Klimawandel

Was hat Plastik im Ozean mit der Erderwärmung zu tun?

30:05 Minuten
Grafische Darstellung von Plastikmüll im Ozean.
Die Meere sind voll mit Plastikmüll. Die Wege, den er dabei zurücklegt, nutzen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen für die Klimaforschung. © imago images/Ikon Images/Marcus But
Von Lutz Reidt |
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Vor 30 Jahren verliert ein Schiff eine Ladung Quietscheenten. Über Jahrzehnte verfolgen Forscher und Forscherinnen ihre Route durch die Weltmeere. Was sie dabei feststellen, macht ihnen immer mehr Sorgen.
Ein schwerer Wintersturm fegt über den Nordpazifik unweit der globalen Datumsgrenze. Vor wenigen Tagen hat das Containerschiff den Hafen von Hongkong verlassen, nun ist es auf dem Weg nach Tacoma, einer Hafenstadt an der Westküste der USA.
Fast die Hälfte der Wegstrecke ist an diesem 10. Januar 1992 geschafft. Doch nun hat der Kapitän Mühe, das Schiff in der brodelnden See auf Kurs zu halten. Riesige Brecher donnern aufs Deck, das Schiff neigt sich bedrohlich zur Seite. Plötzlich reißen einige der Container aus ihren Verankerungen. Zwölf schießen wie Torpedos über Bord in die schäumenden Wogen des Nordpazifiks: 
Ein Container öffnet sich beim Aufprall aufs Wasser, aus ihm quillt eine schrill-bunte Masse: knallgelbe Badeenten und rote Biber, blaue Schildkröten und grüne Frösche. Statt im Planschbecken landen 28.800 Plastiktiere im Pazifik, wo die Meeresströmungen zweier großer Wirbelsysteme dominieren, schildert Martin Visbeck vom GEOMAR in Kiel:
„Das sind der Subtropen- und der Subpolarwirbel. Und was diese Enten gemacht haben: Am Anfang sind die an der Obergrenze ziemlich genau Richtung Osten gewandert und haben dort dann die Küste von Nordamerika erreicht, also in der Höhe von Seattle; und gehen dann mit dem anderen Wirbelsystem, das ist der Subpolarwirbel – geht er dann nach Norden an Kanada vorbei, Richtung Alaska.
Also erst Teil des Subtropenwirbels: Von Japan zur Westküste von den USA; und dann biegt die Strömung sozusagen nach Norden ab, an der nordamerikanischen Küste, Vancouver Island zu Alaska; und geht dann dort auch weiter nach Norden, partiell sogar auch in den arktischen Ozean rein.“

Wie bei den Anfängen der Meeresforschung

Die Odyssee der Badetiere hat für den Ozeanografen einen ganz eigenen Reiz. Zwar bringt sie keinen Erkenntnisgewinn, weil diese Stromsysteme seit Langem bekannt sind. Doch die Reiseroute der Plastikfiguren erinnert Martin Visbeck an die Anfänge der Meeresforschung, die sich zum Beispiel auf Flaschenpost-Sendungen stützte. Und jetzt: Fast 29.000 Badetiere auf einmal!
„Das ist für uns ganz interessant, dass man mal so eine Punktmessung hat, sozusagen: Wie verteilt sich eine große Menge von eingebrachten Partikeln – in dem Fall Plastikenten – mit der Zeit mit der Strömung; das ist auch öffentlichkeitswirksam, denn wenn man am Strand so eine gelbe Plastikente findet, dann ist das irgendwie interessanter, als wenn man ein anderes Teil von einem Schiff findet, wo man gar nicht weiß, wo das hergekommen sein könnte.“
Und wo es hingetrieben wird. Zum einen sind die Badetiere aus dem zerborstenen Container nichts anderes als Plastikmüll, der zur Verseuchung der Weltmeere beiträgt. Zum anderen taugt die bunte Armada als Sinnbild für ein anderes globales Problem: den Klimawandel. Denn auf ihrer langen Reise passieren die Planschtiere viele Hot-Spots der aktuellen Klimaforschung.
Zunächst fahren sie einige Jahre Karussell. Die NOAA – die Wetter- und Ozeanografiebehörde der USA – hat errechnet, dass Plastikmüll bis zu 16 Jahre lang im Nordpazifik kreisen kann – wobei etliche Badeenten sogar auf Weltreise gehen werden: 
„Dort wird in erster Linie ein Wassermolekül oder eben so eine Plastikente, die im Pazifik ausgesetzt wird, zu 90 Prozent im Pazifischen Ozean verbleiben, aber wir haben ja nur einen globalen Ozean und es gibt durchaus Strömungen, die auch die Ozeanbecken miteinander verbinden. Das heißt, über lange Zeit gesehen wird jedes Wassermolekül auch mal irgendwo auf der Welt hinkommen können; und so kann es eben auch passieren, dass Partikel aus dem Nordpazifik – in dem Fall ist die schnellste Route dann über die Arktis – auch in den Nordatlantik kommen; denn die Ozeanströmungen tauschen das Wasser eben weltweit aus. Alle Regionen sind am Ende mit allen verbunden, aber natürlich manche mehr und andere viel, viel unwahrscheinlicher.“

Unser Planet kennt keine Grenzen

Alles ist mit allem verbunden. Unser Planet kennt keine Grenzen, weder im Ozean, noch in der Atmosphäre. Wasser und Wind können auf verschlungenen Pfaden die ganze Hemisphäre umkreisen, sagt der Physiker und Ozeanograf Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung:
„Das Klimasystem – sowohl Atmosphäre als auch Ozean – ist ja ein hochdynamisches System, wo es auch Fernwirkungen gibt; also Wechselwirkungen über sehr große Distanzen; zum Beispiel durch Wellenprozesse innerhalb der Atmosphäre, die um eine ganze Halbkugel herumgehen können; oder durch die schnell fließenden Windströmungen wie den Jetstream – es gibt ja mehrere jetzt Jetstreams, die in größerer Höhe eine ganze Hemisphäre umkreisen; und in Nord-Süd-Richtung, durch Veränderungen der Ozeanzirkulation, wo die Wärmetransporte eben von der Südhalbkugel bis in die Nordhalbkugel reichen, im Atlantik.“

Gelbe Enten und rote Biber zwischen dem Treibgut

Es ist ein milder Herbsttag an Thanksgiving 1992 am felsigen Strand der Chichagof im Südosten Alaskas: Besucher nutzen den Feiertag für einen beliebten Freizeitspaß: „Beachcombing“. Sie durchkämmen das angeschwemmte Treibgut. Schnell stoßen sie auf ein schrill-buntes Ensemble dutzender Plastiktiere – inmitten eines Gewirrs aus Algen, Treibholz und gammeligen Fischernetzen. Die Farben der gelben Enten und roten Biber sind zwar verblasst, aber die grünen Frösche und blauen Schildkröten leuchten in der matten Herbstsonne.
Der amerikanische Autor Donovan Hohn greift die Geschichte der havarierten Badetiere auf, seine Recherchen münden in dem Buch „Moby Duck“. Es stellt sich heraus, dass Hunderte Plastiktiere an den Stränden Alaskas angespült wurden. Mehr als 3000 Kilometer haben sie zurückgelegt, gut zehn Monate nach der Havarie kam es zum ersten gut dokumentierten „Landfall“.

„Wir Forscher hätten das bestimmt erwartet; das Problem ist bei uns so ein bisschen: Man weiß nie so genau: Treibt die Gummiente mehr mit der Strömung oder mit dem Wind? Aber dass sie nach Westen geht, ist klar, weil sowohl Strömung als auch Winde würden sie nach Westen bewegen. Dass es knapp ein Jahr dauert, ist auch nicht so unerwartet.
Und dass sie irgendwann am Strand landen, kann man erwarten. Die Tatsache, dass sie dort aufgetaucht sind, dass Leute sie gefunden haben – nun ja, wenn man am Strand selber geht und eine findet, denkt man, na ja, die hat wohl jemand verloren; wenn man zwanzig findet, dann denkt man: Mensch, hier ist etwas Besonderes passiert! Und das hat das Interesse der Öffentlichkeit schon geweckt“, sagt Martin Visbeck.

Wo landet die nächste Badeente?

Die gelben Badeenten tragen den Herstellervermerk „First Years Inc.“ auf der Unterseite, der hilft, sie zu identifizieren. Jeder weitere „Landfall“ wird nun akribisch verfolgt. Ozeanografen entwickeln ein Strömungsmodell und entwerfen Prognosen über den weiteren Weg der Planschtiere:
Irgendwann müssten einige sogar an der Ostküste Nordamerikas auftauchen. Unter anderem in Massachusetts, wo der Hersteller seinen Sitz hat. 100 Dollar für jeden Fund lobt die Firma als Belohnung aus – ein Werbegag, der den Medienrummel befeuert. Doch der weite Weg zurück an die Ostküste soll noch beschwerlich werden.
Jahrelang fahren sie im Pazifik Karussell, die Planschtiere aus Plastik. Der Salzfraß des Meerwassers kann ihnen nur wenig anhaben. Die gelben Enten und roten Biber heben und senken sich zwar ausgebleicht im Ozean, viele der knallgrünen Frösche und tiefblauen Schildkröten leuchten – dank stabiler Farbpigmente – weiterhin gut sichtbar aus den Wellen empor.
Die schneebedeckten Fünftausender an der Südküste Alaskas kommen immer wieder in Sichtweite. Ganz allmählich nähert sich die bunte Truppe dem schwierigsten Teil ihrer Reise, dem Weg durch die Arktis. 
Etliche der knapp 29.000 Plastiktiere stoßen durch eine 85 Kilometer breite Öffnung zwischen Alaska und Sibirien: die Beringstraße. Sie passieren die Meerenge und erreichen das arktische Meer. Innerhalb weniger Minuten schlägt das Wetter um. Schneebeladene Böen peitschen übers Wasser, der Sturm treibt mächtige Eisfelder zusammen. Es dauert nicht lange und die Plastiktiere sind gefangen im Packeis der Arktis. Aber auch das ist nicht das Ende ihrer Reise, sagt der Kieler Ozeanograf Martin Visbeck: 

„Das Packeis ist ja so ähnlich wie auch die Quietscheenten, wird auch angetrieben vom Wind; das sieht alles sehr stabil aus, wenn man das vom Flugzeug aussieht; aber es sind ganz viele Risse und Lücken da drin – das Eis bewegt sich!“

Martin Visbeck

Die Wege des Eises und sind gut bekannt. Der Geophysiker Christian Haas vom Alfred-Wegener-Institut am Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven:
"Grundsätzlich ist es so, dass der Meeresspiegel des Nordpazifiks höher liegt als der Meeresspiegel des Nordatlantiks, was an dem größeren Süßwassergehalt des pazifischen Wassers liegt. Das führt dazu, dass das Wasser im arktischen Ozean grundsätzlich vom Pazifik zum Atlantik fließt; wenn man sich jetzt also in der Beringstraße in ein Wassermolekül verwandeln würde und mit den Strömungen mittreiben würde, dann würde man irgendwann im Nordatlantik ankommen." 

Das Verschwinden des arktischen Eises

Christian Haas war in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt in der Arktis unterwegs. Unter anderem an Bord der Polarstern, dem Paradeschiff der deutschen Meeresforschung. 
Vor gut 30 Jahren – im September 1991 – hatte sich der Eisbrecher erstmals durchs arktische Eis bis zum Nordpol vorgekämpft. Was damals ein mühsames Unterfangen war, ist heute weniger aufwendig. Grund: der Klimawandel. 
Im arktischen Sommer ist die Luft meist diesig, die Sicht trübe und das Eis brüchig – übersät ist es mit weitläufigen Pfützen voller Schmelzwasser. Inzwischen hat sich die arktische Eisfläche nahezu halbiert, das Eis ist zudem dünner geworden:
"Eisdicken-Messungen gibt es erst, seit wir sie im Prinzip im Gebiet des Nordpols begonnen haben auch mit der Fahrt 1991. Wir haben ja das besondere elektromagnetische Eisdicken-Verfahren entwickelt, das man von Flugzeugen aus auch einsetzen kann, und da haben wir gesehen, dass die Eisdicke sich mehr als halbiert hat. In den 90er-Jahren war sie noch mehr als zweieinhalb Meter dick, während sie jetzt im Sommer eigentlich immer unter einem Meter liegt in der Nähe des Nordpols." 
Ein Schiff im arktischen Eis.
Auf der Polarstern erforschte Christian Haas das arktische Eis.© picture alliance / Alfred Wegener Institute via abaca
Zuletzt war Christian Haas im Rahmen der MOSAiC-Expedition in der Arktis unterwegs. Bei der Forschungsreise hat sich die Crew an Bord der Polarstern mehr als ein Jahr lang einfrieren lassen. Ziel war es, das Verschwinden des arktischen Eises besser zu verstehen:
Warum passiert das dort so stark, nicht aber im Süden, in der Antarktis, wo sich das Meereis nur wenig verändert hat? Und wo auch die Eisdicke weitgehend gleichgeblieben ist. Es gibt also viele offene Fragen. Fest steht: In den Regionen der Arktis verschwindet das Eis vor allem an den nördlichen Rändern von Europa und Asien:
"Der Eis-Rückgang ist am stärksten im Gebiet von Spitzbergen und in der Barentsee; und dann weiter nach Osten im Gebiet der sibirischen Arktis. Das Eis in der Arktis treibt ja grundsätzlich von Sibirien über den Nordpol Richtungen Kanada und Grönland. Deswegen befindet sich auf der sibirischen Seite das dünnste Eis, was somit auch schneller und leichter wegschmelzen kann; deswegen sind dort die Gebiete mit dem größten Eisschwund."

Arktis und Antarktis sind Kältekammern der Erde

Diese Entwicklung beschleunigt den globalen Klimawandel. Denn im Strahlungshaushalt der Erde fungieren Arktis und Antarktis als Kältekammern der Erde:
„Die Erde erhält ja ihre Energie von der Sonne; hauptsächlich in den Gebieten des Äquators; und verliert ihre Energie in den Polargebieten. Die Polargebiete wirken also wie so eine Art Kühlschrank für die Erde. Das liegt vor allem an der Eisbedeckung mit ihrer weißen Farbe, die die meiste Sonnenstrahlung zurück reflektiert, sodass sich die Gebiete um die Pole herum nicht so stark durch die Absorption von Sonnenstrahlung erwärmen können.“
Je mehr weißes Eis verschwindet, desto mehr treffen die Sonnenstrahlen auf dunklere Flächen. Und die speichern die Energie in Form von Wärme. Eine verhängnisvolle Entwicklung:
„Es gibt weniger Eis; deswegen gibt es mehr dunkle Flächen – sowohl an Land als auch auf dem Ozean. Dadurch wird mehr Sonnenstrahlung absorbiert, die dazu führt, dass mehr Eis schmilzt, sodass sich dieser Prozess immer weiter verstärkt. Wir sehen das tatsächlich schon darin, dass sich die Arktis heutzutage mehr als zwei bis drei Mal so schnell erwärmt hat – seit dem Beginn der Klima-Aufzeichnungen – wie die Erde im Allgemeinen. Dieser Effekt wird „Arktische Amplifikation“ genannt, und beeinflusst das Klima der Arktis und damit auch das Klima der Welt ganz maßgeblich.“

Sechs Jahre im Packeis gefangen

Etwa sechs Jahre lang ist die Armada der Gummitiere im Packeis der Arktis eingeschlossen, bewegt sich aber weiter fort. In einem Sommer kurz nach der Jahrtausendwende entlässt das Eis die ersten Plastikenten und Biber, Frösche und Schildkröten in den Nord-Atlantik. Ozeanograf Martin Visbeck:
„Das Eis in der Arktis wird getrieben vom Wind, geht auch im wesentlichem so gegen den Uhrzeigersinn; und es gibt Bewegungen, relativ langsame, von Alaska Richtung Grönland entlang der kanadischen Küste; dort ist das Eis sehr dick, fünf Meter zum Teil! Was genau mit den Enten passiert ist, weiß man natürlich nicht. Wir können die ja nicht unterwegs verfolgen; die werden eingefroren sein mit dem Eis und dann sich mit der großen Eismasse so ganz langsam Richtung Grönland bewegt haben. Einige von denen könnten auch im Sommer mehr in die zentrale Arktis ´reingetrieben sein; und dann gibt es schnellere Wege über den Nordpol raus Richtung arktischer Ozean und dann in den Nordatlantik.“
Von einem arktischen Gletscher fließt Schmelzwasser in den Ozean.
Das Eis scheint unaufhaltbar zu verschwinden. Hier ein Schmelzwasserfall an einer Gletscherfront bei Spitzbergen. © imago stock&people/imagebroke
Ausgebleicht aber unverdrossen schippern die Planschtiere durch die milchig-graue See – im Schatten turmhoher Eisberge und vorbei an treibenden Eisschollen. Vor der atemberaubenden Kulisse der eisbedeckten Gipfel Grönlands zieht die unsinkbare Armada weiter nach Süden. Mit brachialer Gewalt stürzen Eismassen ins Meer. Das Wasser brodelt und schäumt, wenn im kurzen arktischen Sommer große Eismassen abbrechen und Gletscher ins Meer vorstoßen. Das Schmelzwasser beschleunigt diesen Prozess:
„Dieses Schmelzwasser kann durch Gletscherspalten zum Felsbett an der Unterseite des Gletschers gelangen; und je mehr Schmelzwasser es dort gibt, umso schneller fließen die Gletscher, weil das Schmelzwasser wie so eine Art Gleitschicht, wie so eine Ölung des Felsbettes wirkt. Und deswegen kann das Vorstoßen auch damit zu tun haben, dass einfach das Eis momentan schneller fließt, weil es wärmer ist und weil es mehr Schmelzwasser an seiner Basis gibt“, sagt Christian Haas.

Der Eispanzer Grönlands schrumpft. Und das Schmelzwasser scheint eine gigantische Umwälzpumpe ins Stottern zu bringen, die eigentlich dafür sorgt, dass salzreiches, kaltes Meerwasser in die Tiefe absinkt. Stefan Rahmstorf spricht von der „Thermohalinen Zirkulation“:
„Die Thermohaline Zirkulation kann durch Süßwassereintrag in den Absinkgebieten – zum Beispiel im Nordatlantik – abgeschwächt werden. Das Süßwasser kommt durch Schmelze von Meereis und Grönlandeis, durch zunehmende Niederschläge oder zunehmende Abflüsse von den Flüssen, die ins Meer gelangen. Die genauen Mengen (…) nicht den Zuschlag bekommen.“

Die maritime Umwälzpumpe verliert an Kraft

Die Umwälzpumpe der „Thermohalinen Zirkulation“ sorgt dafür, dass warmes und salzreiches Wasser aus der Karibik bis weit in den Norden vorstößt. Dieser „Nordatlantikstrom“ ist ein verlängerter Arm des Golfstroms und sorgt für das milde Klima in Europa.
Auf den Britischen Inseln wachsen Palmen, und die norwegischen Häfen bleiben auch im Winter eisfrei; ja selbst das Meer zwischen Grönland und Island bekommt noch viel von der Wärme ab. Dort erfährt das warme Wasser einen Kälteschock und sinkt in die Tiefe. Wie beim Ausfluss einer Badewanne entsteht ein Sog, der immer mehr wärmeres Wasser des Nordatlantikstroms ansaugt. In der Tiefe fließt dafür das abgekühlte schwere Wasser wieder Richtung Süden. Der Kreislauf ist geschlossen. 
Die Frage ist, wie viel Kraft diese maritime Umwälzpumpe verliert – dadurch, dass Schmelzwasser vor den Küsten Grönlands den Kreislauf stört. 
„In der zentralen Grönlandsee und auch in der Labradorsee – also um Grönland herum, auf beiden Seiten! Und wir machen uns Sorgen und sehen natürlich auch die Versüßung der Oberflächenschichten; das könnte bedeuten, dass eben diese andere Golfstrom-Strömung, die Art von Strömung, wo Wasser absinkt, in großen Tiefen nach Süden läuft, dann aufsteigt, als warme Strömung zurück, sozusagen im Golfstrom wieder nach Norden fließt – diese ist klimatisch sehr wichtig, die bewegt viel Wärme, viel Energie nimmt auch übrigens viel gelöstes Kohlendioxid auf; und das Schmelzen des grönländischen Eispanzers hat direkte Einwirkung auf die Stärke dieser Strömung.
Und von daher: Natürlich sind die Enten da dran vorbeigekommen. Die werden nicht bemerkt haben, ob weniger oder mehr Schmelzwasser dort ist, aber in der Wissenschaft ist das für uns sehr, sehr wichtig, das ist eine der Folgen des Klimawandels, die uns Sorgen macht“, sagt Martin Visbeck.

Die Reise der Plastikenten geht weiter

Das Gedächtnis der Gezeiten gibt manchmal kleine Überraschungen preis – so auch am Gooch´s Beach bei Kennebunk, einem kleinen Seebadeort an der Atlantikküste von Maine, dem nordöstlichsten US-Bundesstaat. Es herrscht Ebbe an diesem schönen Sommertag im Juli 2003. Der Strand ist Dutzende Meter breit und übersät mit dunkelgrünem Seetang, den die Flut zuvor angehäuft hat. Eine Anthropologin entdeckt, dass etwas Weißlich-Gelbes inmitten der Algen hervorlugt.
Die Forscherin schaut es genauer an: Eine verblasste Plastikente – unten auf dem Bauch ein halb verwitterter Schriftzug: First Years Inc. Sie wirft die Ente achtlos zurück und geht weiter. Erst später erfährt sie von dem Projekt der Ozeanografen an der Westküste, die den Weg der verlorenen Plastiktiere über die Weltmeere nachzeichnen. Dort ist die Küstenlinie der Neuengland-Staaten als wahrscheinlicher Fundbereich markiert. Sie schreibt den Forschern über ihre Entdeckung. Doch ohne Ente - keine Verifikation. Die Ozeanografen malen deshalb auf ihre Karte an der Küste von Maine ein dickes Fragezeichen: möglicher Landfall – aber keine Gewissheit. Chance vertan.
Weiter geht die Reise der Planschtiere nach Süden, entlang der Ostküste der USA. Im Bereich von North Carolina erreichen sie einen markanten Punkt: Cape Hatteras. Hier erfassen Ausläufer des Golfstroms die Weltreisenden und treiben sie Richtung Europa. Die Tiere nehmen jetzt so richtig Fahrt auf:
„An den Westseiten der Ozeane strömt das Wasser schneller, das hat mit der Erdrotation zu tun; also im Kuroshio, im Golfstrom; dort hat man Strömungsgeschwindigkeiten von über einen Meter pro Sekunde – das ist schon ´ne ganze Menge, da schafft man 100 Kilometer am Tag. Allerdings werden die natürlich in diesen Starkstrombändern vielleicht ein paar Tage sein, mal ´ne Woche, und dann werden sie ´rausgespuckt aus der starken Strömung, in das Wirbelfeld; dort geht es dann etwas langsamer voran. Aber so im Schnitt kann man da schon zehn, 15, 20 Zentimeter pro Sekunde, also 20 Kilometer pro Tag erreichen“, sagt Martin Visbeck.

Wenn kein warmes Wasser mehr kommt

Die Frage bleibt: wie lange behält der Golfstrom diese Wucht? Die Berichte häufen sich, dass die Fernwärmeversorgung schwächelt. Dass womöglich bald weniger warmes Wasser aus der Karibik nach Europa kommt. Einige Indizien geben zu denken. Dazu zählt Stefan Rahmstorf eine große Kälteblase über dem Nordatlantik:
„Der nördliche Atlantik südlich von Grönland und Island ist die einzige Weltgegend, die sich in den letzten hundert Jahren abgekühlt hat, während der ganze Rest des Globus sich erwärmt hat; und das ist von den Klimamodellen auch so vorhergesagt worden, und zwar als Resultat der Abschwächung der Thermohalinen Atlantikzirkulation, die genau in dieser Region eben warmes Wasser bringt, was dort die Wärme an die Luft abgibt, dadurch schwerer wird und dann absinkt; und wenn sich diese Zirkulation abschwächt, wird eben weniger Wärme in diese Region transportiert mit der Folge, dass die sich abkühlt.“
Die Folge dieser Abkühlung: Das Wetter in Europa könnte sich drastisch ändern, so der Klimaforscher. 
„Das hat wahrscheinlich bereits Auswirkungen auf die atmosphärische Zirkulation: Verändert den Lauf des Jetstreams, verändert die Luftdruckverteilung tendenziell; natürlich gibt es immer diese Wetterzufallschwankungen nach oben drauf; aber eine Studie hat zum Beispiel gezeigt, dass Hitzewellen in Westeuropa häufiger werden, wenn draußen im Atlantik dieses kalte Wasser liegt, diese Kälteblase.“
In diesen Kontext passt der Jahrhundertsommer 2003, als es in Deutschland über Monate hinweg nicht regnete. Oder die Hitzewelle 2015 im Sommer vor dem Pariser Klimagipfel und auch die trocken-heißen Dürreperioden von 2018 und 2019 in Mitteleuropa: 
Menschen in Portugal beobachten aus der Ferne einen Waldbrand.
In Europa drohen in Zukunft Hitzellen wie 2018 in Portugal. © picture alliance/AP Photo/Javier Fergo
„Das klingt jetzt paradox, wenn man den Hollywoodfilm „The Day After Tomorrow“ zum Beispiel gesehen hat. Man denkt dann immer gleich an Abkühlung in Europa, wenn sich der Nordatlantikstrom abschwächt. Aber das ist eben höchstens dann der Fall, wenn die Strömung völlig abreißt, während eine Abschwächung einfach nur die atmosphärische Zirkulation und damit das Wettergeschehen beeinflusst; es gibt auch eine Studie von britischen Kollegen, die darauf hinweist, dass die Sturmaktivität nach West- und Mitteleuropa hinein zunehmen würde“, sagt Stefan Rahmstorf.
Dass die Wärmezufuhr aus der Karibik völlig abreißt, hält auch Ozeanograf Martin Visbeck für unwahrscheinlich. Doch selbst ein marginales Abschwächen dürfte gravierende Folgen haben – vor allem, weil die atlantische Umwälzpumpe sehr viel Kohlendioxid aus der Atmosphäre zieht und in der Tiefe versenkt. 
„Denn man muss immer daran denken: Der Ozean hat ein Drittel des menschengemachten CO2 aufgenommen; und in oberen Schichten ist das nun fast schon gesättigt – das heißt: Der kann nicht sehr viel mehr aufnehmen.
Der tiefe Ozean aber ist sehr ungesättigt und die tiefe Strömung wie zum Beispiel die nordatlantische Tiefenwasserbildung bringt auch viel CO2 aus der Atmosphäre über den oberen Ozean in den tiefen Ozean und kann damit sozusagen weiterhin als Senke fungieren; wenn das nicht mehr stattfindet oder auch in einem deutlich schwächeren Maße, dann wird für jede Tonne CO2, die wir die Luft blasen, viel mehr in der Atmosphäre verweilen und damit der Klimawandel pro ausgestoßener Tonne schlimmer werden“, sagt Martin Visbeck. 

Gibt es Selbsterhaltungskräfte der Natur?

Der Gratisdienst der Natur – das Versenken großer Mengen Kohlendioxid in den Tiefen des Ozeans – ist also in Gefahr. Es hat den Anschein, als wehre sich die Erde noch nach Kräften gegen den Klimawandel – nur der Mensch selbst spielt nicht mit. 
Auch in der Arktis will das Eis nicht einfach so weichen. Offenbar gibt es gewisse Selbsterhaltungskräfte. Das zeigen die jüngsten Mess-Ergebnisse des Alfred-Wegener-Instituts, die im Rahmen der MOSAiC-Expedition erstmals über Monate hinweg kontinuierlich gewonnen werden konnten. Geophysiker Christian Haas nennt als Beispiel kalte Luftschichten direkt über dem Eis:
„Die Luft unmittelbar über dem Eis ist wesentlich kälter als die Luft in zwei oder 20 Metern Höhe, die normalerweise gemessen wird – was zu stärkerem Eiswachstum führt. Das sind die wichtigen Prozesse im Winter; und im Sommer geht es eben auch darum, wie das Eis selber sich schützt, indem es die Luft abkühlt in seiner unmittelbaren Nähe, und indem das Schmelzwasser sich unter dem Eis ausbreitet und eine Isolationsschicht zum wärmeren Meerwasser unten drunter bildet“, sagt Christian Haas.
Die Selbsterhaltungskräfte – davon ist Christian Haas überzeugt – können das Eiswachstum in der Arktis wieder forcieren. Vorausgesetzt, der Mensch lässt es zu:
„Diese ganzen Prozesse führen dazu, dass das Eis sich im Winter, wenn die Sonne ja ein halbes Jahr lang unter dem Horizont verschwunden ist in der Polarnacht und nicht zum Schmelzen des Eises beitragen kann, dass sich das Eis dann gut erholen kann; wenn sich das Klima wieder abkühlen sollte, dann wird das Meereis auch sofort wieder wachsen.
Es gibt da kein Gedächtnis, keine unumkehrbaren Veränderungen. Und das ist eigentlich eine gute Nachricht: Wenn wir den Klimawandel abbremsen und vielleicht sogar umkehren würden, dann würden wir auch das Eis retten können. Und das Eis kommt wieder zu dem Zeitpunkt, wo sich die Temperaturen stabilisieren oder abkühlen.“

Ein Plastikfrosch im Nordwesten Schottlands

Der felsige Strand von Uig Sands an der Westküste der „Isle of Lewis“ im Spätsommer 2003. Das karge, baumlose Eiland zählt zu den Hebriden, einer Inselkette im Nordwesten Schottlands. Eine Anwältin genießt ihren letzten Urlaubstag bei einem Spaziergang. Sie muss sich beeilen, die Flut erreicht bald ihren Höchststand, die Brandung schleudert braungrüne Algenknäuel an den Strand. 
Inmitten lauter Muscheln sieht sie etwas Blassgrünens aus dem Sand hervorlugen. Es ist ein Plastikfrosch, verwittert zwar, aber immer noch intakt. Wenn der wirklich aus dem havarierten Container stammen sollte, ist er mehr als zehn Jahre über die Weltmeere geschippert. Doch der Anwältin ist die mögliche Bedeutung ihres Fundes nicht bewusst. Sie lässt den ausgebleichten Frosch am Strand zurück. Erst später im Hotel erfährt die Urlauberin von den weltreisenden Planschtieren.
Wieder greift die eiserne Regel der Ozeanografen in den USA: ohne Plastiktier als Beleg keine Verifikation des Funds. Die Forscher malen auf ihrer Karte ein Fragezeichen an die Stelle, die den Nordwesten Schottlands abbildet. Ungeklärt bleibt auch die mögliche Route des Frosches. Mit dem Golfstrom einmal um die Erde? Wäre möglich, meint Martin Visbeck. Wahrscheinlicher sei eine Abkürzung aus der Arktis direkt nach Europa sein:
„Die Packeisströme gehen an der Ostküste von Grönland entlang Richtung Süden, würden dann zwischen Island und Grönland in das nordatlantische Stromsystem kommen; und auch da im subpolaren Wirbel sich einsortieren; der hat eben auch schnelle Verbindungen über den Nordatlantikstrom Richtung Europa. Und dann tauchen sie da, wo Strände sind, natürlich zuerst auf in den Hebriden.“
Drei Jahrzehnte sind vergangen, seit die Plastik-Tiere bei der Überfahrt von Hongkong in die USA über Bord gegangen sind. Dass einige es in dieser Zeit bis nach Europa geschafft haben dürften, würde Ozeanograf Martin Visbeck nicht überraschen. Es gilt das Gesetz der großen Zahl: Bei knapp 29.000 Stück ist jeder erdenkliche Strand an den Ufern eines Ozeans ein mögliches Ziel.
Angeschwemmt wurde bislang nur ein Bruchteil. Es lohnt sich also, am Strand Ausschau zu halten – nach den gelben Enten und roten Bibern, den blauen Schildkröten und grünen Fröschen. Denn Plastik ist zäh. 100 Jahre können die Schwimmtiere locker noch schaffen. Mindestens.

Autor: Lutz Reidt
Es sprechen: Luise Wolfram und Robert Frank
Regie: Friederike Wigger
Technik: Martin Eichberg
Redaktion: Martin Mair

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