Was ich Dir noch sagen wollte (12)

"Ich möchte Dir danken für Deinen Besuch"

Der Fuß eines Kindes im Sand
Der Fuß eines Kindes im Sand: "Eigentlich wollte ich dich immer mit ins Atelier nehmen. Aber dann musste ich das ja ohne Dich machen." © Bady qb / Unsplash
Von Birgit |
Ihr Sohn war vier Monate auf der Welt − mehr Zeit war ihm nicht gegeben. Sie studierte Kunst, wurde Malerin und stürzte sich in die Arbeit: "Du hast mir gezeigt, dass ein Leben ganz schnell vorbei sein kann."
Ich versuche mir gerade vorzustellen, Willem, wie du als 16-jähriger pubertärer, frecher Junge hier bei mir bist und ich krampfhaft versuche, dir etwas zu sagen, was ich dir noch sagen wollte. Wahrscheinlich würdest du jetzt aus dem Zimmer rennen. Oder vielleicht lieber mit Rainer, meinem Freund, viel lieber viel Blödsinn machen oder Musik machen. Statt zu hören, was ich dir immer noch mal sagen wollte.
Mein Lieber, tut mir leid, dass unsere Zeit so kurz war zusammen! Acht Monate in meinem Bauch und vier Monate im Krankenhaus, nur von Maschinen umgeben. Du hast dich trotzdem bemerkbar gemacht, hast geschnauft, wenn ich nicht gleich zu dir gekommen bin. Und ich hatte einen Traum, in dem ich bei anderen zu Besuch war und die mir ihr Kind zeigten und ich dann sagte: "Hatte ich auch mal." Und da warst du noch gar nicht auf der Welt, sondern noch in meinem Bauch. Da hatte ich das geträumt.
Das wollte ich immer, dass das nicht wahr wird. Aber der Virus hat uns wenig Zeit gelassen und ich hab mich lange schuldig gefühlt, weil du ihn von mir bekommen hattest. Ein Virus, der − wie hatte der Arzt gesagt ... "Die Menschheit ist damit durchseucht." Aber das war auch kein Trost. Es ist ganz schwer, auszuhalten und zu akzeptieren, dass Dein Weg ein anderer war, als ich mir das vorgestellt hatte am Anfang. Was wir alles zusammen machen.

Aus unserer Serie "Was ich Dir noch sagen wollte". Hier alle Folgen im Überblick

Wie wir vielleicht über eine Wiese toben oder Blumen entdecken oder Frösche − oder in die Oper gehen. Ich hab' ganz viel gemacht, um dich zu spüren. Wie groß das Loch war, dass du in mir hinterlassen hast. Ich bin gerannt, gelaufen − hab' gearbeitet und gearbeitet und gearbeitet und den Traum, den ich schon immer hatte, dann auch ohne dich umgesetzt. Ich hab' Kunst, Malerei studiert. Eigentlich wollte ich dich immer mit ins Atelier nehmen. Aber dann musste ich das ja ohne Dich machen.
Aber du hast mir gezeigt, dass ein Leben ganz schnell vorbei sein kann. Da hab' ich gedacht, es ist besser, ich mach' das jetzt. Sonst mach' ich das vielleicht nie. Durch dich habe ich angefangen, ganz andere Sachen zu malen und zu thematisieren als früher. Und immer ist irgendwie ... der Tod oder sozusagen das erste Leben, was vorbei ist, ein Teil dessen geworden.
Das Bild "Sternenengel" malte Willems Mutter in Erinnerung an ihren als Baby verstorbenen Sohn.
Das Bild "Sternenengel" malte Willems Mutter in Erinnerung an ihren als Baby verstorbenen Sohn.© Foto: Christine Jörss-Munzlinger
Ohne dich hätte ich vielleicht nie solche Tiefe bekommen. So dass ich dir auch danken möchte für Deinen Besuch, für Deine Zeit, die uns gegönnt war! Als du gegangen bist, hast du, glaube ich, mich geführt und hast mich deinen Sarg bemalen lassen. Und jetzt bemale ich für andere Kinder die Urnen. Es macht mir viel Freude − auch wenn andere sich das nicht vorstellen können.
Mach's gut da oben! Und lass' es doch mal wieder schneien.

"Ich bin nicht tot, ich tausche nur die Räume, ich leb' in euch und geh' durch eure Träume" (Michelangelo)

In dieser Serie sprechen Menschen zu Verstorbenen. Zu ihren Eltern, Geschwistern, Kindern oder Freunden. Sie sagen ihnen die Dinge, die sie ihnen zu Lebzeiten nicht sagen konnten − aus den verschiedensten Gründen.

Die Autorin Margot Litten sprach zunächst Menschen auf Friedhöfen an. Doch schon bald meldeten sich die ersten Hörer, die selbst sehr bewegende Geschichten zu erzählen hatten. Es sind zu einem großen Teil ihre Botschaften, die in dieser Serie zu hören sind.

Hilfsangebote zur Suizidprophylaxe und bundesweite Beratungsmöglichkeiten finden Sie hier