel zu machen. Viele nutzen in dieser Zeit Baustellenlärmschützer und Schlafmasken, um sich von Reizen abzuschirmen.“
Selbsthilfegruppen bündeln Wissen
Herzfrequenz als wichtiger Marker zur Belastungssteuerung
„Ich beobachte bei gewissen Tätigkeiten, die für mich anstrengend sind, meinen Puls. Und wenn der über einem gewissen Sollwert längerfristig ist, dann ist es schlecht. Das heißt, ich vermeide, über diesen Wert zu kommen. Bei mir ist es so etwas wie 110, 120 - und den sollte ich möglichst nicht für längere Zeit überschreiten.“
„Über die Fitnesstracker sind wir in der Lage, sowohl die Herzfrequenz basierten Daten, also den Puls, letztendlich die Aktivität, die Schritte einzuschätzen und das in eine Konstellation zu diesen Symptomverschlimmerungen zu bringen. Das ist zum Beispiel ein Ziel, um darüber ein Verständnis zu gewinnen und die Betroffenen auch über diese Trackerdaten anzuleiten.“
Energiestoffwechsel mit Sauerstoff scheint bei Long Covid beeinträchtigt
Das erkläre auch, warum körperliche Aktivitätsprogramme, in der Reha zum Beispiel, bei manchen Long-Covid-Betroffenen zu einer Zustandsverschlechterung führen, ergänzt Christian Puta.
Aktiv ja, aber im Rahmen von Pacing
„Das ist hier ganz klar nicht zu empfehlen, dieses Modell aus der Trainingssteuerung. Das ist die Superkompensation, das heißt man trainiert, hat einen Anpassungseffekt über das Normale hinaus. Und diesen Anpassungseffekt kann man nutzen für einen Trainingseffekt später. Das ist nicht anzuwenden bei Post Covid.“
Diekow: „Sport sieht für mich als moderat Betroffene jetzt so aus, dass ich versuche, jeden Tag nach Möglichkeit einmal alle meine Muskeln einzeln irgendwie anzuspannen. An guten Tagen, ich nenne das rumrollen, lege ich mich auf eine Matte und versuche mal, alles irgendwie zu dehnen und zu mobilisieren.“
Diekows Ansatz ist also weniger Sport im klassischen Sinne, sondern Bewegungserhaltung kombiniert mit dem Körperbewusstsein, wie es ihr an diesem Tag geht und wie viel Energie sie hat.
Rehakurs für Long Covid in Leverkusen
Der Long-Covid-Rehakurs beim TSV Bayer 04 Leverkusen war 2022 einer der ersten Rehkurse für Long-Covid-Betroffene. Seitdem ist der Kurs gewachsen: von anfangs 2 Teilnehmern auf heute 14.
„Ich habe ein bisschen mehr Ausdauer, ich habe ein bisschen mehr Muskeln gekriegt, die waren ziemlich weg.“
„Ich hatte jetzt die Tage eine Teilnehmerin, die hat mir gesagt: Ich konnte bis in den dritten Stock ohne Pause nach oben gehen. Das war vor Monaten nicht denkbar. Das ist schon toll, wenn man so ein Ergebnis sieht.“
„Von der Konzentration ist es nur leicht besser geworden, da wird der Sport wahrscheinlich auch nicht so viel machen können. Aber von der Leistungsfähigkeit, vom Körper, von der Lunge hat sich das ungemein verändert. Also zum positiven Wert. Da muss ich sagen: gute Arbeit hier.“
Info-Angebote durch den Deutschen Behindertensportverband
„Ich würde sagen, wir sind deutlich, deutlich besser aufgestellt, als wir das vor anderthalb Jahren gewesen sind“, resümiert Benedikt Ewald, Direktor für Sportentwicklung beim DBS. „Wir haben versucht, die Initiative mit unserem Forum zu übernehmen und dort in Erscheinung zu treten.“
Reha-Übungsleiter für Belastungssteuerung bei Long Covid sensibilisieren
Dafür will Schmitz die Übungsleiter sensibilisieren. Sein Wissen basiert auf aktuellen wissenschaftlichen Studien und auf Erfahrungen aus seinen eigenen Kursen.
Breites Übungsrepertoire im Long-Covid-Rehakurs
Heute wartet auf die Kursteilnehmer ein Zirkeltraining. Damit lassen sich gezielt verschiedene Symptome von Long Covid ansprechen und verbessern. Und vor allem individuelle Intensitäten anbieten:
„Wir haben uns langsam herangetastet und die Belastung über die Zeit und über die Gewichte oder die Wiederholungszahl angepasst und dementsprechend uns ganz individuell einfach kontinuierlich gesteigert. Und wenn es zu viel war, wird eine Pause gemacht.“
Rehakursen sollten nach Symptomen und Belastungsgrenzen differenzieren
Wichtig ist zu differenzieren und abzuklären: Welche Long-Covid-Symptome haben die Teilnehmer*innen und vor allem: Haben sie eine Belastungsintoleranz, an die das Programm angepasst werden muss?
Nach Infektion: Körper braucht Zeit zum Ausheilen
Denn aus der Forschung wisse man mittlerweile, dass der Körper nach der Coronainfektion ein gewisses Zeitfenster brauche, um die Immunantwort abzuschließen.
„Man soll keine Angst haben. Man soll erst mal ausheilen lassen – und nicht nur drei Tage. Und dann beobachten, was passiert, wenn ich jetzt eine leichte Belastung habe: Wie geht's meinen Symptomen? Wenn ich merke, das wird sukzessive besser, ist es okay. Wenn ich aber merke, diese Erschöpfung bleibt massiv und das geht von Woche zu Woche, dann muss man schon mal einen Rat aufsuchen und sagen, da ist etwas nicht korrekt.“