Waschen, Füttern, Betten

Von Verena Kemna |
Etwa zwei Drittel der alten Menschen werden von Familienangehörigen oder ambulanten Diensten gepflegt. Die Herausforderungen für Angehörige sind dabei immens. Die meisten verzichten mit der Pflege auf Freunde, Ferien und Freizeit. Bundesweit beginnt nun eine Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive.
Pelagia Petrick schließt die Kasse in ihrem Kiosk, verschnürt die nicht verkauften Tageszeitungen. Spätestens um eins muss sie los, wie jeden Tag. Meine Kunden verstehen das, sagt die gebürtige Griechin. Alle wissen, dass sie ihre Schwiegereltern bei sich zu Hause pflegt. Die alten Herrschaften warten doch schon, meint Stammkundin Beatrice und packt mit an, damit Pelagia pünktlich los kommt.

"Die Kunden helfen mit, die kriegen ab und zu ne Tasse Kaffee, sie trinkt aber gerade keinen Kaffee. Das kriegen wir schon hin oder wir räumen das alles rein. Ich habe heute den Superumsatz meines Lebens gemacht, nämlich nichts, nichts! Ach guck, mal, Hans ist da. Ich dachte, du kommst heute nicht. Na, ich dachte, eh du hier durchhängst, werde ich mal kommen!"

Hans, Freund und Kunde, schiebt die schweren Zeitungsständer in den kleinen Laden.

Eine Stunde später ist Pelagia Petrick zu Hause. Hinter dem einstöckigen kleinen Haus am westlichen Berliner Stadtrand liegen Maisfelder, Wiesen und Ackerflächen. Wir haben umgebaut, viel Geld investiert, damit wir die Schwiegereltern pflegen können, sagt sie und betritt den Hausflur. Zieht Jacke und Schuhe aus, dann schnell in die Küche. Jeden Tag ab 14 Uhr die gleiche Routine. Die 62-Jährige kocht Karotten und Kartoffeln, legt den Pürierstab neben den Herd.

"Ich bin der Meinung, wenn man selber kocht, kriegen sie ganz andere Vitamine als wenn man Fertigessen macht. Jetzt ist natürlich das Problem, dass mein Schwiegervater kaum mehr was isst, Schwiegermutter sowieso nicht, das kriegt sie nicht hin. Also muss alles püriert werden, da sieht man nachher gar nichts mehr, was da drin ist, aber es ist auch egal."

Die Türschwelle in der offenen Wohnküche ist abgeschliffen, damit der Rollstuhl durch die Tür passt. Während Pelagia in der Küche hantiert, lässt sie ihre Schwiegereltern nicht aus den Augen. Bernhard Petrick, 92 Jahre alt, sitzt ganz gekrümmt in einem blauen Ohrensessel. Sein Mund steht leicht offen, er wirkt teilnahmslos, die Augen verschwinden hinter gelblich gefärbten Brillengläsern.

"Hast du getrunken Papa? Hast du getrunken? Das musst du alles trinken! Mund auf, Kopf nach hinten Papa, richtig nach hinten!"

Im Raum ist es warm, die Sonne scheint durchs Fenster. Die 90-jährige Schwiegermutter sitzt nur ein paar Meter neben ihrem Mann in einem Rollstuhl vor dem Esstisch, starrt ununterbrochen nach draußen, in Richtung Wald. Ab und zu bewegt sie leicht den Kopf. Die alte Dame mit den kurz geschnittenen weißen Haaren leidet seit Jahren an Alzheimer.

"Schwiegermutter versteht vieles nicht, aber durch die Gesten, die Sprache, die Stimme, versteht sie ne Menge. Sie guckt mich genau an, ich beobachte sie ja die ganze Zeit, sie kriegt schon eine Menge mit."

Elfriede Petrick scheint jetzt zu lächeln, ihre leuchtend blauen Augen wirken friedlich, doch sie spricht kein einziges Wort. Bis vor einigen Jahren haben beide noch in einer eigenen Wohnung gelebt. Doch dann, erzählt Schwiegertochter Peglaia, musste alles ganz schnell gehen. Sie nimmt einen Löffel Gemüsebrei, die Schwiegermutter öffnet den Mund.

"Es ging dann rucki zucki, das Einzige war mein Mann, der war sehr skeptisch. Dann habe ich gesagt, ich weiß nicht, ich würde sie nicht abschieben, das will ich nicht. Im Grunde genommen, ich habe meinen Mann überrumpelt."

Seitdem dreht sich bei den Petricks alles um Elfriede und Bernhard, die alten Eltern, Pflegestufe zwei und drei. Sohn Ulli, 60 Jahre alt, packt immer dann an, wenn Vater und Mutter gewaschen und ins Bett gehievt werden müssen, so etwas schaffen er und seine Frau nur gemeinsam.

Ulli Petrick kümmert sich außerdem um Telefonate mit Behörden und Sozialstationen, schreibt Briefe an die Pflegeversicherung und Anträge für Windeln und Zubehör. Arbeit, die zusätzlich Kraft und Nerven raubt.

"Dessen waren wir uns auch bewusst. Aber was ich viel schlimmer finde, wenn man mittendrin steht, sieht man erst, mit was für Knüppeln geschmissen wird. Um das, was einem gesetzlich zusteht, zu bekommen, das sind Kämpfe."

Wenig später riecht es in der offenen Wohnküche der Petricks nach Kaffee. Pelagia stellt selbst gebackenen Marmorkuchen auf den Tisch. Das Abendessen hat sie auch schon vorbereitet, Brot, Wurst und Käse. Danach werden die alten Leute gewaschen.
Freizeit? Ferien? Dafür ist in ihrem Leben momentan kein Platz. Ich wäre ja schon aufgeschmissen ohne die Pfleger, die jeden Morgen kommen und sich kümmern, sagt sie.

Pelagia Petrick hat sich dennoch entschieden, ihre Schwiegereltern so lange zu pflegen, wie sie es schafft. Von den eigenen Kindern verlangt sie das später aber nicht.

"Es gibt was Schöneres im Leben als morgens saubermachen, mittags saubermachen, essen, betten, es hängt ja eine Menge zusammen. Warum muss ich das meiner Schwiegertochter antun oder meinem Sohn oder meiner Tochter."

... sagt sie und ist schon wieder im Einsatz. Hilft ihrem Schwiegervater, der in seinem Sessel nach unten gerutscht ist. Die 62-Jährige freut sich schon auf den nächsten Vormittag. Dann wird sie wie jeden Tag in ihrem Zeitungskiosk stehen, sich mit ihren Stammkunden unterhalten. Die Freunde von früher, die kommen längst nicht mehr.

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