Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass

Von Henryk M. Broder |
Nach zwei Weltkriegen im 20. Jahrhundert haben die Deutschen einige Millionen gute Gründe, Pazifisten zu sein. "Von deutschem Boden soll nie wieder ein Krieg ausgehen!" ist eine Losung, auf die sich vermutlich 99,9 Prozent aller Deutschen debattenfrei verständigen könnten.
Schwierig wird es erst, wenn der Pazifismus ein wirtschaftliches Opfer fordert. Fast 20 Jahre lang kämpften die Bürger von Wittstock, Rheinsberg und Neuruppin für die Schließung des so genannten Bombodroms.

Wer möchte schon in der Nähe eines Gebietes wohnen, auf dem täglich Luft-Boden-Geschosse einschlagen, die ihr Ziel auch mal verfehlen könnten? Als klar war, dass die Bundeswehr den Standort aufgeben würde, waren alle begeistert, die über Parteigrenzen hinweg den gewaltfreien Widerstand angeführt hatten.

Dann aber wurde den Heideanliegern klar, dass sie jetzt zwar ruhiger schlafen, aber nicht unbedingt sorgenfreier leben würden. Die Gemeinde muss jetzt wohl auf 1,5 Millionen Euro Steuereinnahmen jährlich verzichten; die Bundeswehr hatte nicht nur Zivilisten beschäftigt, sondern auch jedes Jahr Aufträge im Wert von 20 Millionen Euro an regionale Firmen vergeben. Am besten wäre es natürlich gewesen, wenn die Bundeswehr real abgezogen wäre, aber weiter für ihre virtuelle Präsenz gezahlt hätte.

Das Beispiel aus der Heide bestätigt die Richtigkeit einiger Sprichworte, die den Heideanwohnern entfallen waren: "Jedes Ding hat zwei Seiten", "You can’t have the cake and eat it too" und "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass".

Was für das ehemalige Bombodrom gilt, trifft auch für die Verteidigungspolitik im Allgemeinen zu. Es gibt viele gute und bedenkenswerte Argumente für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Das beste Argument ist ein korrupter Präsident, der nicht in der Lage ist, die Sicherheit in seinem Lande zu garantieren, aber zugleich nicht mit Kritik am Verhalten der "Besatzer" spart, ohne deren Beistand er längst aus dem Amt geputscht worden wäre. "Macht doch euren Dreck alleine!" wäre eine angemessene Reaktion auf das anmaßende und zugleich impotente Gebaren von Präsident Karsai und seiner Regierung.

Andererseits müsste jeder Deutsche, der den Abzug der Bundeswehr aus dem Hindukusch fordert, sich der Folgen bewusst sein. Afghanistan den Taliban zu überlassen, wäre nicht nur für die Afghanen eine Katastrophe, so wie ein Vulkanausbruch auf Island nicht nur den Himmel über Island verdunkelt hat. In Deutschland freilich herrscht die Meinung vor, dass Naturkatastrophen grenzüberschreitend sind, der Terrorismus dagegen an Grenzen haltmacht und Wohlverhalten honoriert.

"Wenn wir denen nichts antun, tun sie auch uns nichts an" glauben viele, die ansonsten davon überzeugt sind, dass ihre Häuschen in der Lüneburger Heide geflutet würden, wenn es Angela Merkel nicht gelingt, die globale Erwärmung zu stoppen. "Man kann mit Krieg Terrorismus nicht bekämpfen, man erzeugt nur neuen!" rief Gregor Gysi erst kürzlich im Bundestag aus, ohne zu erklären, wie er dem Terrorismus den Garaus machen möchte. Mit Hilfe der Heilsarmee? Des Goethe-Instituts? Der Initiative "Brot für die Welt"?

Der Pazifismus, dem die Deutschen verfallen sind, richtet sich nicht gegen den Krieg an sich, er richtet sich gegen eine deutsche Beteiligung an militärischen Einsätzen. Es ist nicht die Liebe zum Frieden, die ihn antreibt, sondern nur der Wunsch, andere mögen sich die Hände schmutzig machen, damit wir mit einem blitzsauberen Zeigefinger auf sie zeigen können.


Henryk M. Broder wurde 1946 in Katowice/Polen geboren, 1958 kam er mit den Eltern in die Bundesrepublik, wo er Jura und Volkswirtschaft studierte. Er lebt heute in Berlin und Jerusalem. Broder machte sich als freier Schriftsteller und kritischer Journalist einen Namen. Er schrieb für renommierte Zeitungen und für das Fernsehen, derzeit arbeitet er als Reporter für den "Spiegel". Zu seinen bekanntesten Büchern zählen "Der ewige Antisemit", "Erbarmen mit den Deutschen", "Volk und Wahn", und "Hurra, wir kapitulieren!"