Was heißt heute schon links…
Aufmerksame Beobachter haben schon lange darauf hingewiesen. Der, die, das Linke – früher Synonym für Fortschritt, ja gar revolutionären Wandel, ist als historische Kraft ins Hintertreffen geraten. Den Fortschritt schreiben sich zusehends jene auf die Fahnen, die kulturell alles zwar beim Alten lassen, wirtschaftlich jedoch in bester revolutionärer Tradition die ordnungspolitischen Barrieren einreißen wollen.
Wenn heutzutage die Angst vor der Linken wieder von interessierten Kreisen geschürt wird, dann befürchtet man, dass die alten Fesseln der Ordnungspolitik hervorgekramt und dem Kapital zur Lähmung angelegt werden sollen. In der Tat klingt das, was in der Öffentlichkeit derzeit als linke Parteiprogrammatik gehandelt wird, wirtschaftlich ziemlich hausbacken. Das liegt nicht nur an der mangelnden Fantasie der linken Intelligenz. Es gibt hier eine Asymmetrie, die den Anhängern der herrschenden Lehre einen Feldvorteil verschafft.
Die verspricht nämlich nichts, sondern sagt nur: Bereichere Dich! Wenn’s nicht klappt – selber schuld. Die traditionelle Linke hingegen lädt sich mehr auf: Gerechtigkeit, Ausgleich, Beseitigung von Armut für Alle. Da ist die Gegenseite pfiffiger. Es ist ein religiöses Muster, auf das hier politisch zurückgegriffen wird: man betet den Markt an, dessen Gebote die Gläubigen zu befolgen haben und dessen weiser Ratschluss ebenso unergründlich, wie unvorhersehbar ist. Diese Gottheit spricht durch ihre Hohepriester und fordert - man kennt das - ihre Opfergaben. Derzeit meist in der Form von Arbeitsplätzen. Wer ihr keine Reverenz erweist, den holt der Inquisitor.
Hieße es, diesen Vergleich zu überdehnen, wenn man forderte, diesen Gott wie weiland Nietzsche für tot zu erklären? Wo kämen wir hin, wenn die Leute vom Evangelium abfielen? Müsste eine wie auch immer geartete Neue Linke einen alternativen Götzen aufbauen - Vater Staat als großen Umverteiler, die unfehlbare Partei mit ihrem Fünfjahresplan? Oder ginge es nicht vielleicht auch ohne und wenn ja, dann wie?
Diese Frage hat naturgemäß keine rezeptförmige Antwort. Aber wie wäre es, wenn man statt auf den Markt als unspezifisches Entdeckungsverfahren zu setzen, einmal ebenso unspezifisch auf die Menschen setzte. Weiß der Teufel, was denen einfiele, wenn man sie von den bekannten Zwängen befreite, die da lauten Dummheit und Knappheit. Befreit sind eine Reihe von ihnen schon von der Arbeit – und hier liegt ein Problem. Das Ende dessen, was man früher mal Lohnarbeitsdisziplin nannte, für einen vermutlich wachsenden Teil der Bevölkerung schafft eine ungebremste Masse. Muss man sich vor der fürchten? Kann man sie ruhig stellen, mit Billigjobs wieder einfangen, auf ein neues Parteiprogramm verpflichten oder wächst da irgendetwas heran, das sich der Ordnung entzieht. Am Ende gar neue Formen des Überlebens unterhalb oder neben der Vater-Mutter-Kind-acht-bis-fünf-Arbeits-Logik? Man weiß es nicht, aber es wäre einen Hoffnungsschimmer wert, diejenigen, die nicht mehr gebraucht werden, einmal nicht als Bedrohung, Dummbeutel oder Radikale zu sehen, sondern als kleines soziales Ferment, gesellschaftlichen Brutkasten, Experimentfeld.
So gesehen erschiene das Gegenteil zur herrschenden Orthodoxie nicht mehr pathetisch als großutopisch "Links" mit grandiosem Masterplan, sondern käme ziemlich unspektakulär als schlichte Hoffnung auf die Mischung von Vernunft und Eigeninteresse vor Ort daher. Wer diesen gesellschaftlichen Produktivkräften nicht traut, der möge sich nur vor Augen halten, wie sorgsam man von interessierter Seite darauf bedacht ist, ihre Entfaltung zu verhindern. Das beginnt bei der Werbung, führt über die medial befeuerte Panikmache mit Hilfe nützlicher Feinde und endet bei Hartz IV. Flankierend leistet ein miserables Bildungssystem das Seine.
Es reichte schon, wenn Kinder in der Schule nicht nur lernten, wie eine Bank funktioniert, sondern auch, wie man einen selbstverwalteten Betrieb führt. Oder gar später in der Oberstufe, wie man kritisch eine Bilanz liest und wie das internationale Finanz-, das Rechts- und das Steuersystem wirklich funktionieren, um sich von deren Sachzwängen nicht mehr ins Bockshorn jagen zu lassen.
Aber im Moment sehen wir eher eine interessante Volte der Geschichte. Die dummen Kerls, die meist eben immer auch die Armen sind, wenn sie nicht gerade ein großes Aktienpaket geerbt haben, werden in Scharen von den Anhängern schlechter Utopien eingefangen. Die hängen sich ein linkes Mäntelchen um, und versprechen, dass Alles gut und so wie früher werde. Aber ihre Rezepte sind Variationen eines alten Themas: Ordnung und Maß halten und immer an das große Ganze denken. Soll man die Leute doch mal machen lassen, soviel anthropologischer Optimismus muss sein! Denn was uns sowohl die Vertreter des freien Marktes als auch seine grimmigen Gegner immer gerne verschweigen: ohne die eiserne Faust des ordnungssichernden Staates, derer sie sich bei ihren schwindelerregenden Gestaltungsversuchen bedienen können, stünden auch sie wie der Kaiser im Märchen ziemlich nackt da - egal ob links oder rechts rum gestrickt.
Dr. Reinhard Kreissl, geb. 1952, ist Soziologe und Publizist. Studium in München, Promotion in Frankfurt/Main. Habilitation an der Universität Wuppertal. Kreissl hat u.a. an den Universitäten San Diego, Berkeley und Melbourne gearbeitet. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst und schrieb regelmäßig für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Letzte Buchpublikation: "Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist". Kreissl lebt in München und Wien.
Die verspricht nämlich nichts, sondern sagt nur: Bereichere Dich! Wenn’s nicht klappt – selber schuld. Die traditionelle Linke hingegen lädt sich mehr auf: Gerechtigkeit, Ausgleich, Beseitigung von Armut für Alle. Da ist die Gegenseite pfiffiger. Es ist ein religiöses Muster, auf das hier politisch zurückgegriffen wird: man betet den Markt an, dessen Gebote die Gläubigen zu befolgen haben und dessen weiser Ratschluss ebenso unergründlich, wie unvorhersehbar ist. Diese Gottheit spricht durch ihre Hohepriester und fordert - man kennt das - ihre Opfergaben. Derzeit meist in der Form von Arbeitsplätzen. Wer ihr keine Reverenz erweist, den holt der Inquisitor.
Hieße es, diesen Vergleich zu überdehnen, wenn man forderte, diesen Gott wie weiland Nietzsche für tot zu erklären? Wo kämen wir hin, wenn die Leute vom Evangelium abfielen? Müsste eine wie auch immer geartete Neue Linke einen alternativen Götzen aufbauen - Vater Staat als großen Umverteiler, die unfehlbare Partei mit ihrem Fünfjahresplan? Oder ginge es nicht vielleicht auch ohne und wenn ja, dann wie?
Diese Frage hat naturgemäß keine rezeptförmige Antwort. Aber wie wäre es, wenn man statt auf den Markt als unspezifisches Entdeckungsverfahren zu setzen, einmal ebenso unspezifisch auf die Menschen setzte. Weiß der Teufel, was denen einfiele, wenn man sie von den bekannten Zwängen befreite, die da lauten Dummheit und Knappheit. Befreit sind eine Reihe von ihnen schon von der Arbeit – und hier liegt ein Problem. Das Ende dessen, was man früher mal Lohnarbeitsdisziplin nannte, für einen vermutlich wachsenden Teil der Bevölkerung schafft eine ungebremste Masse. Muss man sich vor der fürchten? Kann man sie ruhig stellen, mit Billigjobs wieder einfangen, auf ein neues Parteiprogramm verpflichten oder wächst da irgendetwas heran, das sich der Ordnung entzieht. Am Ende gar neue Formen des Überlebens unterhalb oder neben der Vater-Mutter-Kind-acht-bis-fünf-Arbeits-Logik? Man weiß es nicht, aber es wäre einen Hoffnungsschimmer wert, diejenigen, die nicht mehr gebraucht werden, einmal nicht als Bedrohung, Dummbeutel oder Radikale zu sehen, sondern als kleines soziales Ferment, gesellschaftlichen Brutkasten, Experimentfeld.
So gesehen erschiene das Gegenteil zur herrschenden Orthodoxie nicht mehr pathetisch als großutopisch "Links" mit grandiosem Masterplan, sondern käme ziemlich unspektakulär als schlichte Hoffnung auf die Mischung von Vernunft und Eigeninteresse vor Ort daher. Wer diesen gesellschaftlichen Produktivkräften nicht traut, der möge sich nur vor Augen halten, wie sorgsam man von interessierter Seite darauf bedacht ist, ihre Entfaltung zu verhindern. Das beginnt bei der Werbung, führt über die medial befeuerte Panikmache mit Hilfe nützlicher Feinde und endet bei Hartz IV. Flankierend leistet ein miserables Bildungssystem das Seine.
Es reichte schon, wenn Kinder in der Schule nicht nur lernten, wie eine Bank funktioniert, sondern auch, wie man einen selbstverwalteten Betrieb führt. Oder gar später in der Oberstufe, wie man kritisch eine Bilanz liest und wie das internationale Finanz-, das Rechts- und das Steuersystem wirklich funktionieren, um sich von deren Sachzwängen nicht mehr ins Bockshorn jagen zu lassen.
Aber im Moment sehen wir eher eine interessante Volte der Geschichte. Die dummen Kerls, die meist eben immer auch die Armen sind, wenn sie nicht gerade ein großes Aktienpaket geerbt haben, werden in Scharen von den Anhängern schlechter Utopien eingefangen. Die hängen sich ein linkes Mäntelchen um, und versprechen, dass Alles gut und so wie früher werde. Aber ihre Rezepte sind Variationen eines alten Themas: Ordnung und Maß halten und immer an das große Ganze denken. Soll man die Leute doch mal machen lassen, soviel anthropologischer Optimismus muss sein! Denn was uns sowohl die Vertreter des freien Marktes als auch seine grimmigen Gegner immer gerne verschweigen: ohne die eiserne Faust des ordnungssichernden Staates, derer sie sich bei ihren schwindelerregenden Gestaltungsversuchen bedienen können, stünden auch sie wie der Kaiser im Märchen ziemlich nackt da - egal ob links oder rechts rum gestrickt.
Dr. Reinhard Kreissl, geb. 1952, ist Soziologe und Publizist. Studium in München, Promotion in Frankfurt/Main. Habilitation an der Universität Wuppertal. Kreissl hat u.a. an den Universitäten San Diego, Berkeley und Melbourne gearbeitet. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst und schrieb regelmäßig für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Letzte Buchpublikation: "Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist". Kreissl lebt in München und Wien.

Reinhard Kreissl© privat