Was soll Snowden in Berlin?

Von Sylke Tempel |
Asyl für Edward Snowden in Deutschland wäre nichts als ein billiger und dummer Versuch, den Amis ans Schienbein zu treten. Wer in der Welt der internationalen Politik reif und selbstbewusst auftreten will, der sollte auf solch zweifelhafte Symbolhandlungen verzichten.
Dieser Satz fällt regelmäßig: Man müsse Edward Snowden dankbar sein. Denn er habe eine wichtige Debatte ausgelöst. Hat er das wirklich?

Kein Zweifel, es gäbe einige hochrelevante Fragen, mit denen sich Politik und Öffentlichkeit in Deutschland beschäftigen müssen: Was von den ausufernden Spionageaktivitäten vor allem der NSA, aber auch anderer Dienste, ist überhaupt notwendig im Kampf gegen den Terrorismus? Was ist effizient und was ist akzeptabel?

Haben wir uns allzu sehr auf die Arbeit der Amerikaner verlassen, von der wir ja auch profitieren? Können wir überhaupt eigene Kapazitäten bereitstellen – technologisch und politisch? Schließlich ist die Überlegenheit der USA auf dem IT-Sektor nun einmal überwältigend.

Wie können wir dafür sorgen, dass Geheimdienste ihrer Aufgabe nachgehen können – und es liegt ja nun in der Natur der Sache, dass dies zu großen Teilen im Geheimen zu geschehen hat – und gleichzeitig eine echte Kontrolle über ihre Aktivitäten sicher stellen?

In den USA werden all diese Punkte bereits diskutiert. Und in Deutschland? Beschäftigt man sich vor allem mit der Person Edward Snowdens.

"Asyl" forderte jüngst eine Riege von Politikern, Künstlern und Intellektuellen. Gregor Gysi, der bis heute von ehemaligen Mandanten bezichtigt wird, vertrauliche Gespräche an die Stasi weiter geleitet zu haben, will den Mann wenigstens in ein "Zeugenschutzprogramm" aufzunehmen – ganz, als ob die USA eine Diktatur wären, in der es nicht die geringste Chance auf einen rechtsstaatlichen Prozess gäbe.

Der Nerd ist den falschen Weg gegangen
Und dass dem Grünen-Politiker Christian Ströbele ein Treffen mit dem Helden in Moskau ohne das Einverständnis des russischen Geheimdienstes FSB nicht möglich gewesen wäre, das hat schon mehr als ein Geschmäckle. Die Motivation der Snowden-Schützer hat der Regisseur Leander Haußmann auf den Punkt gebracht: "Strafe muss sein, liebe Amis."

Diese Haltung dient der Sache nicht, verkennt, dass der Geheimdienst-Nerd den falschen Weg gegangen ist. Warum hat er sich nicht an uns gewandt, fragte die äußerst einflussreiche Vorsitzende des "Senate Intelligence Committee", Dianne Feinstein?

Warum hat er nicht die parlamentarischen Kontrollausschüsse informiert, die schon längst begonnen hatten, die Aktivitäten des NSA-Chefs Keith Alexander kritisch zu hinterfragen, und sich damit auch ihres Schutzes versichert? Auch so hätte er es geschafft, eine tiefgreifende Debatte auszulösen ‒ dort, wo sie am wichtigsten ist: in den USA.

Warum hat er den Weg nach China gewählt, das die Web-Aktivitäten seiner eigenen Gesellschaft rigoros unterdrückt und obendrein eines der aktivsten und skrupellosesten Cyberspionage-Programme betreibt? Um von dort nach Russland weiter zu fliegen, das China in diesem Punkt kaum nachsteht.

Ja, die transatlantischen Beziehungen sind erschüttert - durch die NSA-Affäre und vor allem durch die völlig überflüssige und politisch schwachsinnige Bespitzelung der Kommunikation befreundeter Regierungschefs, inklusive der Kanzlerin. Es gibt sehr viele gute Gründe, Präsident Obama einige unbequeme Fragen zu stellen, und man wird sinn- und hirnlos verspieltes Vertrauen in manchen Punkten vielleicht auch nur mühsam wieder herstellen können.

Wie aber wäre dem Whistleblower am besten geholfen? Man kann sicher davon ausgehen, dass Russlands Präsident Vladimir Putin ihn fallen lässt, sobald ihm danach ist. Dann sollte Edward Snowden sich in den USA den Gerichten stellen und Deutschland sich dafür einsetzen, dass Gnade vor Recht ergeht, eben weil er eine Debatte ausgelöst hat.

Aber Asyl? Das ist nichts als ein billiger und politisch überdies äußerst dummer Versuch, den Amis ans Schienbein zu treten. Wer in der Welt der internationalen Politik und auch in den transatlantischen Beziehungen reif und selbstbewusst auftreten will, der sollte auf solch zweifelhafte Symbolhandlungen verzichten.

Dr. Sylke Tempel, Jahrgang 1963, studierte Politologie, Geschichte und Judaistik, bevor sie für verschiedene Zeitungen als Korrespondentin aus dem Nahen Osten berichtete. Derzeit ist sie Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik" in Berlin, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgegeben wird Zuletzt hat sie zwei Bücher geschrieben: "Israel – eine Reise durch ein altes neues Land" (2008) und "Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert" (2010), beide im Rowohlt Verlag erschienen.
Sylke Tempel
Sylke Tempel© Marco Limberg
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