Was soll ich mit einer Wohnung in Kreuzberg?
Die Verfilmung von Bernhard Schlinks "Der Vorleser" durch Regisseur Stephen Daldry wurde erst kürzlich auf der Berlinale vorgestellt. Das Drehbuch schrieb David Hare, Englands bekanntester Dramatiker. Der stand jetzt selbst auf der Bühne mit seinem neuen Stück "Berlin - eine Lesung". Regie bei dieser ironischen Berlin-Betrachtung führte Stephen Daldry.
David Hare hat keine guten Erinnerungen an Berlin: Er ist ausgebuht worden bei einer deutschsprachigen Erstaufführung eines seiner Stücke. Aber nicht nur deswegen ist Hare skeptisch. Er hat kürzlich eine längere Zeit in Berlin verbracht.
Hare hat das Drehbuch für den "Vorleser" geschrieben, Stephen Daldry führt Regie und hat ihn gebeten, auf dem Set in Berlin dabei zu sein, damit man Änderungen diskutieren und schnell vornehmen kann. Viel war nicht zu tun, und so blieb Zeit, in Berlin umherzuspazieren und alte Erinnerungen aufzufrischen. Sir David - Hare wurde wegen seiner Verdienst um das britische Drama von Königin Elisabeth II. zum Ritter geschlagen.
David Hare spielt David Hare - er steht allein auf der Bühne. Eine hoher Barstuhl steht auf einem Podium, das von unten beleuchtet wird, mitunter setzt sich der Dramatiker, meistens steht er auf, geht umher - er hat den Text nicht auswendig gelernt, zur Stütze hat er sein Manuskript in der Hand - aber meistens spricht er doch frei.
David Hare ist eine öffentliche Einrichtung in London, etwas vergleichbares haben wir, soweit ich sehe, in Deutschland nicht. Alle Theaterfreunde kennen ihn, 14 seiner über 20 Stücke sind am National Theatre uraufgeführt worden, dem Flaggschiff der britischen Bühnen - und Hare nimmt mit seiner künstlerischen Arbeit zu Themen der Zeit Stellung.
Das ist unterhaltsam, eine Plauderstunde, es gibt Pointen am laufenden Band und es wird viel gelacht bei der Uraufführung im Lyttleton, dem Kammerspiel des Nationaltheaters - aber unter der Oberfläche geht es doch um mehr: Nachdenklichkeiten. Trennendes, aber auch Gemeinsamkeiten, schließlich sind wir ja alle Europäer.
Stephen Daldry hat Regie geführt - sie ist kaum sichtbar. Nur: besser hätte Hare seine Gedanken zu Berlin nicht präsentieren können. Daldry ist ein bescheidener Regisseur, der die Kunst beherrscht, sich unsichtbar zu machen.
Als Theatermann dreht sich bei David Hares Reflexionen viel um Kunst. Nach dem Fall der Mauer wurde das Schillertheater geschlossen - wie kann man nur! Hare ist klar, das viele Bühnen, viele Orchester doppelt da waren - aber er sieht das als großartige Chance, als kulturellen Schatz - und dann eine Bühne wie das Schillertheater zumachen! Eine Barbarei - dem Artscouncil wäre das sicher ein Vorbild, setzt er sarkastisch hinzu. Die britische Fördereinrichtung für die Künste ist auf Diät gesetzt und fordert äußerste Sparsamkeit - das Publikum lacht.
Aber Berlin erscheint nicht als barbarische, kunstfeindliche Stadt. Hare schildert Besuche in der Philharmonie, sehr eindrücklich, sehr beeindruckt.
Aber er kann nicht verstehen, warum ihm alle raten, unbedingt sofort in Kreuzberg eine Wohnung zu kaufen - wozu? Was soll man in Berlin? Am liebsten sitzt er in Tegel auf dem Flughafen in der Lounge und wartet auf sein Flugzeug nach London. Überhaupt: Flughäfen: in Tempelhof ist er immer am liebsten gelandet. Und der Flughafen ist jetzt geschlossen.
Mitunter wird eine Leinwand heruntergelassen, man kann Dias projizieren, zum Beispiel die amerikanische Botschaft. Hare spottet: die extremen Sicherheitsauflagen. Und dann wird er grimmig: Die Touristen könnten ja manchmal an Besuchstagen kommen und nach der Abteilung fragen für Waterboarding.
Folter und alle Formen der Unmenschlichkeit waren ja immer wieder große Themen in Berlin - Hare sucht nach Spuren der Erinnerung. Bei dem Holocaustdenkmal ist er gespalten - zuviel und gleichzeitig zu wenig. Die Erinnerung an die Bücherverbrennung, in den Boden eingelassen, scheint ihm abwegig.
Einen starken Eindruck hat das Berliner Ensemble auf ihn gemacht. Nachts, im Glanz seiner Reklame. David Hare hat viel von Bertolt Brecht gelernt, er hat Stücke Brechts für das National Theatre bearbeitet und nutzt Bausteine des epischen Theaters für seine Dramen - die Erinnerung an das revolutionäre Theater rührt ihn mächtig an - gleichzeitig sieht er aber in der Nähe Konsumtempel, die Werbung für Coca Cola. Das ist eine typische Impression - alles erscheint unbestimmt, provisorisch.
Die gewonnene Freiheit wird nicht energisch genutzt. David Hare erinnert noch mal an den Mauerfall: und geht mit Lady Thatcher hart ins Gericht. Es sei einer ihrer unverzeihlichen historischen Fehler gewesen, dass sie als Premierministerin von Großbritannien die Wiedervereinigung nicht gefördert habe.
Das ist David Hare, wie er leibt und lebt: klare, unmissverständliche Worte. Deshalb sollte man ihm gut zuhören, auch in Deutschland. Seine Stücke werden bei uns unterschätzt. Sein Auftritt im National Theatre ist gelungen: bei allem Ernst heiter, bei aller Unterhaltsamkeit tiefschürfend - und mahnend: die Gunst der Stunde nach dem Mauerfall nutzen, anstatt sie verstreichen zu lassen.
Warum, so fragt sich Hare am Ende noch einmal, warum sollte er sich wohl in Kreuzberg eine Wohnung kaufen? Was sollte er in Kreuzberg? Bei dieser Frage verlöschen die Scheinwerfer. Heftiger Applaus.
Berlin - eine Lesung
Von David Hare
Uraufführung am Lyttleton Theatre des National Theatres in London
Regie: Stephen Daldry
Hare hat das Drehbuch für den "Vorleser" geschrieben, Stephen Daldry führt Regie und hat ihn gebeten, auf dem Set in Berlin dabei zu sein, damit man Änderungen diskutieren und schnell vornehmen kann. Viel war nicht zu tun, und so blieb Zeit, in Berlin umherzuspazieren und alte Erinnerungen aufzufrischen. Sir David - Hare wurde wegen seiner Verdienst um das britische Drama von Königin Elisabeth II. zum Ritter geschlagen.
David Hare spielt David Hare - er steht allein auf der Bühne. Eine hoher Barstuhl steht auf einem Podium, das von unten beleuchtet wird, mitunter setzt sich der Dramatiker, meistens steht er auf, geht umher - er hat den Text nicht auswendig gelernt, zur Stütze hat er sein Manuskript in der Hand - aber meistens spricht er doch frei.
David Hare ist eine öffentliche Einrichtung in London, etwas vergleichbares haben wir, soweit ich sehe, in Deutschland nicht. Alle Theaterfreunde kennen ihn, 14 seiner über 20 Stücke sind am National Theatre uraufgeführt worden, dem Flaggschiff der britischen Bühnen - und Hare nimmt mit seiner künstlerischen Arbeit zu Themen der Zeit Stellung.
Das ist unterhaltsam, eine Plauderstunde, es gibt Pointen am laufenden Band und es wird viel gelacht bei der Uraufführung im Lyttleton, dem Kammerspiel des Nationaltheaters - aber unter der Oberfläche geht es doch um mehr: Nachdenklichkeiten. Trennendes, aber auch Gemeinsamkeiten, schließlich sind wir ja alle Europäer.
Stephen Daldry hat Regie geführt - sie ist kaum sichtbar. Nur: besser hätte Hare seine Gedanken zu Berlin nicht präsentieren können. Daldry ist ein bescheidener Regisseur, der die Kunst beherrscht, sich unsichtbar zu machen.
Als Theatermann dreht sich bei David Hares Reflexionen viel um Kunst. Nach dem Fall der Mauer wurde das Schillertheater geschlossen - wie kann man nur! Hare ist klar, das viele Bühnen, viele Orchester doppelt da waren - aber er sieht das als großartige Chance, als kulturellen Schatz - und dann eine Bühne wie das Schillertheater zumachen! Eine Barbarei - dem Artscouncil wäre das sicher ein Vorbild, setzt er sarkastisch hinzu. Die britische Fördereinrichtung für die Künste ist auf Diät gesetzt und fordert äußerste Sparsamkeit - das Publikum lacht.
Aber Berlin erscheint nicht als barbarische, kunstfeindliche Stadt. Hare schildert Besuche in der Philharmonie, sehr eindrücklich, sehr beeindruckt.
Aber er kann nicht verstehen, warum ihm alle raten, unbedingt sofort in Kreuzberg eine Wohnung zu kaufen - wozu? Was soll man in Berlin? Am liebsten sitzt er in Tegel auf dem Flughafen in der Lounge und wartet auf sein Flugzeug nach London. Überhaupt: Flughäfen: in Tempelhof ist er immer am liebsten gelandet. Und der Flughafen ist jetzt geschlossen.
Mitunter wird eine Leinwand heruntergelassen, man kann Dias projizieren, zum Beispiel die amerikanische Botschaft. Hare spottet: die extremen Sicherheitsauflagen. Und dann wird er grimmig: Die Touristen könnten ja manchmal an Besuchstagen kommen und nach der Abteilung fragen für Waterboarding.
Folter und alle Formen der Unmenschlichkeit waren ja immer wieder große Themen in Berlin - Hare sucht nach Spuren der Erinnerung. Bei dem Holocaustdenkmal ist er gespalten - zuviel und gleichzeitig zu wenig. Die Erinnerung an die Bücherverbrennung, in den Boden eingelassen, scheint ihm abwegig.
Einen starken Eindruck hat das Berliner Ensemble auf ihn gemacht. Nachts, im Glanz seiner Reklame. David Hare hat viel von Bertolt Brecht gelernt, er hat Stücke Brechts für das National Theatre bearbeitet und nutzt Bausteine des epischen Theaters für seine Dramen - die Erinnerung an das revolutionäre Theater rührt ihn mächtig an - gleichzeitig sieht er aber in der Nähe Konsumtempel, die Werbung für Coca Cola. Das ist eine typische Impression - alles erscheint unbestimmt, provisorisch.
Die gewonnene Freiheit wird nicht energisch genutzt. David Hare erinnert noch mal an den Mauerfall: und geht mit Lady Thatcher hart ins Gericht. Es sei einer ihrer unverzeihlichen historischen Fehler gewesen, dass sie als Premierministerin von Großbritannien die Wiedervereinigung nicht gefördert habe.
Das ist David Hare, wie er leibt und lebt: klare, unmissverständliche Worte. Deshalb sollte man ihm gut zuhören, auch in Deutschland. Seine Stücke werden bei uns unterschätzt. Sein Auftritt im National Theatre ist gelungen: bei allem Ernst heiter, bei aller Unterhaltsamkeit tiefschürfend - und mahnend: die Gunst der Stunde nach dem Mauerfall nutzen, anstatt sie verstreichen zu lassen.
Warum, so fragt sich Hare am Ende noch einmal, warum sollte er sich wohl in Kreuzberg eine Wohnung kaufen? Was sollte er in Kreuzberg? Bei dieser Frage verlöschen die Scheinwerfer. Heftiger Applaus.
Berlin - eine Lesung
Von David Hare
Uraufführung am Lyttleton Theatre des National Theatres in London
Regie: Stephen Daldry