"Was Goethe offenbar nicht wusste …"

Von Blanka Weber |
Zur Hauptversammlung der Goethe-Gesellschaft in Weimar treffen sich zurzeit Fans des Dichters und Wissenschaftler aus aller Welt - auch Forscher aus China sind dabei. Der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani sprach zum Thema der Konferenz "Goethe und die Weltreligionen".
"Was Goethe offenbar nicht wusste, offenbar nicht gewusst haben kann, sonst hätte er es mindestens in seinen Noten und Abhandlungen erwähnt, ist der Beiname, der Jesus im Islam zukommt – Geist, oder eben auch Atem Gottes."

Über den Gott-Atem, das Einhauchen von Leben, das Werden und Vergehen sprach Navid Kermani in seiner Rede. Wo sind Gemeinsamkeiten, wenn es um Mystisches sowohl bei Jesus als auch im Islam geht? Der deutsch-iranische Schriftsteller, der 2011 den Hannah-Arendt-Preis und 2012 den Kleist-Preis erhalten hatte, versuchte Antwort zu geben auf die Frage nach Goethes Blick auf Religionen:

"Wie gesagt; Goethe hat von der Stellung, die speziell dem christlichen Propheten in der islamischen Mystik zukommt, allenfalls in Andeutung gewusst, dass Jesus den Sufis der Geist oder Atem Gottes ist, hätte ihn vielleicht zu einem neuen, einem eigenen Verständnis der Trinität geführt und mit dem Christentum im Alter endgültig versöhnt."

Ob es doch war? Der renommierte Forscher Wolfgang Frühwald hat seine Zweifel. Aus der Sicht eines Christen war Goethe zeitlebens kein Christ, sagte er am Rande einer Diskussion:

"Er hat sich, wie es selbst gesagt hat, ein Christentum zum Privatgebrauch hergestellt. Und dieses Christentum zum Privatgebrauch ist eine spezifisch-goethische Religion, es ist eine Diesseits-Religion und hat mit dem Jenseits gar nichts zu tun. Aber als Humanitätsglaube ist es natürlich eine ganz großartige individuelle Leistung, die nur nicht für große Menschenmengen geeignet ist."

Früher - im 19.Jahrhundert hätten evangelische Pfarrer mindestens ebenso viel Goethe zitiert wie aus der Bibel gelesen. Doch genau diese Goethe-Religion, der Humanitätsglaube, sei eben nichts für die unteren Schichten eines Volkes gewesen, so Wolfgang Frühwald.

Goethe-Begeisterung in China
Die Versammlung der Forscher und weltweiten Fans will den Dichter zwischen Orient und Okzident beleuchten. In Asien sei Goethe gefragt wie nie. Vor allem jetzt in China, sagt Yang Wuneng, Professor in Chengdu und Goethe-Übersetzer. 2 Millionen Mal hat sich 'sein' Werther bislang in 20 Verlagen verkauft. In Zeiten der sogenannten Kulturrevolution in seinem Land war für Goethe kein Platz, obwohl es davor deutlich besser war, sagt Wuneng:

"Also in China war noch in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Werther-Fieber, aber die chinesischen Jugendlichen lasen und lesen Werther sehr, sehr gern. Aber Faust? Schade…"

Das würde der 70-jährige Professor am liebsten sofort ändern. Der von ihm übersetzte "Faust" ist demnächst per Internet zu bekommen, ließ er wissen. Der engagierte zierliche Mann in blauer, chinesischer Jacke mit Stehkragen wurde für sein Engagement geehrt.

Dass eine 14-bändige chinesische Goethe-Ausgabe auf dem Markt ist, sei ihm zu verdanken.

Auch wenn er nur, wie er betonte, mit einer alten Stimme sprechen könne und weniger gut als andere Redner zuvor. Ich - möchte Goethe danken:

"Ist aufrichtig, ist innig, die Stimme ist nicht so wichtig. Das Herz ... . !" (lacht)"

Was für ihn seit Jahrzehnten Herzensanliegen ist, war für Navid Kermani noch vor Jahren weit weg als literarische Quelle, erzählte der Orientalist. Er habe sich früher nicht mit Goethe beschäftigt, sondern mit ganz anderen Köpfen der Literatur:

""Büchner, Kleist, Kafka und Thomas Mann, Hermann Hesse, Celan groß geworden als mit Goethe. Also Goethe - da habe ich mich immer ferngehalten, und eigentlich erst in den letzten Jahren die Distanz überwunden."

Link zum Thema:
Goethe-Gesellschaft in Weimar
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