"Was morgen kommt, hängt von den Künstlern ab"

Moderation: André Hettinger |
Nach Ansicht des irakischen Regisseurs Awni Karoumi geben Künstler und Kulturschaffende im Irak ihren Landsleuten Mut, auf eine bessere Zukunft zu hoffen. Karoumi hat mit irakischen Schauspielern ein Stück nach Motiven Heiner Müllers erarbeitet, das Krieg und Terror thematisiert. Es wird unter dem Titel "Bagdad-Berlin" in Berlin uraufgeführt und danach in der irakischen Hauptstadt gezeigt.
Hettinger: Der Irak ist auch nach dem Sturz von Saddam Hussein nicht zur Ruhe gekommen, das Land ist regelrecht zermürbt von einer nicht enden wollenden Anschlagswelle. Ein normales Leben bleibt illusorisch. Das sind denkbar schlechte Rahmenbedingungen für die Kunst, aber gerade der kulturelle Wiederaufbau wäre ein wichtiger Beitrag zur Normalisierung des täglichen Lebens im Irak. Allerdings - wie kann das gelingen? Awni Karoumi war Dozent an der Universität Bagdad, er ist vor 14 Jahren aus dem Irak geflohen und lebt nun als Regisseur und Theaterpädagoge in Deutschland. Er hat ein Projekt ins Leben gerufen "Bagdad - Berlin" heißt es, bei dem 15 Theaterschaffende aus dem Irak nach Deutschland gekommen sind und hier eine eigene Inszenierung zeigen. Heute Abend ist Premiere und heute morgen ist Awni Karoumi im Studio von DeutschlandRadio Kultur. Schönen guten Morgen.

Karoumi: Schönen guten Morgen.

Hettinger: Ihre Gruppe von irakischen Theaterschaffenden hat nun zwei Monate in Deutschland gelebt und gearbeitet. Was zeigen Sie denn dem Publikum heute Abend?

Karoumi: Wir zeigen unsere Workshop-Präsentation und das geht eigentlich in eine Aufführung über, ein Spektakel, das aufgebaut wurde, aufgebaut auf Gedanken, Figuren und Szenen von Heiner Müller mit einer großen Bearbeitung, Neuadaption durch die Schauspieler und die Arbeit, die sie innerhalb dieser zwei Monate in Improvisationsszenen hergestellt haben, wo sie ihre eigene Realität wieder in Ruhe studierten, um ihre Ansichten und Weltanschauung zu zeigen, wie das geht und warum das war und was war. Diese Szenen gehen eigentlich um Krieg, Gewalt, Terror und Leiden, aber vergessen wir nicht die Hoffnung. Jeder Schauspieler studiert und kritisiert diese Situation, um sich selbst von dieser Zerstörung was in der Zukunft anschauen kann und für die Zukunft was arbeiten.

Hettinger: Also, Sie nehmen Szenen von Heiner Müller, in denen ja auch Krieg, Zerstörung, Tod ein großes Thema ist, und vermischen das quasi mit der Situation dieser Leute aus dem Irak, dieser Schauspieler, die jetzt hier nach Deutschland gekommen sind. Wie geht es weiter? Die Schauspieler gehen zurück in den Irak und zeigen das Stück dann auch dort?

Karoumi: Ja, am 18. fliegen sie zurück und dort wird das Stück weiter bearbeitet, vielleicht kriegt es noch einen anderen Titel, vielleicht "Szenen von Bagdad" oder einen anderen, das hängt von der Gruppe ab, aber auf jeden Fall werden wir es dort zeigen und wir benutzen diese Aufführung als eine dritte Aufführung, was wir hier vorher gezeigt haben in Mülheim im Theater an der Ruhr und hier in Berlin an der Volksbühne und dem Maxim Gorki-Theater.

Das heißt, es wird diese Produktion von Berlin als Geschenk an Bagdad geben, um sie dort weiterzuführen und weiterzubearbeiten und noch weiter, weil das ist eine öffentliche Aufführung, da kann viel drin sein, da kann man viele Gedanken weiterentwickeln. Das hängt nicht von Zeit und Ort, es hängt eigentlich von Themen ab. Und so lange man diesen Stil gefunden hat, nach diesen Themen, dann kann man ihn weiterbearbeiten, viel improvisieren und dazu kommen auch die aktuellsten Situationen. Es kann sein, dass morgen viele Szenen über Gewalt und Terror und so weiter kommen; unsere Arbeit steht eigentlich als Theater gegen Gewalt, Terror und Krieg.

Hettinger: Diese düsteren Szenen werden also ins Positive gewendet. Wie machen Sie denn das, dass Sie mit dem Theater den Menschen im Irak Hoffnung geben?

Karoumi: Alleine dass die Menschen arbeiten in diesem Kunst- und Kulturbereich, gibt einen Mut für die Menschen, normale Menschen, dass das Leben weitergeht und dass die Hoffnung auf morgen sicherer ist als das Gestern. Was gestern war, haben wir erlebt, aber was morgen kommt, hängt von den Künstlern und der Kulturszene und -Landschaft, die wir zeigen, ab.

Meiner Meinung nach, wenn der Mensch selbstbewusst ist, dass es um Kultur geht, das heißt, es geht um Leben und deswegen glaube ich, wenn wir jetzt sagen, wie hart diese Künstler dort gearbeitet haben an zwei, drei Produktionen, unter welchen Bedingungen, alleine dieser Mut, dass der Künstler immer an der Seite der Kunst und der Menschen steht für Freiheit und Demokratie, das ist alleine ein Beispiel, ein Vorbild, wie das die anderen Menschen auch in ihrer Arbeit und Leistung weitergeben können.

Hettinger: Wie sind denn die Bedingungen überhaupt für Leute, die Theater spielen im Irak? Man hat hier den landläufigen Eindruck, da ist alles kaputt, da ist alles platt. Gibt es da überhaupt so etwas wie eine Infrastruktur?

Karoumi: Das ist die Frage. In den Medien sieht man viele Bilder und das ist wahr, das möchte ich nicht bezweifeln, aber trotzdem heiraten, essen, arbeiten die Menschen, die Schüler gehen in die Schule, die Studenten in die Universität und so weiter. Aber welche Bedingungen - heutzutage zum Beispiel in Bagdad wird nicht in der Öffentlichkeit Werbung für die Theateraufführung gemacht, es ist wie eine Art Geheimnis. Zur Aufführung werden die Leute dort eingeladen mittags oder nachmittags, dann werden Stücke gezeigt, auch in einigen Instituten wie der Akademie der schönen Künste, dem Nationaltheater und anderen Theatern. Das heißt, heutzutage ist es kein öffentliches Leben, sondern mehr oder weniger eine Theateraufführung, um den Menschen selbst Mut zu geben, dass sie weiter in der Kunst arbeiten und in diesem Kulturbereich.

Hettinger: Das Theater mit seiner Spielfreude und Farbenpracht, Ist das eher Ablenkung für die Leute oder ist es so, dass man sagt, wir machen euch mal jetzt eure Situation bewusst?

Karoumi: Das ist eines, eine Tendenz, das wollen sie, den Menschen die Situation bewusst machen, denn wenn man nicht kritisch sein kann, dann wird das Bewusstsein nicht weiter entwickelt, geht nicht voran. Deswegen möchte ich sagen: einmal Hoffnung geben, auch das Leben zeigen und nicht nur die Tragödie des Lebens so darstellen, dass sie ewig bleibt, sondern vielleicht könnte man ironisch sein, manchmal über die Situation lachen, die im Krieg ist und über die Menschen und dadurch versuchen wir diese Widersprüche so darzustellen, dass man dabei so lachen könnte, über sich selbst, die Situation, über die Figuren, die man zeigt. Das heißt, die Schauspieler, die das Stück spielen und improvisieren haben nicht nur die Tragödie des Lebens gezeigt, sondern über die Tragödie haben sie uns und sich selbst darüber gelacht, denn ohne Lachen könnte man nicht bewusst die Situationen und die Realität anerkennen und bearbeiten.

Hettinger: Das klingt nach einer sehr vergnüglichen Auffassung von Theater, ich habe den Eindruck, da ist immer richtig was los, richtig Stimmung. Bei uns in Deutschland ist Theater ja, ich möchte mal sagen, eine sakrale Angelegenheit, da ist viel aufbewahrt von humanistischen Traditionen und Gesellschaftsentwürfen. Theater im Irak ist Volkstheater im besten Sinn?

Karoumi: Das könnte man sagen. Die Schauspieler, die in Mülheim und hier an der Volksbühne gespielt haben und ihre eigenen Stücke mit von Bagdad brachten, haben sie mit einer tollen Energie und Freude gespielt, bis die deutschen Zuschauer sich gewundert haben, wie kann so ein Schauspieler uns heute abend so eine Energie zeigen, mit welchem Willen, welcher Ansicht kommt dieser Mensch hierher, um seine eigene Lesart über das Leben zu zeigen. Und die Zuschauer, die Leute in Mülheim waren stolz auf die irakischen Schauspieler, diese Energie und Lust am Spiel, dieses "Dennoch".

Hettinger: Was haben denn die Schauspieler gesagt, wenn sie vom Irak gewohnt sind, dass da richtig Rummel ist im Zuschauerraum, dass die mitmachen und dann kommt man plötzlich in ein deutsches Theater und die sitzen da alle eher zugeknöpft. War das irritierend?

Karoumi: Nein, im Gegenteil. Die irakischen Schauspieler waren so begeistert, sie haben nie gedacht, dass sie solchen Applaus bekommen hätten, das hat sie gewundert. Sie waren schockiert, erstmal diese Stille, dass es alleine diese Stille und Chance gibt, wo ein Schauspieler über sein Spiel nachdenken kann. Er spielt, indem er den Zuschauer sieht. Diese Stille im Zuschauerraum war so toll, dass die Schauspieler auch eine neue Entdeckung durch das Spiel, wie ich das von meinen Kollegen erfahren haben, auch nachzudenken, was sie meinen. Der Zuschauer versteht den Text nicht, aber der Schauspieler hat den Text so klar in sich mit seinen Gefühlen ausdrückt, dass der Zuschauer alles versteht, was er sagen will.

Hettinger: Obwohl der Text auf Irakisch zitiert wird.

Karoumi: Ja, aber heute Abend werden wir es mit einer simultanen Übersetzung machen, dann werden die Deutschen auch etwas mitkriegen, nicht nur von den Aufführungen und Spielweisen, diesem Theaterspektakel, Musik, Liedern und Sets, Lieder, die die Schauspieler auch selber entdeckt haben. Da, glaube ich, werden die deutschen Zuschauer viel mitbekommen.
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