Was wir wirklich brauchen
In der Stadt Goethes beginnt die größte Buchmesse der Welt. Was hat dieses Festival des Wissens und der Bildung mit der Bildung der Regierung in Berlin zu tun? Nichts? Ich meine, es besteht durchaus ein Zusammenhang zwischen der Informiertheit, dem Durchblick der Bürger und der Lage der Nation.
Folgt man den neuen Koalitionspartnern, so hat sich die Lage offenbar über Nacht grundlegend gebessert. Warum sonst fiele die künftige Kanzlerin hinter ihr eigenes, im Wahlkampf verfochtenes Reformkonzept so weit zurück? Glaubt sie womöglich selbst an die Parole: Wichtig ist allein, an der Macht zu sein? Mit oder ohne Richtlinienkompetenz spielt keine Rolle. Denn dazu müsste man überhaupt erst einmal Richtlinien und Kompetenz haben.
Es ist ein Schauspiel schrecklicher Vereinfacher. Man streitet über Personen statt über Reformen. Man will den Wählern Glauben machen: Der Kampf um Posten habe mit den komplizierten Problemen des Landes noch irgendetwas zu tun. Offenbar glauben die Regierungsparteien, die Komplexität der Welt überfordere die Bürger.
Demokratien benötigen unter den schwierigen Bedingungen der Gegenwart in der Tat Demokraten, die zumindest eine Ahnung von den vielschichtigen, schwierigen Zusammenhängen haben, die mehr wissen als der durchschnittliche Telenovela-Zuschauer. Tatsächlich aber haben wir es in Deutschland mit einer Krise auch der ökonomischen und politischen Bildung zu tun. Dieses sozusagen "politische Pisa" ist eine Reformbremse ersten Ranges.
Nehmen wir nur den Fall Kirchhof: Das Feindbild des Professors aus Heidelberg entschied womöglich die Wahl. Er hatte sich erlaubt, eine Grundfrage der Gesellschaft aus einer neuen, ungewohnten Perspektive zu beantworten. Statt sich auseinander zu setzen mit seiner Idee, wurde Kirchhof dämonisiert, auch von Leuten aus den eigenen Reihen. Unorthodoxe Köpfe haben es in Deutschland auch deshalb so schwer, weil Nachdenken als Zumutung gilt.
So folgt die Borniertheit der Politik der Bequemlichkeit der Masse. Bildung ist aber nicht nur, wie oft genug betont wird, eine ökonomische Ressource des rohstoffarmen Landes. Bildung im weitesten Sinne des Wortes ist auch ein Lebensmittel der Demokratie zumal in unübersichtlichen Zeiten.
Die deutsche Gesellschaft driftet auseinander: in Reich und Arm, in Ost und West, in Reformgegner und Reformern. Aber dazu kommt noch eine andere, womöglich tiefer reichende Spaltung: die zwischen den Informierten, Belesenen, auf der Höhe ihrer Zeit sich Befindenden: eine Minderheit. Und den geistigen Stubenhockern, den Desinteressierten, den Besitzstandswahren: Das ist die am Ende für dumm verkaufte Mehrheit.
Deutschland leidet weniger an sozialer Verwahrlosung als an einer kulturellen Verwahrlosung. Sie ist keine Frage der sozialen Herkunft. Kulturelle Verwahrlosung ist zum Beispiel auch bei leistungsvernarrten Jungmanagern zu finden, die alles im Kopf haben, was man zur Gewinnmaximierung braucht, aber sonst nicht mehr viel. Kulturell verwahrlost sind Kinder wohlhabender Eltern, die mit Konsum betäubt werden, statt durch Zuwendung und lebendige Diskussion zu mündigen, gesellschaftlichen Wesen erzogen werden. Auch in den Schulen wird ökonomisches Grundverständnis kaum vermittelt, die öffentliche Sache vernachlässigt.
Wir brauchen keine große Koalition der Vereinfacher und Gesundbeter, sondern die Richtlinienkompetenz des Wissens und des Geistes.
Wolfgang Herles studierte Neuere deutsche Literatur, Geschichte und Psychologie in München. Nach seiner Promotion 1980 und dem Besuch der Deutschen Journalistenschule war er zunächst Korrespondent für den Bayerischen Rundfunk in Bonn und Redakteur des TV-Magazins "Report". Von 1987 an leitete er das ZDF-Studio Bonn und moderierte später auch die ZDF-Talkshow "Live". Er ist jetzt Leiter des ZDF-Kulturmagazins "aspekte".
Es ist ein Schauspiel schrecklicher Vereinfacher. Man streitet über Personen statt über Reformen. Man will den Wählern Glauben machen: Der Kampf um Posten habe mit den komplizierten Problemen des Landes noch irgendetwas zu tun. Offenbar glauben die Regierungsparteien, die Komplexität der Welt überfordere die Bürger.
Demokratien benötigen unter den schwierigen Bedingungen der Gegenwart in der Tat Demokraten, die zumindest eine Ahnung von den vielschichtigen, schwierigen Zusammenhängen haben, die mehr wissen als der durchschnittliche Telenovela-Zuschauer. Tatsächlich aber haben wir es in Deutschland mit einer Krise auch der ökonomischen und politischen Bildung zu tun. Dieses sozusagen "politische Pisa" ist eine Reformbremse ersten Ranges.
Nehmen wir nur den Fall Kirchhof: Das Feindbild des Professors aus Heidelberg entschied womöglich die Wahl. Er hatte sich erlaubt, eine Grundfrage der Gesellschaft aus einer neuen, ungewohnten Perspektive zu beantworten. Statt sich auseinander zu setzen mit seiner Idee, wurde Kirchhof dämonisiert, auch von Leuten aus den eigenen Reihen. Unorthodoxe Köpfe haben es in Deutschland auch deshalb so schwer, weil Nachdenken als Zumutung gilt.
So folgt die Borniertheit der Politik der Bequemlichkeit der Masse. Bildung ist aber nicht nur, wie oft genug betont wird, eine ökonomische Ressource des rohstoffarmen Landes. Bildung im weitesten Sinne des Wortes ist auch ein Lebensmittel der Demokratie zumal in unübersichtlichen Zeiten.
Die deutsche Gesellschaft driftet auseinander: in Reich und Arm, in Ost und West, in Reformgegner und Reformern. Aber dazu kommt noch eine andere, womöglich tiefer reichende Spaltung: die zwischen den Informierten, Belesenen, auf der Höhe ihrer Zeit sich Befindenden: eine Minderheit. Und den geistigen Stubenhockern, den Desinteressierten, den Besitzstandswahren: Das ist die am Ende für dumm verkaufte Mehrheit.
Deutschland leidet weniger an sozialer Verwahrlosung als an einer kulturellen Verwahrlosung. Sie ist keine Frage der sozialen Herkunft. Kulturelle Verwahrlosung ist zum Beispiel auch bei leistungsvernarrten Jungmanagern zu finden, die alles im Kopf haben, was man zur Gewinnmaximierung braucht, aber sonst nicht mehr viel. Kulturell verwahrlost sind Kinder wohlhabender Eltern, die mit Konsum betäubt werden, statt durch Zuwendung und lebendige Diskussion zu mündigen, gesellschaftlichen Wesen erzogen werden. Auch in den Schulen wird ökonomisches Grundverständnis kaum vermittelt, die öffentliche Sache vernachlässigt.
Wir brauchen keine große Koalition der Vereinfacher und Gesundbeter, sondern die Richtlinienkompetenz des Wissens und des Geistes.
Wolfgang Herles studierte Neuere deutsche Literatur, Geschichte und Psychologie in München. Nach seiner Promotion 1980 und dem Besuch der Deutschen Journalistenschule war er zunächst Korrespondent für den Bayerischen Rundfunk in Bonn und Redakteur des TV-Magazins "Report". Von 1987 an leitete er das ZDF-Studio Bonn und moderierte später auch die ZDF-Talkshow "Live". Er ist jetzt Leiter des ZDF-Kulturmagazins "aspekte".